Mobilitäten_Regime

Perspektiven einer kritischen Mobilitätsforschung

Regina Römhild, Johanna Rolshoven

Abstract The introduction builds on recent debates, e.g. in the Berlin Migration Lab, that claim to connect, rather than separate the regimes governing borders and mobilities in joint, rather than separated research fields. We argue that this combined view allows us to investigate the power relations between the privileged freedom of movement of the Few (classified as global Northern, white travelers, tourists, expatriates) and the interdependent, entangled, stigmatized movements of the Many (declassified as global Southern, non-white migrants and refugees). We propose to focus on overlapping, intersecting mobilities_regimes to arrive at a broader understanding of dynamic assemblages of practices of mobilities and politics of de/regulation: assemblages in which also the category “migration” is positioned and negotiated in relation to other projects of mobility. The introduction invites to read the contributions to this volume of Movements from this conceptual angle.


Keywords Border regime, regimes of mobility, migration, tourism, subject categories


Einer der Ausgangspunkte dieses Bandes ist die in den 1980er Jahren begonnene Diskussion über eine Globalisierung der Mobilitäten, der Bewegungen und Flows über nationalstaatliche Grenzen. Der daran anschließend ausgerufene Mobility Turn (Urry 2007; Sheller/Urry 2006) widersprach der anhaltenden Fixierung auf territoriale Sesshaftigkeit und gesellschaftliche Stasis; er setzte diesem Mainstream eine neue Perspektive globaler Normalität von Mobilität entgegen. Eines der Ziele war, die vielen, zu isolierten ›Sonderfällen‹ degradierten Formen von Mobilität in einer inklusiven Kategorie zusammenzufassen, um damit die grundlegende Bedeutung des Beweglichen, Fluiden als konstituierendes Element des Sozialen deutlicher zu machen.

Allerdings wurde so, wie Nina Glick-Schiller und Noel B. Salazar (2013) kritisieren, der Zusammenhang mit Formen von Immobilität, mit Regulierungen, Grenzen und Hierarchien, mit Formaten global implementierter sozialer Ungleichheit, die das Feld der Mobilitäten durchziehen, sukzessive in den Hintergrund gedrängt – zugunsten einer streckenweise als kosmopolitische Befreiung aus lokalen und nationalen Begrenzungen normativ idealisierten, geradezu euphorisch gefeierten Allgegenwart von Mobilität. Wie zuvor schon Ramona Lenz (2010) setzen Glick Schiller und Salazar dem das Konzept der »Regimes of Mobility« entgegen, das einerseits in ähnlicher Weise Mobilitäten zentral stellt, sich andererseits jedoch ebenso den vielfältigen Formen rechtlicher Begrenzungen und ethnisierender, rassifizierender Kategorien widmet, die hierarchisierende Differenzen in der Welt der Bewegungen herstellen (vgl. Glick Schiller/Salazar 2013: 188). Es geht Glick Schiller und Salazar darum, einen Beitrag zu einer entstehenden Theorie der global und zugleich ungleich verflochtenen Gesellschaft zu leisten (vgl. ebd.: 185).

