Mit Recht gegen Rassismus

Kritische Überlegungen zum Verhältnis von Recht und Antirassismus am Beispiel der schweizerischen Strafnorm zur Rassendiskriminierung

Tarek Naguib

Abstract This article addresses the ambivalent impact of law against racism on anti-racist struggles. Starting from Critical Race Theory the author proposes to move the analysis of non-discrimination law ‘beyond’ the human rights framework by drawing on poststructuralist theory. Drawing on the example of the legal program of the Swiss criminal prohibition on racial discrimination, the paper analyses the complex relationship of hegemony and emancipation in anti-racism. In conclusion, the author argues that there is a need to extend the legal scope to a complex and divers set of legal instruments and in favour of a transdisciplinary use of the law within the theoretical critique of racism and anti-racist activism.


Keywords racism, law, legal theory, critical race theory, transdisciplinary use of the law


Die schweizerische Strafnorm zur Rassendiskriminierung ist seit rund zwanzig Jahren in Kraft. Sie wurde bei einer Volksabstimmung am 25. September 1994 von 54,6% der Stimmbürger*innen angenommen, bei einer Stimmbeteiligung von 45,9% und unter Ausschluss der damals 18,8% ausländischer Bevölkerung.1 Die Einführung der Strafnorm war Voraussetzung für den Beitritt zum Internationalen Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (im Folgenden RDÜ; Niggli 2007), der in Folge der insgesamt 77 Anschläge auf Asylbewerberheime in den Jahren 1989 bis 1991 von der Schweizer Regierung angestrebt wurde. Der Bundesrat bezweckte damit neben einem innenpolitischen Signal v.a. zu verhindern, dass sich die Position der Schweiz als Vermittlerin in der Außenpolitik schwächen könnte. Ebenfalls Teil dieser Entwicklung im schweizerischen Antirassismusrecht war die Schaffung der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus (EKR).

Seit ihren Anfängen wurde die Strafnorm aus verschiedenen Seiten kritisiert. Für die Rechte ist sie ein Maulkorb der classe politique und dient als Steigbügelhalterin für rechtspopulistische Forderungen (vgl. Niggli 2007). Für viele aus der Mitte ist sie mit Moralin behaftet, schränkt die persönliche Freiheit ein und gilt als wenig tauglich, um rassistische Einstellungen zu verändern. Demgegenüber kritisieren Kreise aus der antirassistischen Linken das Gesetz, weil es aus ihrer Sicht kaum dazu beiträgt, das Unrechts- bzw. Rechtsbewusstsein bezüglich Rassismus zu stärken, diesen auf Hetze beschränkt und die Verantwortung für den Antirassismus an den Staat delegiert, anstatt die zivilgesellschaftliche Verantwortung zu stärken (vgl. Naguib 2015). Diese Kritik steht damit in der Tradition kritisch-emanzipatorischer Rechtstheorien wie dem radikalen Feminismus, den Queer Legal Studies, der Critical Race Theory etc., die das Recht „sowohl als Mittel des Zwangs und der Herrschaft als auch als Mittel der Befreiung und Weg zu neuen Handlungsmöglichkeiten“ beschreiben (Fuchs/Berghahn 2012: 11f.).

Ausgehend vom 20-jährigen Jubiläum und der Kritik an der Strafnorm wird im vorliegenden Aufsatz die Frage nach dem Verhältnis von Recht und Antirassismus in einer „postmigrantischen Gesellschaft“ (vgl. Tsianos/Karakayali 2014) gestellt: Wie kann Recht dazu beitragen, Rassismus zu bekämpfen, ohne dabei einem „staatlich akkreditierten“ (Espahangizi 2015), engen Verständnis von Rassismus und Antirassismus Vorschub zu leisten und dadurch antirassistische Kämpfe zu schwächen? Die Fragestellung ist nicht nur mit Blick auf die Schweiz von Relevanz, sondern bietet vor dem Hintergrund der laufenden EU-weiten Diskussion um gerechtes, effektives und effizientes Antidiskriminierungsrecht sowie transnationaler und transdisziplinärer Kämpfe gegen Rassismus Anknüpfungsmöglichkeiten für weiterführende Forschung.

In einem ersten Schritt nehme ich eine Bestandsaufnahme zum Verständnis von Antirassismus aus Sicht der herrschenden Rechtsauffassung vor. Anschließend nähere ich mich in einem zweiten Schritt dem Verständnis von Antirassismus aus einem rechtstheoretisch-kritischen Blickwinkel. Auf dieser theoretischen Grundlage werde ich in einem dritten Schritt im Abschnitt Strafnorm zur Rassendiskriminierung in der Kritik den Artikel 261bis und seine Praxis einer kritischen Analyse unterziehen. Gestützt auf die Ergebnisse ziehe ich in der Schlussbetrachtung Folgerungen für ein rassismustheoretisch fundiertes Verständnis zur Bedeutung von Recht für antirassistische Kämpfe in der postmigrantischen Gesellschaft.

Antirassismus aus Sicht der herrschenden Rechtsauffassung

Rassismus – ein unbestimmter Begriff des internationalen Soft Law

Rassismus ist ein Begriff, der im Völkerrecht sowie im innerstaatlichen Recht der Schweiz und ihrer Nachbarstaaten nicht etabliert ist. Genannt wird er in Form von begrifflichen Derivaten vor allem an zwei Stellen des RDÜ, namentlich in der Präambel („Racist doctrine“) und in Artikel 4a („racist activities“). Regelmäßig erwähnt wird der Rassismusbegriff sodann in einer Reihe von Dokumenten des internationalen Soft Law2 – insbesondere in den Grundlagen, die der UNO-Sonderbeauftragte für Rassismus und Fremdenfeindlichkeit entwickelt hat,3 sowie von der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz ECRI.4 Eine Definition von Rassismus erfolgt allerdings auch im Soft Law erst seit Kurzem und mit grosser Zurückhaltung, was im Wesentlichen damit begründet wird, dass der Rassismusbegriff historisch in Raum, Zeit und sozialen Kontexten differenziert betrachtet werden muss und politisch umstritten ist (FRB 2014: 12–17).5

Gemäß dem UNO-Sonderbeauftragten gegen Rassismus handelt es sich bei Rassismus um Vorurteile, Stigmatisierung, Marginalisierung und Diskriminierung von Mitgliedern ethnischer, religiöser, kultureller oder nationaler Minderheiten wie etwa Personen afrikanischer, arabischer und asiatischer Herkunft sowie Migrant*innen, Flüchtlinge, Asylsuchende und Personen, die zu nationalen Minderheiten gehören.6 Bezugnehmend auf die Internationale Arbeitsorganisation und die Internationale Migrationskommission definierte er erstmals im April diesen Jahres Rassismus als „an ideological construct that assigns a certain race and/or ethnic group to a position of power over others on the basis of physical an cultural attributes, as well as economic wealth, involving hierarchical relations where the ‚superior‘ race exercises domination and control over others“. Weitgehend ungeklärt ist das Verhältnis des Rassismusbegriffs zu ebenfalls im internationalen Soft Law verwendeten Begriffen wie Fremdenfeindlichkeit („Xenophobia“),7 Islamophobie („Islamophobia“),8 Christianophobie („Christianophobia“),9 „damit verbundene Intoleranz“ („related intolerance“)10 und Diffamierung von Religionen („Defamation of Religion“).11

Die Eidgenössische Fachstelle für Rassismusbekämpfung FRB formulierte in einer Analyse des internationalen Rechts 2014 einen Begriffsvorschlag mit Blick auf die Schweiz. Demnach bezeichnet Rassismus ein strukturell verankertes Stereotyp, das sich dadurch kennzeichnet, dass Menschen auf der Grundlage phänotypischer Merkmale und/oder aufgrund tatsächlicher oder zugeschriebener kultureller Eigenschaften und/oder aufgrund der nationalen und regionalen Herkunft sowie der fahrenden Lebensform in Gruppen mit bestimmten sozialen, physischen oder psychischen Eigenschaften eingeteilt werden, aufgrund dessen sie als minderwertig gelten und/oder eine Benachteiligung beim Genuss von Rechten legitimiert bzw. bewirkt wird (FRB 2014: 16–20).