Die Corona-Pandemie hat diese Forderung, nicht nur Mobilitäten, sondern die komplexen Ungleichheitsverhältnisse und Grenzziehungen im Regieren von Mobilitäten zum Thema einer kritischen Forschung zu machen, weiter verschärft. So hat gerade der gesundheitspolitische Umgang mit Covid-19 in Europa einmal mehr gezeigt, dass auch angesichts der Aussetzung nationalstaatlicher Grenzen und der massiven Herausforderung biopolitischer Souveränität durch einen hypermobilen Virus doch wieder nur auf das moderne Regime der Sicherung derselben Grenzen zurückgegriffen wird. Statt transnational zu kooperieren in der Bekämpfung des Virus – wie es etwa die vorgängigen Erfahrungen mit dem SARS-Erreger der so genannten ›Hühnergrippe‹ und andere grenzüberschreitende, kosmopolitisierende Herausforderungen, etwa des Klimawandels, nahezulegen schienen (vgl. Beck 2019; Schillmeyer/Pohler 2006) – wurden Grenzübergänge geschlossen, transnationale Mobilitäts- und Kontaktsperren verhängt, globalisierte Produktionsverhältnisse von Konsumgütern, Impfstoffen und pharmazeutischen Erzeugnissen re-nationalisiert – nicht ohne dabei an die Grenzen selbst geschaffener transnationaler Abhängigkeiten zu stoßen. Die Grenzziehungen einer kolonialen Moderne, etwa zwischen ›Kultur‹ und ›Natur‹ sowie zwischen Nationalstaaten und Weltregionen, die eine anders gelagerte Wirklichkeit der Verflechtungen und Hybride ausblenden, wurden nicht etwa zur Disposition gestellt, sondern im Gegenteil in neokolonialer Manier revitalisiert. So umgaben den Virus selbst sehr schnell rassifizierende Bildwelten, die eine Bedrohung durch asiatische oder, besonders aktuell, südafrikanische ›Andere‹ unterstellen und damit neue Formen der Verteidigung und des Schutzes weißer Überlegenheit zu legitimieren scheinen. Europäische Impfgegner*innen mobilisieren eine lebensreformerische Kritik der Moderne und die darin bereits angelegten rassifizierenden, faschistischen Momente (vgl. Köbschall 2019), wenn sie es darauf anlegen, sich selbst an die Stelle der Opfer des Holocaust und der Opfer eines versklavenden Kolonialismus zu setzen.1 Demgegenüber zeigt der nekropolitische Umgang mit Geflüchteten auf griechischen Inseln oder die sämtliche Hygienestandards ignorierende Mobilisierungspolitik gegenüber Saisonarbeiterinnen2 aus Osteuropa wie nicht zuletzt die europäische Verteidigung einer global ungleichen, kolonialen Geographien folgenden Verteilung, Zulassung und Patentierung von Impfstoffen, dass und wie die Pandemie den Anspruch eines modernen Regierens von Mobilitäten und Grenzen weiter erschüttert und zugleich revitalisiert. So hat gerade die Frage, wie sehr es Staaten gelingt, ihre Grenzen gegenüber ›Anderen‹ zu sichern und geordnete Im/Mobilität im Innern zu garantieren, im Zuge der Pandemie erst recht an Bedeutung gewonnen. Dass, wie etwa an der polnisch-ukrainischen Grenze, der Transit von Migrierenden zu einem staatlichen Druckmittel gegenüber den Zielländern wird, ist nur vor dem Hintergrund dieser, von der Pandemie noch verstärkten, Logik einer Souveränität der Grenzen denkbar – wobei aber dennoch auch in dieser extremen Situation die Unhaltbarkeit dieses Anspruchs erneut deutlich wird.

An diese schon lange beobachtbaren, durch die Pandemie weiter getriebenen Dynamiken des Regierens und Praktizierens von Mobilitäten knüpfen wir mit den Beiträgen dieses Bandes an. Den Zugang zu Mobilitäten über »Regime« verstehen wir als Möglichkeit, das Verhältnis zwischen der privilegierten Freizügigkeit weniger und den interdependenten, verflochtenen und stigmatisierten Bewegungen der vielen, als Migrantinnen und Geflüchtete deklassierter Menschen zu untersuchen. Wir sehen in der Perspektive des Mobilitätsregimes eine wichtige Ergänzung zum Ansatz des Grenzregimes, der Grenzen eher als Effekte von Verflechtungen ökonomischer, transnationaler, staatlicher und subjektiver Handlungsräume versteht. Die Perspektive des Mobilitätsregimes erlaubt es, weitere Dimensionen von Grenze unmittelbar im Feld der Bewegungen und der sie strukturierenden Subjektkategorien – Tourist, Migrantin, Expatriate, Einheimischer – zu untersuchen, insbesondere auch in den sich dazwischen aufspannenden interdependenten Machtverhältnissen oder, mit Norbert Elias gesprochen, Figurationen (Elias 1996: 75ff.). Diese Auffassung schließt an ein spezifisches Verständnis an, das die Forschungsgruppe Transit Migration ihrem Begriff des Migrationsregimes (vgl. u.a. Karakayali/Tsianos 2007: 13ff.) zugrunde gelegt hat, in dem die Dynamiken und Wirkungen subjektiver Migrationsprojekte – im Sinne der These der »Autonomie der Migration« – als Teil, und nicht als äußerliches Element, des diese Projekte regulierenden Regimes verstanden und untersuchbar werden. Damit entfernt sich auch unser Begriff des Mobilitätsregimes von einem angenommenen Subjekt-Objekt-Verhältnis zwischen Regierung und Bewegung, hin zu einem dynamischen Verständnis von Aushandlungen innerhalb eines komplexen Ensembles von Beteiligten und Beteiligungen, von Regulierung und De-Regulierung. Das signalisiert der Unterstrich zwischen »Mobilitäten« und »Regime«, die jeweils im Plural und in unscharfen, ständig weiter zur Disposition stehenden Übergangsverhältnissen gedacht werden. Mobilitäten_Regime sehen wir als ein weit gefasstes, grundlegendes Arrangement zwischen Mobilitätspraktiken und De-/Regulierungspolitiken, in dem auch Migration im Verhältnis zu anders klassifizierten Mobilitätsprojekten angeordnet und verhandelt wird.

Dieses Arrangement lässt sich an diskursiven und räumlichen Schnittstellen, Berührungspunkten, Konfliktfeldern zwischen Praktiken und Politiken der Mobilität untersuchen, wie die Beiträge dieser Ausgabe veranschaulichen. Bevor wir diese mit Blick auf unsere Fragestellung skizzieren, folgt hier zunächst ein Rekurs auf die forschungspolitischen Beobachtungen und Diskussionen, die uns an den Punkt gebracht haben, Mobilitäten_Regime anzuvisieren.

Tourismusforschung / Migrationsforschung revisited

Ein Ausgangspunkt der Überlegungen war unsere Erfahrung, als Tourismusforscherinnen ständig auf andere Mobilitäten und Formen migrantischer Niederlassung zu treffen, die üblicherweise aus dem Kanon der Kategorien, mit denen sich Tourismusforschung befasst, ausgeschlossen bleiben. Wir stellten hingegen in unseren jeweiligen Forschungsfeldern (Rolshoven 2007, 2009, 2010; Römhild 2009, 2017a, 2018) fest, dass die angenommene Trennschärfe der Kategorisierung diverser mobiler und sesshafter Subjekte der empirischen Überprüfung nicht standhält. Projekte der Mobilität und der Niederlassung überschneiden sich stets, und Lokalitäten wie Ökonomien sind von der Kopräsenz und der Verflechtung dieser hybriden Formate des Multilokalen und Mobilen bestimmt und geprägt. Touristen werden Migrantinnen, sobald sie sich temporär bis langfristig an Urlaubsorten niederlassen, Migranten überqueren mithilfe von Touristinnenvisa die Grenzen, die ihnen diese Mobilität sonst verwehren würden, Migrantinnen arbeiten in der Tourismusindustrie, die sich als größter Arbeitgeber für mobile Arbeitskräfte weltweit erweist (Adler/Adler 2004: 9ff.); und in vielen Fällen übernehmen dabei Migranten die Aufgabe, den Touristinnen mittels ihrer persönlichen Performance, etwa des »Griechischen«, die gewünschte lokalkulturelle Authentizität des Ferienziels zu vermitteln (Lenz 2010: 216ff.). Wir teilten daher ein Unbehagen an der herrschenden Ordnung separater Kategorien, die mobile Subjekte unterschiedlichen Politiken und unterschiedlichen Forschungsfeldern zuweist. Wir stellten zudem fest, dass unsere eigene wissenschaftliche Arbeitsteilung zwischen Tourismus- und Migrationsforschung diese Ordnung – und ihre Hierarchien, ihre Ein- und Ausschlüsse – reproduziert und so selbst zur Aufrechterhaltung herrschender Mobilitätsregime beiträgt.