Rassendiskriminierung – ein etablierter Begriff im Völker- und Verfassungsrecht

Anders als beim Rassismusbegriff ist der Begriff der Rassendiskriminierung im Völker- und Verfassungsrecht zentral.12 Gemäß Artikel 1 RDÜ erfasst Rassendiskriminierung („racial discrimination“)

„jede auf der Rasse, der Hautfarbe, der Abstammung, dem nationalen Ursprung oder dem Volkstum beruhende Unterscheidung, Ausschließung, Beschränkung oder Bevorzugung, die zum Ziel oder zur Folge hat, dass dadurch ein gleichberechtigtes Anerkennen, Genießen oder Ausüben von Menschenrechten und Grundfreiheiten im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen oder jedem sonstigen Bereich des öffentlichen Lebens vereitelt oder beeinträchtigt wird.“

Ebenfalls unter Rassendiskriminierung fallen ungerechtfertigte Benachteiligungen aufgrund der Religionszugehörigkeit, soweit sie als Formen der biologistischen oder kulturalistischen Rassendiskriminierung qualifiziert werden können (wie dies z.B. beim Antisemitismus und antimuslimischen Rassismus der Fall ist,13 anders als z.B. bei der Christianophobie).

Im Gegensatz zum Rassismusbegriff14 scheint der Begriff der Rassendiskriminierung das Bedürfnis sozialer Gruppen bzw. ihrer Rechtssysteme zu unterstützen, Verstöße gegen individuelle Rechtsgüter als personal, institutionell, örtlich, zeitlich bzw. sektoriell konkret verortbare Rechtsbrüche zu fassen. Allerdings ist auch der völkerrechtliche Diskriminierungsbegriff offen für strukturelle Phänomene und für die Komplexität gesellschaftlich wirkmächtiger Ungleichheitsbedingungen. So wird regelmäßig von struktureller und tatsächlicher Diskriminierung sowie von Stigmatisierung gesprochen, ohne jedoch abschließende Definitionen der Begrifflichkeiten vorzulegen (FRB 2014: 27–56). Der Begriff der strukturellen Diskriminierung hebt hervor, dass Diskriminierung und die Bemühung zur wirksamen Durchbrechung institutioneller Ausschlussmechanismen stets aus einer langfristigen historischen Perspektive betrachtet werden müssen, wobei es sich um Diskriminierungen handelt, die nicht als fassbare Handlungen und Rechtsakte mit eindeutiger institutioneller und personaler Verantwortung sowie zeitlicher Verortung isoliert werden können. Gemeint sind lebensweltliche Domänen, in denen Weiße15 gegenüber People of Color (im Folgenden PoC) privilegiert sind und Antidiskriminierungsmaßnahmen gezielt auf Angehörige diskriminierter Gruppen auszurichten sind (Kennedy 2013).

Im Zuge dieser völkerrechtlichen Entwicklungen hat sich der Begriff der Rassendiskriminierung auch im nationalen Verfassungsrecht etabliert.16 Ebenso wurde er in verschiedene Grundlagen des nationalen Verwaltungs- und Privatrechts integriert, wobei hier regelmäßig auch von ethnisch-kultureller Diskriminierung gesprochen wird. Auch wenn nicht dieselben Begriffe verwendet werden und die landesspezifischen Verständnisse nicht gänzlich übereinstimmen, handelt es sich im Wesentlichen um Verbote der Benachteiligung aufgrund von physiognomischen sowie ethnisch-kulturellen Eigenschaften, die nicht mittels qualifizierter Gründe gerechtfertigt werden können. Demgegenüber ist das strafrechtliche Verständnis von Rassendiskriminierung enger.

Rassendiskriminierung – ein restriktives Verständnis im Strafrecht

Aus völkerrechtlicher Sicht kommt dem Strafrecht die Funktion zu, besonders schwerwiegende Formen der Rassendiskriminierung zu sanktionieren. Dieses restriktive strafrechtliche Verständnis von Rassendiskriminierung hängt mit den potenziell gravierenden sozialen Folgen für die Verurteilten zusammen. Es ist darauf zu achten, dass mit der harten Hand des Strafrechts nicht auf unverhältnismäßige Weise in die Meinungs(äußerungs)freiheit, Privatsphäre und Wirtschaftsfreiheit eingegriffen wird.17 Konkret lässt sich der strafrechtliche Begriff der Rassendiskriminierung aus der Perspektive des Völkerrechts wie folgt eingrenzen:

Gemäß Art. 4 lit. a RDÜ sind die Vertragsstaaten verpflichtet,

„jede Verbreitung von Ideen, die sich auf die Überlegenheit einer Rasse oder den Rassenhass gründen, jedes Aufreizen zur Rassendiskriminierung und jede Gewalttätigkeit oder Aufreizung dazu gegen eine Rasse oder eine Personengruppe anderer Hautfarbe oder Volkszugehörigkeit sowie jede Unterstützung rassenkämpferischer Betätigung einschließlich ihrer Finanzierung zu einer nach dem Gesetz strafbaren Handlung zu erklären.“ (vgl. FRB 2014: 82–103)

Bei der Beurteilung, ob sogenannter Hate Speech vorliegt, sind soziale Kontextfaktoren wie Inhalt und Form der Äußerung zu berücksichtigen und darüber hinaus das ökonomische, soziale und politische Klima, die Position oder der Status des Sprechenden, die Reichweite der Äußerung sowie das Ziel der Äußerung.18 Ferner sind die Vertragsstaaten nach Art. 4 lit. b RDÜ verpflichtet, die Beteiligung an Organisationen oder Tätigkeiten, die mittels Propagandaaktionen Rassendiskriminierung fördern und dazu aufreizen, als eine nach dem Gesetz strafbare Handlung anzuerkennen.

Unterhalb der Schwelle strafrechtlich sanktionierbarer Rassendiskriminierung sind die Vertragsstaaten gemäß Art. 5 RDÜ verpflichtet, die Rassendiskriminierung in jeder Form „zu verbieten und zu beseitigen und das Recht jedes einzelnen, ohne Unterschiede der Rasse, der Hautfarbe, des nationalen Ursprungs oder des Volkstums, auf Gleichheit vor dem Gesetz“ mittels anderweitiger rechtlicher sowie administrativer Maßnahmen als jenen des Strafrechts zu gewährleisten. Dabei haben die Staaten drei grundsätzliche Verpflichtungen, wie die folgenden Ausführungen zeigen.

Antirassismus aus Sicht des Völkerrechts – drei zentrale Verpflichtungen

Gemäß Art. 2 Abs. 1 lit. a–c RDÜ sind die Vertragsstaaten im Rahmen der sogenannten duty to respect (Unterlassungspflichten) verpflichtet, „Handlungen oder Praktiken der Rassendiskriminierung […] zu unterlassen und dafür zu sorgen, dass alle […] Behörden und öffentlichen Einrichtungen im Einklang mit dieser Verpflichtung handeln“ (lit. a) und „Rassendiskriminierung durch Personen oder Organisationen weder zu fördern noch zu schützen noch zu unterstützen“ (lit. b) sowie „das Vorgehen seiner […] Behörden zu überprüfen und alle Gesetze und sonstigen Vorschriften zu ändern, aufzuheben oder für nichtig zu erklären, die eine Rassendiskriminierung […] bewirken“ (lit. c).

Ferner sind die Vertragsstaaten gemäß Art. 2 Abs. 1 lit. d aus Sicht der duty to protect (Schutzpflichten) verpflichtet, „jede durch private Personen, Gruppen oder Organisationen ausgeübte Rassendiskriminierung mit allen geeigneten Mitteln einschließlich der durch die Umstände erforderlichen Rechtsvorschriften“ zu verbieten und beenden. Außerdem sind die Vertragsstaaten gemäß Art. 2 Abs. 1 lit. e im Sinne der duty to fulfil (Gewährleistungspflichten) verpflichtet, „wo immer es angebracht ist, alle eine Rassenintegrierung anstrebenden vielrassischen Organisationen und Bewegungen zu unterstützen, sonstige Mittel zur Beseitigung der Rassenschranken zu fördern und allem entgegenzuwirken, was zur Rassentrennung beiträgt“ (lit. e).

Sodann treffen die Vertragsstaaten „wenn die Umstände es rechtfertigen, auf sozialem, wirtschaftlichem, kulturellem und sonstigem Gebiet besondere und konkrete Maßnahmen, um die angemessene Entwicklung und einen hinreichenden Schutz bestimmter Rassegruppen oder ihnen angehörender Einzelpersonen sicherzustellen, damit gewährleistet wird, dass sie in vollem Umfang und gleichberechtigt in den Genuss der Menschenrechte und Grundfreiheiten gelangen.“ Dabei handelt es sich zum einen um sogenannte weiche Maßnahmen der Sozialgestaltung, wie z.B. solche im Bereich des Diversity Mainstreaming, sowie zum anderen um Maßnahmen zur gezielten Förderung von strukturell diskriminierten Gruppenangehörigen, wie insbesondere positive Massnahmen bzw. Affirmative Action. Hierzu gehören auch Maßnahmen organisatorischer Natur wie z.B. Fachstellen und Kommissionen.

Antirassismus aus Sicht der Critical Race Theory

Theoretisches Vorverständnis zur Verortung von Recht – zwischen Dominanz und Emanzipation

In Der Wille zum Wissen beschreibt Michel Foucault das Recht als einen machtvollen Komplex, der sich mit anderen mächtigen Diskursen zu einer Formation verschränkt, die individuelles und kollektives Verhalten durch Normalisierung formt und steuert (Foucault 1976). Diesem Verständnis nach kann sich Recht nicht darauf beschränken, Beziehungen zwischen scheinbar autonomen Individuen mit Rechten und Pflichten durch Verbote und Repression zu regeln (Moebius 2008); vielmehr hat Recht produktive, agonale und antagonistische Dimensionen von Macht in den Blick zu nehmen (Buckel 2006: 78). Daher ist es Aufgabe von Rechtstheorie, die „Janusköpfigkeit des Rechts […] als Mittel des Zwangs und der Herrschaft“ zu erkennen und gleichzeitig „als Mittel der Befreiung und Weg zu neuen Handlungsmöglichkeiten“ bestmöglich in Position zu bringen (Fuchs/Berghahn 2012: 11f.).

Die Theoretisierung von Recht als Antagonismus und komplexes Verhältnis von Dominanz und Emanzipation gehört zu den grundlegenden Prämissen rassismuskritischer Rechtstheorien. Von Bedeutung sind insbesondere die konstruktivistischen Ansätze der in den USA begründeten Critical Race Theory (vgl. Crenshaw et al. 1996), die neo-materialistischen und poststrukturalistischen Rechtskritiken (vgl. Buckel 2006; Liebscher et al. 2012) und die Postcolonial Theories of Law (vgl. Darian-Smith 2013). Diese machtanalytischen Perspektiven auf Recht fragen danach, wie in Abgrenzung zu den liberalen und affirmativen Konzeptionen, die Rassismus als individuelle Fehlleistung (Einstellungs- und Verhaltensrassismus) begreifen, das Recht zur Bekämpfung von Rassismus genutzt werden kann – wobei Rassismus hier als transnationales strukturelles Dominanzverhältnis verstanden wird, das sich je in nationalen Kontexten konkretisiert und spezifiziert. Diesem strukturellen Verständnis entsprechend manifestiert sich Rassismus durch epistemisch-diskursive, institutionell-praxeologische und personale Dimensionen.

Rassismus – strukturelle Dominanzverhältnisse

Wegweisend für die kritische rechtstheoretische Perspektive auf Rassismus ist die Critical Race Theory CRT (vgl. Crenshaw et al. 1996; Haney-López 2006). Sie analysiert das Recht im Lichte rassifizierter Erfahrungen und Interessen (vgl. Lembke/Liebscher 2014; Maihofer 1992). Diesem Verständnis nach handelt es sich bei Rassismus um komplexe und nach Ort und Zeit variable soziale Verhältnisse, in denen unterschiedliche Phänomene der Stereotypisierung, Benachteiligung und Stigmatisierung zum Tragen kommen, die – anknüpfend an geno- und phänotypische Merkmale – in biologistischen und kulturalistischen Differenzzuschreibungen gründen (vgl. auch FRB 2014). Dabei zeigen sich Rassismen nicht als unikategoriale und homogene Ausprägung, sondern sind abhängig von Herkunft, Lebensalter, Geschlecht, körperlicher, geistiger, psychischer Konstitution sowie soziökonomischer Stellung und manifestieren sich auf je spezifische, intersektionelle bzw. interdependente Weise (Crenshaw 1991).

Diesen konstruktivistischen Ansätzen der internationalen Rassismusforschung folgend, bildet Rassismus nicht in erster Linie eine Häufung von individuellem Fehlverhalten auf der Grundlage von Vorurteilen, sondern ist ein strukturelles Phänomen. Rassismus gründet in einer langfristigen historischen Perspektive im Zusammenwirken von gesellschaftlichen Narrativen hegemonialer Repräsentation und Normalisierung (epistemisch-diskursives Strukturelement), diskriminierender institutioneller Praxen (institutionell-praxeologisches Strukturelement) und der Konstruktion stigmatisierter Subjekte (personal-subjektivierendes Strukturelement) (vgl. Haney-López 2006). Die Narrative, Institutionen, Praxen und Subjektpositionen sind sowohl kulturell und ideologisch als auch durch die ökonomischen Produktionsverhältnisse geprägt (Bell 2008: 8–16). Hier kommt insgesamt eine Logik zum Tragen, in der eine dominante soziale Gruppe ihre eigenen Bedürfnisse nach Identität und Wohlstand über Fremdheitskonstruktionen abzusichern versucht (vgl. Delgado/Stefancic 2012: 46–57; Cole 2009: 30ff.).

Das Recht ist aus dieser Perspektive nicht außerhalb verortet, sondern integraler Bestandteil rassistischer Dominanzverhältnisse. Es ist weiß strukturiert, weil es hinter dem „Deckmantel der Neutralität“ (Gotanda 1991) dazu beiträgt, dass ökonomische und kulturelle Privilegien zementiert werden. Durch diese Verstrickungen des Rechts in das ideologisch-ökonomische Kräftewirken („complicity“) werden rassistische Machtverhältnisse perpetuiert (Bell 2008: 5–19). Die Ideologie der kulturellen Homogenität und das Credo der Liberalität fließen in die Entwicklung dominanter Normalitätsvorstellungen ein (Williams 1991). Ein Beispiel aus der Praxis des schweizerischen Bundesgerichts ist die Verurteilung der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus wegen Persönlichkeitsverletzung, weil die Stiftung eine antimuslimische rassistische Aussage öffentlich als „verbalen Rassismus“ bezeichnet hatte.19 Das Bundesgericht argumentierte im Wesentlichen damit, dass die Aussage aus Sicht der gesellschaftlichen Durchschnittsperspektive nicht als Rassismus wahrgenommen wird, womit es im Kern gesellschaftlichen Rassismus zementiert (vgl. Naguib 2013).