Im Feld der Migrationsforschung hat das Berliner Labor Migration eine Diskussion über ähnlich problematische Politiken der Kategorisierung angeregt (Labor Migration 2014). Ausgehend von der Kategorie der Migrantin gingen wir auch hier der damit verbundenen folgenreichen Unterscheidung – insbesondere zur Kategorie der Sesshaften, aber auch der Geflüchteten und des Touristen – nach. Besonders problematisch erschien uns hier die Generationen übergreifende Festschreibung von ›Migration‹ als dauerhafte Markierung von Menschen, deren Familiengeschichten auf eine vormalige Einwanderung verweisen. Die Perspektive der »postmigrantischen Gesellschaft« haben wir aufgegriffen (vgl. Bojadzijev/Römhild 2014; Römhild 2017b), um diese Dimension eines zeitlichen Grenzregimes (Mezzadra/Neilson 2013: 131ff.) zu kritisieren, mit dem auch die Nachkommen von Einwanderern auf einen permanenten Warteraum des Noch-nicht-angekommen- bzw. Noch-nicht-integriert-Seins verwiesen werden. Zudem zeigt die Betrachtung des Anwendungsbereichs von ›Migration‹, dass diese Kategorie fast ausschließlich für die Einwanderung aus dem europäischen und dem globalen Süden und Osten reserviert ist und dass sie vorwiegend mit den unteren sozialen Rändern der Gesellschaft und den damit verbundenen Problemlagen assoziiert wird. Migration aus dem europäischen und dem globalen Norden dagegen wird, wenn überhaupt, privilegierten, ungleich positiver besetzten Mobilitätskategorien, etwa ›Expatriates‹, zugeordnet. Es zeigt sich also, dass auch die Bezeichnung Migration keineswegs einer ›unschuldigen‹ wissenschaftlichen Analysekategorie entspricht, sondern aufs Engste mit politischen Mobilitäts- und Grenzregimen verflochten ist. Und auch hier stellten wir fest, dass die Migrationsforschung selbst durch ihre eigene Verwendung dieser Kategorisierung zu deren Reproduktion und Naturalisierung beiträgt.

Seit der Konferenz Mobilitäten – Migration – Gesellschaft 2016 in Berlin nennt sich die einstige Kommission »Tourismusforschung« des Fachverbandes der Empirischen Kulturwissenschaft »Mobilitäten_Regime« mit dem Ziel, diese bislang weitgehend separat verlaufenden Stränge einer kritischen Diskussion in der Tourismus- und in der Migrationsforschung zusammenzuführen und übergreifend produktiv zu machen. So können wir von der Kritik der Tourismusforschung lernen, über ihre kategoriale Ordnung hinaus die »verunordnenden« Praktiken (vgl. Lehnert, in diesem Band) und Mikropolitiken im weiteren Feld der Mobilitäten in den Blick zu nehmen. Und von der kritischen Migrations- und Grenzregimeforschung lässt sich lernen, dass wir den Fokus auf Mobilitätspraktiken nur unter Berücksichtigung der sie sortierenden und regulierenden Grenzpolitiken analytisch schärfen können. Das Wechselspiel von Subjektkategorien unterlaufenden Mobilitäten und dem Regieren der Mobilitäten entlang dieser Kategorien kann darauf aufbauend als neue, übergreifende Forschungsperspektive konzipiert werden. Dabei geht es darum, Mobilitäten als ›unordentliche‹ Praktiken und deren Verhandlung in ordnenden Mobilitätsregimen zu untersuchen. In diesem Band sind Beiträge versammelt, die mit dieser Perspektive gelesen werden können.

Mobilitäten_Regime untersuchen

Ein erster wichtiger Schritt in Richtung einer empirischen Bearbeitung dieser komplexen Zusammenhänge ist, Mobilitätsformen, -praktiken und -kategorien ganz bewusst in eine Beziehung zueinander zu setzen, sie miteinander zu konfrontieren, um so die zwischen ihnen gezogenen Grenzen und Hierarchien als künstliche Trennungen zu hinterfragen, aber auch ihre praktizierten Differenzen und Verflechtungen zum Gegenstand von Forschung machen zu können.

In beiden Tagungen (Berlin 2016, Graz 2018), die wir bisher unter dem Signum Mobilitäten_Regime durchgeführt haben, erwies es sich als besonders produktiv, nicht wie üblich Sektionen entlang von Mobilitätskategorien wie Tourismus, hochqualifizierte Migration, Fluchtmigration oder Arbeitsmigration einzuteilen, sondern die sich hier jeweils positionierenden Beiträge in einem Panel mit thematischer Überschrift zu mischen – und dann über die sie sonst sortierenden Begrenzungen hinweg zu diskutieren. So zeigten sich allein dadurch schon interessante, in dominanten Diskursen unsichtbar gemachte Überschneidungen: etwa im Fall von Künstlerinnen, die, solange sie als privilegierte Reisende unterwegs sein können, kaum als Migranten gekennzeichnet werden; wenn sie jedoch die EU-europäischen Grenzen als Flüchtende unter Lebensgefahr passieren, sind sie zwar mit derselben Profession mobil, werden jedoch nicht in derselben sozialen Kategorie verortet. Im ersten Fall etablierter, privilegierter Künstlerinnen wird Mobilität nicht gesondert ausgewiesen, sondern wie selbstverständlich in der Definition des Künstlers als geradezu konstituierendes Charakteristikum mitgeführt. Dass Kunst und Grenzüberschreitung definitiv zusammengehören, dass Kunst selbst Grenzüberschreitung sei, scheint hier, in einem unmarkierten westlich-weißen Kunstkanon allgemein ausgemacht. Ganz anders im Fall der künstlerischen Grenzüberschreitung aus dem ›globalen Süden‹. Hier überdeckt die Klassifizierung »Geflüchtete« sämtliche anderen Selbst-Ausweise der davon betroffenen Menschen; sie führt zu einem sozialen und auch professionellen Tod, von dem aus eine (Wieder-)Aufnahme in die scheinbar universale Kategorie der Künstlerinnen nur sehr schwer zu realisieren ist. Eine Klassifikation führt so, je nach Zuordnung in einer globalen Wertehierarchie der Herkünfte (vgl. Herzfeld 2013: 372), in geteilte Genealogien von Mobilitätsgeschichten: der Flucht, des Reisens, der Migration. Und es zeigt sich, dass Mobilität eben keine inklusive – im Sinne einer homogenisierenden – Kategorie sein kann, wenn sie nicht von diesen Verwerfungen ablenken und diese ausblenden soll. Aber die Verwerfungen können zugleich erst im Rahmen einer Zusammenführung unter der – dies allerdings differenzierenden – Kategorie Mobilität deutlich gemacht werden.

Eine weitere Möglichkeit, sich dem Zusammenhang von Mobilitäten_Regimen in neuer Weise zu nähern, ist, die sich kreuzenden Mobilitäten innerhalb eines Raums, entlang einer Strecke im Hinblick auf deren implizite Komplementaritäten und verbindenden Arrangements zu untersuchen. In diesem Band greift Manfred Pfaffenthaler das bekannte Phänomen der so genannten ›Gastarbeiter-Route‹ zwischen Deutschland und der Türkei auf, um entlang dieser Strecke Überschneidungen und auch Transformationen zwischen Tourismus und Migration zeigen zu können. Nicht nur begegneten sich hier – wenigstens symbolisch – Adria-Touristinnen und temporär heimkehrende ›Gastarbeiter‹. Es kam auch zu hybriden Mischformen der Mobilitätskategorien angesichts von Migrantinnen, die zeitweise zu Reisenden mit weiter gefassten Zielen jenseits der Familienbesuche wurden; die sich gleichzeitig aber auch als transnationale Akteure in den mediterranen Herkunftsregionen an touristischen Unternehmen beteiligten, in die örtliche (Land-)Wirtschaft und den Hausbau investierten. Davon ausgehend ist diese Route, die alle wichtigen touristischen und migrantischen Destinationen der Nachkriegszeit, des Kalten Krieges und der postsozialistisch-postkolonialen Ära verbindet, ein wesentlicher kultureller, sozialer und politischer Hub, entlang dem sich diverse Formate einer »reflexiven Europäisierung« (Adam et al. 2019) aus den Interventionen der mediterranen Migrationen_Mobilitäten beobachten und weiter untersuchen lassen. Künstlerische Projekte wie die von bi’bak Berlin oder Michael Zinganel und Michael Hieslmair, die in diesem Band eine neue künstlerisch forschende Arbeit präsentieren, sind schon lange auf dieser Strecke unterwegs, um deren kulturelle und politische Produktivität herauszuarbeiten. Heute zeigen sich entlang der verwaisten, teils aber auch wiederbelebten Wege und Raststätten der ehemaligen Nord-Süd-Gastarbeiter-Route (Stefanov 2021) weitere Dimensionen erneuerter Süd-Nord-Auseinandersetzungen zwischen den Bewegungen der Migration und neonationalen Abschottungen sowie einem »nekropolitischen« (Mbembe 2003) EU-europäischen Grenzregime entlang dieser Route, die sich jetzt, die historisch konstituierenden Verflechtungen überdeckend, primär als Grenzraum präsentiert. Gelänge es, all diese Dimensionen in ein Forschungsdesign zu bringen, könnte sich hier das verdichtete Bild einer höchst umkämpften, höchst produktiven Zone (post)migrantischer und postkolonialer Kämpfe zeigen, mit Anschlussmöglichkeiten an vergleichbare Zonen des »Black Mediterranean« (Grimaldi 2019) und des »Black Atlantic« (Gilroy 1993).