Als Zwischenergebnis kann festgehalten werden, dass die Begriffskonzeption der hier skizzierten konstruktivistischen Legal Race Critique einem Rassismusverständnis folgt, das Rassismus als ein strukturelles Phänomen von sozialen Machtverhältnissen begreift, die sowohl durch kulturelle Ideologien als auch ökonomische Produktionsverhältnisse geprägt sind. Demgegenüber ist das völker- und verfassungsrechtliche Verständnis von Rassismus bzw. Rassendiskriminierung weniger differenziert entwickelt, zugleich bleibt es jedoch angesichts der Begriffsterminologien der indirekten, strukturellen und faktischen Diskriminierung offen für Interpretationen im Sinne der internationalen Rassismusforschung.

Hieran anschließend widme ich mich im Folgenden der Frage, wie das Recht als Instrument zur Intervention gegen Rassismus theoretisch zu fassen ist. Wo muss (Antirassismus-)Recht ansetzen, damit es gelingt, einen produktiven Beitrag zur Bekämpfung von Rassismus zu leisten?

Antirassismus – Dehierarchisierung durch drei Machtdimensionen

Ich gehe vom skizzierten Rassismus-Verständnis als einem strukturellen Dominanzverhältnis aus, das die gesellschaftlichen Verhältnisse durch diskursive und institutionelle Strukturdimensionen durchdringt und dabei rassialisierte Subjekte bzw. Körper hervorbringt (Moebius 2008: 162). Demnach hat Recht, um Rassismus wirksam bekämpfen zu können, auf eben diesen Strukturdimensionen der Episteme, der Institutionen und des Subjekts anzusetzen. Notwendig ist ein Recht, das den Zugang zur Gleichheit nicht nur auf formale Gleichheitsgebote beschränkt, sondern – im Sinne der Kritik der color blindness / Farbenblindheit (Freeman 1978: 29–45; Gotanda 1991: 1ff.) – auch tatsächlich gewährleistet (Peller 1990).

Mit Blick auf die institutionell-praxeologische Dimension besteht eine zentrale Aufgabe des Rechts darin, rassistische Praxen zu unterbinden. Dies gelingt konstruktivistischen Ansätzen zufolge zum einen durch die theoretisch fundierte Konzeption von komplementär ineinandergreifenden Diskriminierungsverboten im Verwaltungs-, Privat- und Strafrecht (Matsuda 1989: 2320ff.), einem niedrigschwelligen Rechtsschutz, wirkmächtiger Kontrolle und effektiver Sanktionierung von Rechtsbrüchen und deren Vollzug. Zum anderen braucht es positive Maßnahmen wie z.B. Quotenregelungen, um die Repräsentation von PoCs an institutionellen Entscheidungspositionen in staatlichen und privaten Organisationen zu verbessern (Bell 2007). Zentral ist ferner, die rechtlichen Instrumente auf die Auswirkungen intersektioneller Machtverhältnisse hin auszuweiten (Crenshaw 1991), indem Verbote rassistischer Diskriminierung als Verbote multipler Diskriminierung konzipiert werden.

Aus Sicht der epistemisch-diskursiven Dimension besteht eine weitere wichtige Aufgabe von Recht darin, rassistisches Wissen durch subversive, denormalisierende und entstigmatisierende Diskursinterventionen herauszufordern. Während die herrschende Rechtstheorie auf die symbolische Bedeutung von Verboten und Geboten für die Wertestabilisierung verweist (vgl. etwa Kindermann 1988: 222), spreche ich in diesem Zusammenhang poststrukturalistisch gewendet von der Funktion der subversiven Reartikulation/Resignifizierung (vgl. Naguib 2012: 180). Hier soll über eine Wertestabilisierung in Richtung einer Werte- und Wissenstransformation hingewirkt werden, die hierarchiefrei ist. Demnach hat Recht die Funktion, Spielräume für gegenhegemoniale Widerrede, Neu- und Andersbilder zu schaffen mit der Absicht, die Repräsentation ethnisch-kultureller und antirassistischer Vielfalt als Normalität in der diskursiven Wissensproduktion zu ermöglichen (i.S.v. Hall 1997).

Mit Bezug zur personal-subjektivierenden Dimension hat Antirassismusrecht die Aufgabe, Rassismus als Unrecht zu benennen und die Betroffenen im Umgang mit Recht zu ermächtigen. Dies soll rassialisierte Subjekte in die Lage versetzen, ihre Subjektpositionen mit Gefühlen wie „Wut, Ohnmacht, Scham, Selbstzweifel, Verletztheit, Unsicherheit, Schwäche, Demütigung, Überrumpelung, Trauer, Hilflosigkeit, Sprachlosigkeit“ (Bartel 2013: 6) in eine Kraft der Selbstbestimmung und des Widerstands zu transformieren. Demnach ist Recht ein Mittel, das Spielräume der Emanzipation und Denormalisierung eröffnet.

Strafnorm zur Rassendiskriminierung in der Kritik

Die Ausgangsthese der vorliegenden Überlegungen war, dass Recht einerseits einen Beitrag leisten kann, um Rassismus zu bekämpfen, andererseits aber die Tendenz besteht, den Fokus auf bestimmte Formen der Rassendiskriminierung zu verengen und damit antirassistische Kämpfe zu schwächen. Um daher die komplexen Funktions- und Wirkungsweisen von Antirassismusrecht zu verstehen, braucht es eine Theoretisierung des Verhältnisses von Recht und Antirassismus, auf deren Grundlage das Programm rechtlicher Regularien gegen Rassismus kritisch untersucht und weiterentwickelt werden kann. Angesichts EU-weiter Debatten um Antidiskriminierungsrecht und dessen Bedeutung für transnationale und transdisziplinäre Kämpfe, ist die Auseinandersetzung nicht nur mit Blick auf die Schweiz von Relevanz.

Die folgenden drei Leitfragen stehen im Zentrum der Untersuchung: Ist Artikel 261bis StGB ein geeignetes Instrument,

  • um rassistisch diskriminierende institutionell-organisatorische Regeln und Praxen sowie daraus resultierende individuelle Diskriminierungshandlungen zu adressieren (institutionell-praxeologische Dimension)?
  • um eine Transformation historisch gewachsener rassistischer Narrative in rassismusfreies bzw. antirassistisches Wissen zu unterstützen (epistemisch-diskursive Dimension)?
  • um rassifizierte/rassialisierte Subjekte zu ermächtigen, Selbstbestimmung zu erfahren und diskriminierungsfreie Anerkennung und Teilhabe einzufordern (personal-subjektivierende Dimension)?

Die folgenden Ausführungen stützen sich empirisch auf die Gerichtspraxis sowie auf sozialwissenschaftliche und kriminologische Studien. Ergänzend berücksichtigt werden Erfahrungen aus meiner Arbeit als Forscher, Berater von Rassismusbetroffenen, Trainer für Behörden und NGOs sowie in strategischer Prozessführung bzw. strategic human rights litigation.

Institutionell-praxeologische Dimension

Hohe Dunkelziffer

Die EKR hat in ihrer Urteilssammlung zwischen 1995 und 2013 665 Rechtsverfahren dokumentiert.20 Es ist jedoch von einer Verzerrung der Datenlage auszugehen, da die kantonalen Gerichte und Staatsanwaltschaften einzig dazu verpflichtet sind, Einstellungsverfügungen, Strafbefehle, Verurteilungen und Freisprüche zu melden.21 Dadurch entsteht der Eindruck, dass die Staatsanwaltschaften auch bei noch so aussichtslosen Strafanzeigen ein Verfahren einleiten und nur in seltenen Fällen eine Nichtanhandnahme (Nichteröffnung der Voruntersuchung aufgrund offensichtlicher Aussichtslosigkeit) verfügen würden, obwohl vom Gegenteil auszugehen ist. Gemäß der Juristin der EKR fehlen bei den Entscheiden ca. fünfzig Prozent der Verurteilungen in der Urteilssammlung (Wiecken 2015: 60). Schätzungen in der rechtswissenschaftlichen Literatur gehen von insgesamt über tausend Rechtsverfahren aus, die bis Ende 2013 eingeleitet wurden (Naguib/Pärli et al. 2014). Zudem besteht eine hohe Dunkelziffer von potenziellen Straftaten, die aus unterschiedlichsten Gründen wie Unkenntnis, Scham, Unsicherheit etc. gar nicht erst zur Anzeige gelangen (Probst 2016; Naguib/Pärli et al. 2014). Die folgenden Ausführungen verdeutlichen die Schwierigkeiten der Rechtsdurchsetzung.

Hürden der Rechtsmobilisierung

Die Hürden der prozessualen Mobilisierung des strafrechtlichen Verbotes zur Rassendiskriminierung sind hoch. Das Risiko der öffentlichen Exponierung, die Dauer des Verfahrens, die abschreckende Autorität von staatlichen Prozessen, das finanzielle Risiko der Parteivertretung sowie die inadäquaten Rechtsfolgen sind Gründe dafür, dass das Anzeigeverhalten von Rassismusbetroffenen sowie Bystanders, Beratungsstellen, Menschenrechtsorganisationen und Interessenvertretern als niedrig eingeschätzt werden (Probst 2016; Naguib/Pärli et al. 2014). Außerdem besteht eine hohe Zurückhaltung bei Beratungsstellen, Ratsuchenden den Rechtsweg zu empfehlen. Ferner ist ein Anteil an den Nichtanhandnahmen und Einstellungen des Verfahrens auf die beweisrechtliche Anforderung in dubio pro reo zurückzuführen. Eine Reihe von Gründen führen dazu, dass Rechtsverstöße nicht adäquat untersucht werden bzw. Verfahren gar nicht eingeleitet werden (Naguib/Reimann 2015: 53). Erklärt wird dies zum einen mit den mangelnden Ressourcen und zum andern mit der Problematik des institutionellen Rassismus (Naguib 2015), der bis in die Strafverfolgungsbehörden hineinreicht (Ludewig/La Llave/Gross-de Matteis 2012).

Enges Rassismusverständnis

Wie bereits unter den völkerrechtlichen Ausführungen gezeigt, ist das strafrechtliche Rassismusverständnis aus Gründen der Meinungsäußerungsfreiheit vergleichsweise eng ausgerichtet. Gemäß der Praxis des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte und des schweizerischen Bundesgerichts dürfen Meinungen irritieren, provozieren und stören, ja gar verletzen.22 Vereinfachungen, Übertreibungen und Generalisierungen, die Personengruppen auf rassistische Weise in ein negatives Licht rücken sind möglich, soweit sie nicht hetzerisch wirken. Der Meinungsäußerungsfreiheit wird insbesondere im Rahmen von politischen Auseinandersetzungen viel Raum gelassen. Mit Blick auf die Rassismusstrafnorm als rechtlich zulässig qualifiziert wurden etwa ein Abstimmungsplakat mit der Aussage Kontaktnetz für Kosovoalbaner Nein23 sowie das bekannte SVP-Schäfchenplakat.

Auch die klassischen Strafrechtstheorien tendieren zu einer sehr eingeschränkten Perspektive. Gemäß der retributiven Strafrechtstheorie ist eine Strafe wegen Rassismus erst gerechtfertigt, wenn die Rassismushandlung zu einem metaphysischen Gerechtigkeitsdefizit im sozialen Gefüge führt, der einen Ausgleich in Form einer Zufügung eines Gegenübels erfordert (zur Kritik der Strafe vgl. Günther 2004). Demgegenüber betont die ­restaurative Strafrechtstheorie, dass der Zweck der Strafe in erster Linie darin liegt, Leidenserfahrung anzuerkennen und wiedergutzumachen. Dies eröffnet im Vergleich zu den klassischen Ansätzen eine gewisse Ausweitung des strafrechtlichen Verständnisses von Rassismus auf die Perspektive der Betroffenen, was aus rassismuskritischer Perspektive zu begrüßen ist (vgl. Bojadžijev 2015; Yalçin 2015).

In gesetzeskonzeptueller sowie rechtstatsächlicher Hinsicht beschränkt sich die schweizerische Strafnorm auf krasse Formen von Diskriminierungen „aufgrund der Rasse, Ethnie oder Religion“. Verboten ist die diskriminierende Verweigerung von Leistungen, die für die Allgemeinheit bestimmt sind. Bisher kam es in vier von zwanzig Fällen zu Schuldsprüchen wie zum Beispiel betreffend der Aussage „I don’t want people from your country“ einer Boutiqueverkäuferin gegenüber einer Schwarzen Kundin.24 Wohnen und Arbeiten gelten nicht als Leistungen, die für die Allgemeinheit bestimmt sind, und fallen somit nicht in den Geltungsbereich der Strafnorm.

Rechtswidrig sind außerdem eine Reihe von Hate Speech-Tatbeständen. Für die Beurteilung eines Vorfalles sind nicht die tatsächlich verwendeten Ausdrücke je für sich allein genommen entscheidend, vielmehr ist die Aussage nach dem Sinn zu würdigen, der sich aus dem sozialen Gesamtkontext ergibt.25 Dabei sind die Äußerungen aus der Sicht unbefangener Durchschnittsadressat*innen unter den konkreten Umständen zu beurteilen.

Bestraft wird weiterhin der Aufruf zu Hass oder zur Diskriminierung einzelner Gruppen.26 Als rechtswidrig bezeichnet wurde etwa die Aussage „Alle Albaner und UÇK-Mitglieder sind zu verbrennen und zu vernichten“.27 Aus Sicht der entscheidenden Instanz als rechtskonform gilt demgegenüber ein Brief im Nachgang des Kenia-Massakers, in welchen die Attentate als abscheulich und „das letzte Beispiel für die islamistisch-arabisch-palästinensischen Wahnsinns-Schlächtereien gegen die jüdisch-israelische Zivilbevölkerung“ bezeichnet wurden.28 Verboten sind gemäß geltender Praxis lediglich Äußerungen, die dazu bestimmt und geeignet sind, gegenüber Menschen eine feindliche Grundhaltung zu erzeugen.

Des Weiteren verbietet die Strafnorm die Verbreitung rassistischer Ideologien.29 Strafbar ist zum Beispiel die Aussage „Die Juden planen eine Verschwörung gegen den Rest der Welt. Sie sind für alles Übel auf der Welt verantwortlich“.30 Als rechtmäßig qualifiziert wurde in einem Solothurner Urteil die Aussage in einer Medienmitteilung der Freiheitspartei Schweiz „Die A.-Partei weist darauf hin, dass u.a. die Einwanderer aus dem Kosovo einen unverhältnismäßig hohen Anteil an der zunehmenden Gewaltbereitschaft und Kriminalität in der Schweiz haben“.31 Auf eine Anzeige wegen der in der Fernsehsendung Arena vorgenommenen Äußerung „Vergleichen Sie keine Tamilen und […]? mit Bielern und […]?, denn dies haben eine viel größere Kriminalitätsrate als wir“ trat die Strafuntersuchungsbehörde erst gar nicht ein.32 Unzulässig ist einzig, wenn Menschengruppen in direkter, unmissverständlicher Weise kriminelles oder schwer unehrenhaftes Verhalten vorgeworfen wird.