Sich überschneidende, aufeinander folgende Migrationen untersucht auch der Beitrag von Matei Bellu, Leif Höfler und Manuel Liebig. Den Wegzug junger, gut ausgebildeter Griechinnen im Zuge der so genannten ›Schuldenkrise‹ nach Berlin deuten sie als Moment einer »Europäisierung von unten«, die in einer intergenerationalen Perspektive an frühere Kohorten der Binnenmigration im Zuge der ›Gastarbeiterinnenanwerbung‹ anschließt. Diese »Verflechtungsgeschichte der Migrationsprojekte« zeigt die Komplexität und Vielfalt der Verbindungen und Verbindlichkeiten zwischen Deutschland und Griechenland sowie den sie konstituierenden Mobilitäten auf. Maike Suhrs Intervention schließt hier an: Entlang popkultureller Räume schildert sie am Beispiel von Berlin den Einfluss unterschiedlicher Kohorten türkischer Migration auf die Transnationalisierung der Stadt. Ihre Perspektive erstreckt sich über die Einwanderung der ›Gastarbeiter‹ aus der Türkei seit den 1960er Jahren bis zum aktuellen ›New Wave‹ der Migration jüngerer Menschen, die häufig, wie schon zuvor bei den ›Gastarbeiterinnen‹, die damals vor einem autoritären Regime in der Türkei flohen, auch eine Dimension des politischen Exils umfasst. Sie deutet diese diversen Nutzungen eines gemeinsamen Erfahrungsraumes jenseits nationaler Kulturalisierungen als urbane Transtopien und Gegenräume, in denen andere Selbstverständlichkeiten hergestellt werden können, die sich allmählich mit der Textur der Stadt verweben. Die durch die transnationalen Mobilitäten der Akteure entstehende urbane Ecumene (vgl. Hannerz 1993) erfordert auch, staatsbürgerliche Rechtsfragen neu zu stellen. Kristina Jäger beleuchtet die Diskussion um eine herkunftsunabhängige urban citizenship am Beispiel eines Zürcher Kunstprojektes.

Eine weitere Perspektive macht Mobilität selbst zur Analysekategorie. So zeigen die Beiträge von Anne-Kathrin Will und Katrin Lehnert an unterschiedlichem Material, dass so die Normalität des Unordentlichen und Heterogenen herausgearbeitet werden kann – gegenüber einer dies verdeckenden Norm privilegierter, einförmiger Sesshaftigkeit, wie sie die Brille eines methodologischen Nationalismus (Beck 1997; Wimmer/Glick Schiller 2002) wie auch eines methodologischen Lokalismus (etwa im Fall der klassischen single-sited Ethnographie) nahelegt. Diese Perspektive ist für unseren Vorschlag der Mobilitäten_Regime zentral, denn sie erst erlaubt es, die gouvernementale Dimension von scheinbar nur deskriptiven Mobilitätskategorien zu erkennen und herauszuarbeiten.