Bestraft wird außerdem die an ein Individuum oder eine Gruppe gerichtete rassistische Herabsetzung durch Wort, Schrift, Bild, Gebärden, Tätlichkeiten.33 Beispiele aus der Praxis sind etwa die Aussagen „Raus mit den Scheißjugos“, „Descendre tous les nègres“, „Islam verrecke!“. Als rechtlich zulässig qualifizierte das Bundesgericht die Beschimpfung als „Sau- und Drecksausländer“ mit der Begründung, solche Äußerungen würden vom unbefangenen durchschnittlichen Dritten als mehr oder weniger primitive fremdenfeindlich motivierte Ehrverletzungen, aber nicht als rassistische Angriffe auf die Menschenwürde aufgefasst.34 Gemäß Praxis liegt eine Herabwürdigung nur vor, wenn der Angegriffene als „Mensch zweiter Klasse behandelt wird“. Strafbar ist ferner das Leugnen, Verharmlosen und Rechtfertigen von Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Strafbar sind nur Handlungen, die öffentlich erfolgen, d.h. ausschließlich „wenn sie von unbestimmt vielen Personen oder von einem größeren, nicht durch persönliche Beziehungen zusammenhängenden Personenkreis wahrgenommen werden können“35 bzw. die „konkrete Möglichkeit einer Wahrnehmung des Vorfalls durch unbeteiligte Dritte bestehe“.36 Zudem stellt sich in der Praxis das Problem, dass nur Angriffe „wegen der Rasse, Ethnie oder Religion“ rechtswidrig sind. Was genau darunter fällt, ist nicht immer klar. Personen aus dem Balkan wurden einmal als Ethnie verstanden,37 ein anderes Mal in einem Fehlentscheid allerdings nicht.38 In der Regel gemäß Bundesgericht nicht strafbar sind diskriminierende Äußerungen über „Ausländer“ und „Asylsuchende“39 (vgl. Niggli 2007; Naguib 2015), und das obwohl ein substanzieller Teil der dominanzkulturellen Fremdkonstruktion über diese Figuren läuft.

Kritische Anmerkungen

Die Ausführungen haben gezeigt, dass die Schranken der Strafbarkeit von Rassismus hoch sind. Die Gründe liegen sowohl im engen Rassismusverständnis als auch in den Hürden der Rechtsmobilisierung. Was etwa ist mit institutionellen Diskriminierungen sowie rassistischen Narrativen über Fremde, die vom Strafrecht nicht erfasst werden? Wie kann mit dem für die Schweiz empirisch erhärteten Problem umgegangen werden, dass etwa „muslimische Männer“ für „unkooperatives“ Verhalten vielfach stärker sanktioniert werden als andere Gruppen (Honegger 2013). Empirische Studien zu rassistischer Ausgrenzungen gibt es auch zur Einbürgerung (Hainmüller/Hangartner 2013), zum Wohnungsmarkt (Jann/Seiler 2014) und Arbeitsmarkt (Fibbi 2006), in der Schule sowie beim Übertritt in die Berufsbildung (Haenni Hoti 2015), ja gar in der Justiz (Ludewig/La Llave/Gross-de Matteis 2012; Naguib 2013). All diesen Formen des Rassismus kann mit der Rassismusstrafnorm und dem Strafrecht kaum wirkmächtig entgegengetreten werden, entweder weil die Handlungen nicht unter das Rassismusverständnis fallen, oder weil die Diskriminierungshandlungen im konkreten Einzelfall nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden, wie es vom Strafprozessrecht verlangt wird.

Hinzu kommt die Schwierigkeit, dass Rassismen nicht an offenen Kategorien wie „Rasse“, „Ethnie“ und „Religion“ haltmachen, wie es von der Strafnorm verlangt wird, sondern regelmäßig über Kategorien wie „Nationalität“, „Ausländer“, „Asylsuchender“ vermittelt und verhandelt werden. Ferner kommt Rassismus nicht im Korsett von „Rasse, Ethnie und Religion“ daher, sondern manifestiert sich historisch variabel auf intersektionelle/interdependente Weise, was allerdings in der Praxis nicht berücksichtig wird. Offensichtlich war dies etwa in einem Fall der Staatsanwaltschaft Aarau von 2006, in welchem es um die animalisierende Anrufung „Schwarzer Männlichkeit“ ging. Zwei junge Männer wurden mit den Worten „Wenn man diese schwarzen Sauböcke zwingen würde 8 Stunden am Tag zu arbeiten, das würde ihnen dieses Herumbocken schon verleiden […]“ angegriffen.40 Eine weitere evidente Intersektionalität hatte die Staatsanwaltschaft im Kanton Zürich zu beurteilen, namentlich eine Spuck- und Verbalattacken sowie Sachbeschädigungen gegenüber Asylbewerbern im Rollstuhl als ableistische Form von Rassismus41: „Du Paraplegiker“, so die inkriminierten Worte, „Was machen Sie da in der Schweiz, gehen Sie zurück nach Hause. Deine Monkeyfamilie wartet auf dich“. Im Kanton Luzern waren die Aussagen „muslimische Schlampe“ und „islamische Terroristin“ zu beurteilen.42

Die enge Perspektive der Strafnorm auf Rassismus wirkt sich auf die Gesellschaft und nicht zuletzt (potenziell) auf antirassistische Akteure aus. Rassismus wird hier nicht selten mit Verstößen gegen die Rassismusstrafnorm gleichgesetzt. Was nicht strafbar ist, ist auch nicht rassistisch – so die verbreitete Annahme. Das Bewusstsein für rassismuswirksames Handeln bzw. Strukturen jenseits der rassistischen Straftat ist in der Schweiz gesellschaftlich wenig ausgeprägt. Auch andere antirassistische Akteure beschränken sich allzu oft auf den strafrechtlichen Rassismusbegriff. Betroffene erhoffen sich eine Verurteilung und sind enttäuscht, wenn dies nicht geschieht. Behörden rekurrieren auf die Strafnorm, wenn sie von Rassismus sprechen, Medien ebenfalls. Die erste Frage von Journalist*innen lautet vielfach: Verstößt dies gegen die Rassismusstrafnorm, anstatt: War das rassismuswirksam, worin liegt der Rassismus, woher kommt er, was bewirkt er? Und wie bereits an anderer Stelle gezeigt wurde, ist auch das oberste Schweizer Gericht nicht davor gefeit, institutionellen Rassismus zu zementieren, wenn es die öffentliche Rassismuskritik als Persönlichkeitsverletzung qualifiziert und dies mit dem gemutmaßten gesellschaftlichen Konsens eines engen Rassismusverständnisses begründet.

Neben diesen bedeutenden Einschränkungen für Rassismusbetroffene, sich rechtlich zur Wehr zu setzen, stellt sich die weiterführende Frage: Welches Wissen über Rassismus und Antirassismus, ihre Bedeutungen sowie sozialen Bedingungen und Ursachen wird hier repräsentiert (i.S.v. Stuart Hall’s Konzept der Produktion von kultureller Bedeutung durch Sprache: Hall 1997)?

Epistemisch-diskursive Dimension

Repräsentation

Eine potenzielle Wirkung strafrechtlicher Diskriminierungsverbote liegt darin, die Repräsentation von Interessen und Erfahrungen von Menschen, die von Diskriminierung betroffen sind, zu unterstützen. Empirische Untersuchungen liegen hierzu (noch) keine vor. Zu überprüfen wäre etwa die Frage, ob bzw. inwiefern Strafrecht aufgrund seiner doppelten symbolischen Autorität (Staat und Strafe) in besonderer bzw. spezifischer Weise geeignet ist, Diskriminierung als Teil des gesellschaftlichen Zustandes sichtbar zu machen und Diskriminierungserfahrung als gewichtigen Aspekt der Lebensrealität Betroffener im gesellschaftlichen Diskurs zu repräsentieren. In diesem Zusammenhang ebenfalls zu analysieren wären die Auswirkungen des bereits dargelegten engen Rassismusverständnisses sowie der eingeschränkten Rechtsmobilisierung auf die Repräsentationsfunktion bzw. -wirkung.

Wertestabilisierung

Ein weiteres wichtiges Forschungsdesiderat ist die Frage nach der kulturell normierenden Wirkung des Strafrechts bzw. inwiefern es dazu beträgt, das Prinzip der Nichtdiskriminierung als gesellschaftlichen Wert zu stabilisieren. Strafrechtstheoretisch betrachtet wird durch die Strafnorm die Erwartung jener innerhalb der Dominanzgesellschaft bzw. der qualitativen Mehrheit gestützt, die darauf vertrauen, dass der Rechtsstaat das Prinzip der Nichtdiskriminierung durchsetzt. Im Wesentlichen geht es um die Frage, ob durch die Autorität der Strafnorm verdeutlicht wird, dass Diskriminierungsverbote nicht als Leerformeln abstrakter materieller Verfassungsprinzipien ihr Dasein fristen, sondern als konkrete Verbote mit spürbaren symbolischen und instrumentellen Konsequenzen wirken. Aus der kriminologischen Forschung ist bekannt, dass sowohl innerhalb der Gesellschaft als auch bei den Betroffenen weniger die Strafe als Sanktion im Mittelpunkt steht, als vielmehr die Vorstellung darüber, dass durch die strafrechtliche Sanktion die Tat ernst genommen wird und die Tatperson Reue zeigt.

Wertetransformation

Ebenso ungeklärt ist die Frage, inwieweit das Strafrecht über die Repräsentation von Rassismusbetroffenheit und Wertestabilisierung hinaus eine Transformation von Werten entfalten kann. Beobachtet werden kann, dass seit Inkrafttreten der Strafnorm über Rassismus und Antirassismus kontrovers diskutiert wird (Probst 2016; Niggli 2007) und sie auch als Argument angeführt wird, um eine Reihe von Antidiskriminierungsmaßnahmen anzustoßen (Naguib/Pärli et al. 2014). Auch wenn zu den Wirkungszusammenhängen keine Studien vorliegen, besteht theoretisch der Anspruch, dass strafrechtliche Diskriminierungsverbote dazu beitragen, dass sich Menschen mit dem Phänomen der Diskriminierung auseinandersetzen und sich Werte verändern. Diese positive Wirkung auf das Einüben von Normtreue und Wertetransformation setzt allerdings voraus, dass mit dem Strafrecht die Produktion von Gegen-, Neu- und Anderswissen gefördert wird und dies dazu führt, dass Diskriminierungen auch unterhalb der Schwelle der Strafbarkeit als ein gesellschaftlich gewichtiges Problem anerkannt werden.

Kritische Anmerkungen

Die potenzielle Wirkmächtigkeit der Strafnorm zur Rassendiskriminierung ist insofern problematisch, als dadurch ein sehr enges gesellschaftliches Verständnis von Rassismus und Antirassismus unterstützt wird. Dies betrifft sowohl die Definition und Ursachen von Rassismus als auch die Verantwortung für und die Tragweite antirassistische(r) Maßnahmen: Im schlechtesten Falle wird Rassismus ausschließlich als strafrechtlich relevanter Rassismus verstanden und Antirassismus als strafrechtliche Sanktionierung (zu den Distanzierungsmustern vgl. Messerschmidt 2010). So zeigt sich sowohl in der Analyse der Berichterstattung in den Medien (vgl. die Übersicht bei Niggli 2007) als auch mit Blick auf die Praxis der Beratungsstellen (vgl. Probst 2016), dass der Fokus allzu stark auf der Strafnorm liegt. Ferner wird in der rechtstheoretischen Forschung kritisiert, dass Rassismus auf ein psychologisches Phänomen reduziert wird, das sich auf die Sanktionierung von individuellem Verhalten beschränkt und ausschließlich als kulturell-ideologisches Problem verhandelt wird, während die strukturellen sowie ökonomischen Bedingungen rassistischer Stratifizierungen ausgeblendet werden. Was dies mit Blick auf die Deutungsrelevanz der Strafnorm auf die gesellschaftlichen Akteure bedeutet, ist ungeklärt.

Folglich stellt sich die Frage nach den potenziell behindernden Auswirkungen der sowohl auf institutionell-praxeologischer als auch auf epistemisch-diskursiver Ebene stattfindenden Verengung des Rassismusverständnisses der Strafnorm auf die Subjektpositionen jener, die von Rassismus betroffen sind – sowohl mit Blick auf PoC-Identitäten als auch auf weiße Subjekte. Positiv formuliert ist zu klären, inwieweit die Strafnorm ermöglicht, sowohl auf individueller als auch auf kollektiver Ebene Spielräume der Emanzipation zu eröffnen. Kann Strafrecht dazu beitragen, Verhältnisse der hegemonialen Subjektivierung durch Ermächtigung einerseits und Entmächtigung der Privilegienstrukturen andererseits zu denormalisieren?

Personal-subjektivierende Dimension

Ermächtigung

Wie bereits beschrieben führen rassistische Diskurse und Diskriminierung zu einem gewaltförmigen Wechselprozess von fremd- und selbstzuschreibender Stigmatisierung. Diesem Prozess inhärent sind ambivalente Kräfte der Einschreibung in das gefühlte Selbst (Foucault 1976: 270, 273). Antirassistisch gewendet führt dies zur Forderung, stigmatisierte Subjekte darin zu stärken, sich selbstbestimmt und autonom mit Rassismuserfahrungen auseinanderzusetzen und produktive Taktiken im Umgang mit Rassismus zu entwickeln. Ich bezeichne dies als Form der ermächtigenden Subjektivierung, verstanden als Prozesse zur individuellen und gemeinschaftlichen Ermächtigung.

Zur Frage, inwieweit dies durch die Einführung und Umsetzung der Rassismusstrafnorm bewirkt werden konnte, liegen keine Daten vor, allerdings gibt es gewisse Hinweise, die es erlauben, entsprechende Thesen zu formulieren.

Bereits der politische Kampf um die Einführung der Strafnorm und um den Beitritt der Schweiz zur UNO-Rassismuskonvention hat emanzipatorische Kräfte innerhalb der antirassistischen Bewegung freigesetzt. Der Gesetzgebungsprozess war maßgeblich geprägt durch den Einsatz des damaligen Forums gegen Rassismus, einer Gruppe von NGOs. Auch wenn es sich dabei um überwiegend weiß geprägte Organisationen handelte, konnte durch die Mobilisierung für die Strafnorm ein Netzwerk von Interessensvertretungen weiterentwickelt werden, das nicht nur die Organisationen selbst, sondern auch viele Einzelpersonen ermutigte, sich auf unterschiedlichste Weise gegen Rassismus zu engagieren. Ein weiterer entscheidender emanzipatorischer Schritt war das „Ja“ des Schweizer Stimmvolkes, das am 25. September 1994 mit 54,6% der Strafnorm zustimmte. Es bildet gemeinsam mit der Konstituierung der EKR im selben Jahr den ersten, seither aber auch letzten zentralen Einschnitt in die Landschaft des schweizerischen Antirassismusrechts.