Vor diesem Hintergrund können dann auch die Wirkungen von Grenzregimen innerhalb von Subjektkategorien – etwa der Migrantin, des Studenten, der Forscherin – unter Bedingungen von Mobilität markanter sichtbar werden. Mit diesem Blick zeigen die Werkstattberichte von Antonie Fuhse, Andrea Sanders, Andrea Steinke und Christine Thiel, wie innerhalb der Normierungen solcher Kategorisierungen De/Privilegierungen geschaffen werden: etwa mit Fokus auf indische Promovierende (Fuhse), deren an sich herausgehobene Positionierung als »internationale Studierende« durch rassifizierende Unterscheidungen durchkreuzt und untergeordnet wird; oder mit Blick auf Schweizer ›Lifestyle‹-Migranten in Peru (Sanders), in deren Alltag die Privilegierung als ›weiß‹ gelesener Menschen sowie die darauf basierenden asymmetrischen Machtbeziehungen und das Lohngefälle dazu führen, dass sich ihnen eine höhere Lebensqualität als im Herkunftsland bietet. Die Zwiespältigkeit und Ambivalenz solcher postkolonialen Effekte werden in den Narrationen der Akteurinnen greifbar. Die Ungleichheit der Subjektkategorien im Feld der humanitären Arbeit hat Andrea Steinke in ihrer Feldforschung in Port au Prince, Haiti, untersucht. Hier ist es ein Sicherheitsdispositiv, das die hochmobilen Mitarbeitenden der Hilfsorganisationen schützt und von einer ungeschützten, auf das Ausharren vor Ort festgelegten lokalen Bevölkerung absondert. Diese über den Umweg der ›Sicherheit‹ hergestellte Privilegierung von so genannten ›Expatriates‹ wird verstärkt deutlich im Unterschied zu einer anderen Subjektkategorie – der der Forscherin –, die demgegenüber das aus einem anderen epistemischen Kontext stammende Privileg des ungeschützten Kontakts mit den ›Einheimischen‹ für sich in Anspruch nehmen kann. Von ähnlich ambivalenten Privilegierungen vor postkolonialem Hintergrund berichtet Christine Thiel hinsichtlich einer als ›digitale Nomaden‹ mehrfach aus vergleichbaren Subjektkategorien herausgehobenen, hypermobilen ›weißen‹ Kreativklasse, der sie in Bali und Thailand forschend begegnet ist: Unter diesem privilegierenden, die potentiell eingeschlossene Prekarität überschreibenden Label reisen Selbstständige oder Angestellte, meist aus dem akademischen Milieu, die das Einkommens- und Zeitzonengefälle und eine exotische Sehnsuchtsweltkulisse in diesen Breitengraden zur Akkumulierung von ökonomischem und auch symbolischem Kapital nutzen. Ihre Mobilitätsnarrative wandern zurück in die Herkunftsländer, wo sie erneut mobilisierend wirksam werden. Um die örtlich-nationalen Aufenthaltsregime zu umgehen, halten sich diese Arbeitsmigranten in den transnationalen Grauzonen zwischen den Ländern auf und unterlaufen die Ordnungsversuche grenzpolitischer Mobilitätsregime, solange sie nicht davon eingeholt werden. Derartige de/privilegierende Effekte treten jedoch als solche erst in einem weiter gefassten Analyserahmen zutage: wenn nämlich die zugrunde liegenden Mobilitäts- und Grenzregime als ineinandergreifende Assemblages, insbesondere mit Blick auf Überkreuzungen und unterscheidende Wirkungen innerhalb der Kategorisierungen im/mobiler Subjekte gesehen und verstanden werden.