Neben dem politischen Kampf sowie dem ermächtigenden „Ja“ haben auch die im Anschluss an das Inkrafttreten der Strafnorm geführten Rechtsverfahren – ob rechtsschutzbezogen oder strategisch – die integrativen Kräfte der Anerkennung und Teilhabe gestärkt (Naguib 2015). Die Forschungsthese würde sinngemäß lauten, dass in Folge der zahlreichen Verfahren über die Jahre sowie deren mediale, politische und wissenschaftliche Begleitung (Niggli 2007) eine gewichtige Änderung in der diskursiven Repräsentation von Diskriminierungserfahrungen und antidiskriminatorischen Werten bewirkt werden konnte, die auf individueller Ebene ermächtigende Impulse im Umgang mit Rassismus gab. Die empirischen Teile zur Befragung von Beratungsstellen in der SKMR-Studie „Zugang zur Justiz in Diskriminierungsfällen“ (Kälin/Locher 2016) zeigen denn auch, dass Rassismusbetroffene sich in ihren Erfahrungen ernstgenommen und unterstützt fühlten, zum Teil öffentlich ihre Stimmen zu erheben sowie ermächtigt wurden, gegen Rassismus aufzustehen und sich gegen Diskriminierung zur Wehr zu setzen.

Kritische Anmerkungen

Die Autorität der Strafnorm hat eine problematische Kehrseite: Zum einen wurden die Hoffnungen und die Projektionen in das Strafrecht regelmäßig enttäuscht. Dies hängt – wie bereits oben ausgeführt – mit dem engen Rassismusbegriff sowie dem wahrscheinlich tiefen Grad der Befolgung, Mobilisierung und Sanktionierung von strafrechtlich relevanten Rassismushandlungen zusammen. Dadurch besteht das Risiko, dass die Glaubwürdigkeit der Strafnorm unterminiert wird, was bei den Betroffenen einen Vertrauensverlust in den Rechtsstaat auslösen kann. Aktuelle Studien zeigen zudem, dass professionelle Beratungsstellen eine übervorsichtige – und vielfach rechtlich unbegründete – Zurückhaltung ausüben, Ratsuchenden den Rechtsweg zu empfehlen, um diese nicht zu enttäuschen (Probst 2016). Zum andern besteht die Gefahr, dass die Deutungshoheit über den Rassismus und das „Wie“ antirassistischer Kämpfe an den Staat delegiert bzw. auch durch ihn usurpiert wird (Naguib 2015). Dies spiegelt sich etwa in der vermeintlichen Unterscheidung zwischen einem „rein symbolischen“ und einem „richtigen“ Rassismus wider, die in jüngster Zeit zunehmend auch aus Kreisen der EKR gegen rassismuskritische Stellungnahmen von PoCs angeführt wird und diese zu delegitimieren versucht (Espahangizi 2015). Es wäre entsprechend auch ein Forschungsdesiderat, den Wandel der Rolle der EKR seit den 1990er Jahren in dieser Hinsicht genauer zu untersuchen.

Schließlich: Ein zentrales Gegenstück zur ermächtigenden Subjektivierung, das an dieser Stelle nur kurz erwähnt werden soll, bilden Prozesse der Entmächtigung. Angehörige der Dominanzgesellschaft nehmen ihre soziale Stellung als Normalität wahr, was sie darin beeinträchtigt, diese als ungerechte Privilegierung zu verantworten (Haney-López 2006). Daher sind aus antirassistischer Perspektive Maßnahmen erforderlich, die die kritische Auseinandersetzung mit Privilegienstrukturen befördern. Ob dies die Rassismusstrafnorm leisten kann, muss mit großer Skepsis betrachtet werden. Vielmehr besteht die Gefahr, dass das enge strafrechtliche Verständnis sowie die Beschränkung des Antirassismusrechts auf das Strafrecht ein ohnehin bereits enggefasstes gesellschaftliches Rassismusverständnis zementiert (vgl. auch BGE 138 III 641). Es fällt leichter, Rassismus als ein extremistisches Phänomen von sich zu weisen, anstatt die Frage nach der eigenen Verstricktheit in strukturellen Rassismus zu stellen (Naguib 2015).

Schlussbetrachtungen

Recht kann genutzt werden, einerseits um die Produktion von antirassistischem Wissen zu stärken, Rassismus als strukturelles Problem zu verorten und antirassistische Werte und Kämpfe zu unterstützen, aber andererseits reproduziert es Machtverhältnisse. Aus der hier entwickelten Perspektive kann Rassismus nur dann rechtlich angegangen werden, wenn die „Janusköpfigkeit des Rechts […] als Mittel des Zwangs und der Herrschaft“ erkannt und gleichzeitig Recht „als Mittel der Befreiung und Weg zu neuen Handlungsmöglichkeiten“ ernst genommen wird (Fuchs/Berghahn 2012: 11f.).

Betrachtet man die hier untersuchte schweizerische Strafnorm zur Rassendiskriminierung, so zeigt sich, dass Strafrecht dazu beitragen kann, institutionelle Rassismen zu bekämpfen, Repräsentation antirassistischer Werte zu stärken und Ermächtigungsprozesse zu unterstützen. Das Strafrecht ist jedoch insofern problematisch, als es von einem sehr engen Rassismusbegriff ausgeht, Rassismus als Einstellungs- und (intentionales) Verhaltensproblem anstatt als strukturelles Problem verortet und seine Ursachen ausschließlich als ideologisch-kulturell betrachtet, bzw. die ökonomischen Produktionsverhältnisse ausblendet. Außerdem ist Strafrecht sowohl in seiner instrumentellen als auch symbolischen Wirkungsweise – etwa mit Blick auf die Kreation von Unrechtsbewusstsein – limitiert. Ferner birgt das Strafrecht angesichts seiner hohen symbolischen Autorität das Risiko, dass der Antirassismus an den Staat delegiert wird und damit die Deutungshoheit darüber, was Antirassismus sein soll, quasi staatlich akkreditieren lässt mit dem Risiko, Kämpfe gegen strukturelle Rassismen zu delegitimieren. Somit erweist sich die Strafnorm als paradox und umkämpftes Feld.

Damit ist allerdings das letzte Wort zum Verhältnis von Recht und Antirassismus noch nicht gesprochen. Notwendig ist vielmehr, dass das Recht insgesamt auf seine rassistischen Effekte und antirassistischen Potenziale hin untersucht wird, um sinnvolle rechtspolitische Postulate zu formulieren. Daraus ergeben sich eine Reihe von interdisziplinären Forschungsdesiderata auf der Schnittstelle von Praxis und Theorie: Neben dem Strafrecht sind weitere rechtliche Regulierungsinstrumente hinsichtlich ihrer antirassistischen Potenziale zu untersuchen. Ferner ist das Antidiskriminierungsrecht in einer Weise zu strukturieren, die zivilgesellschaftliche und kollektive Kämpfe unterstützt. Außerdem ist über das Antidiskriminierungsrecht hinaus die gesamte Rechtsordnung nach rassistischen Strukturen abzuklopfen.

Schließlich braucht es eine verstärkte inter- und transdisziplinäre Auseinandersetzung über die Rolle des Rechts als ein potenziell wirkmächtiges Element antirassistischer Arbeit in unterschiedlichen Kontexten. Ziel ist es, dass antirassistische Akteure z.B. aus der Sozialen Arbeit, der sozial engagierten Kunst, Bildungsarbeit, Wissenschaften u.a. ein Bewusstsein darüber entwickeln, wie Recht als strategisches Mittel antirassistischer Kämpfe in all den genannten Bereichen effektiv eingesetzt werden kann. Dies gilt auch für die anwaltschaftliche Rechtsmobilisierung, die die Aufgabe hat, mit dem Recht Handlungsspielräume für antirassistische Interventionen auszuweiten, um die wirkmächtige Mobilisierung emanzipatorischer Interventionen zu stärken.

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  • Year: 2016


Tarek Naguib ist Jurist mit Schwerpunkt im Antidiskriminierungsrecht, tätig an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW, der Université Fribourg und der HU Berlin. Zu seinen Themen gehören Rassismus und Recht, Legal Gender Studies, Disability Legal Studies, Intersektionalität und Postkategorialität. Er ist als Gutachter zu Diskriminierung tätig und gibt Trainings für Behörden und NGOs zu Antirassismus, Antiableism, Feminismus und LGBTIQ*-Recht.