Eine weitere Perspektive richtet sich auf staatliche und politische Strategien der Im/Mobilisierung in ihrem Verhältnis zu transnationalen Grenzregimen. So diskutiert Felicitas Hillmann in ihrer Intervention die ökonomischen Interessen, die stadtpolitische Kategorisierungen von Zuwanderern implizit legitimieren. Miriam Gutekunst thematisiert die familienpolitischen und Simon Sperling die subjektivierenden Auswirkungen der klassifizierenden Kriterien deutscher Asylpolitiken, wie Aufenthaltsstatus, Arbeitserlaubnis, Status der Staatsbürger_innenschaft, Arbeitsnachweis und Aufenthaltsdauer. Sperling beleuchtet exemplarisch zwei zentrale Diskurselemente: »Sicheres Herkunftsland« und »Bleibeperspektive« und analysiert sie in ihrer rechtlichen Formatierung als Dispositive, die ideologischen Wandlungsprozessen unterliegen. Dabei stellt sich heraus, dass beide Dimensionen einer Aufenthaltsprognose zunehmend zu herkunftsabhängigen Integrationsfiltern werden. Der Beitrag von Marika Pierdicca fokussiert auf die Strategie des im Sommer der Migration 2015 in Italien eingeführten Sonderprogramms »Notstand Nordafrika«, mit dem Asylsuchende gezielt und entgegen den bestehenden zwischenstaatlichen Abkommen in weitere EU-Länder umgeleitet wurden. Hier zeigt sich eine auch über Italien hinaus praktizierte nationalstaatliche Logik des »Wegmobilisierens«, so die Formulierung der Autorin, die das EU-europäische Grenzregime unterläuft, um die eigene nationalstaatliche Grenzpolitik zu stabilisieren. Demgegenüber ist eine andere, von der EU mitinduzierte Strategie, die südosteuropäischen Grenzräume zu immobilisierenden Warteräumen zu machen. Als »Selektionsmaschinen« schaffen Grenzen hier ein zunehmend auf Dauer gestelltes Dazwischen der Unsicherheit. Marie Aline Klinger hat dies exemplarisch in Athener Geflüchteten-Camps untersucht und zeigt, wie hier nach der Schließung des so genannten ›Balkankorridors‹ 2016 verschiedene Formen des Warten-Müssens und Warten-Lassens als »raum-zeitliche Schwellenzustände« erfahren werden, die Kopf und Körper der Geflüchteten erfassen. Gleichzeitig intervenieren humanitäre Freiwillige und Graswurzelinitiativen mit dem Anliegen, »Exit-Strategien« und neue Räume der Subjektivierung zu eröffnen. Sie deuten das Warten-Müssen um in ein aktives Handeln, das »produktive Verweigerungen« und »hemmende Effekte« des Grenzregimes intendiert. Eine weitere staatliche Strategie bezieht mobilisierte Subjekte in ihre Diaspora-Politiken ein – und entwickelt so selbst Mobilitätsregime, durch die ein Regieren über die eigenen nationalen Grenzen hinaus und in andere Grenzräume hinein ermöglicht werden soll. Formen über diasporische Räume hinwegreichender Nationalstaatlichkeit standen bereits im Mittelpunkt der Pionierarbeit transnationaler Migrationsforschung mit dem bezeichnenden Titel »Nations Unbound« (Basch, Glick Schiller, Szanton Blanc 2005). In diesem Band beleuchtet Carsten Schäfer die chinesischen Diasporapolitiken aus einer ähnlichen Perspektive und zeigt dabei auf, wie diese Politiken von migrantischer Seite im eigenen Interesse – und oft gegen die staatlichen Intentionen – angeeignet werden.

Und schließlich steht das relationale Verhältnis zwischen Grenzregimen und den Praktiken des Widerständigen, die sie provozieren, im Mittelpunkt einer kritischen Mobilitätsforschung. Dieses Anliegen wurde bereits methodisch mit dem Ansatz einer ethnographischen Grenzregimeanalyse (Hess/Tsianos 2010) einzulösen versucht. Auch für die Perspektive der Mobilitäten_Regime, die wir hier postulieren, ist die Verflechtung von Regierungs- und Migrations-/Mobilitätspraktiken zentral. Dabei zeigt sich jedoch einmal mehr, dass diese Dimensionen vielfach ineinandergreifen, dass sie im Sinne von Regimen alle Akteure, einschließlich der Migrierenden, involvieren. So ist die sich immer wieder neu stellende Frage der Agency, der Handlungsmacht der beteiligten Akteure, nicht ohne ihre unmittelbare, oft sogar konspirative und kollaborative Verwicklung mit den Ordnungspolitiken zu beantworten. Dass gerade der Ansatz der »Autonomie der Migration« (Bojadzijev/Karakayali 2007, 2010; Scheel 2015) von diesen Verwicklungen und Verstrickungen ausgeht und Agency nicht primär auf der Ebene individualisierter Subjekte untersucht, sondern sie eher im Sinne unintendierter Effekte sich qua Praxis zu Bewegungen formierender Migrationsprojekte versteht, wird oft missverstanden. Die schwierige Gratwanderung zwischen einer angemessenen Berücksichtigung und einer allzu starken Überhöhung subjektivierter Handlungsmacht, der dann der Vorwurf der Romantisierung und Heroisierung gemacht werden kann, ist die große Herausforderung, der sich auch die Perspektivierung der Mobilitäten_Regime stellen muss. Felix Hoffmann und Laura Otto gehen dieser Problematik in einer provokativen Intervention nach. Ihr Beitrag plädiert für empirische Konkretisierung, um der Gefahr einer zu starken theoretischen Abstraktion von »Autonomie« zu begegnen. Dieser, wie viele andere Beiträge in diesem Band, erinnern daran, dass die Forschung stets zu kritischer Reflexion jener im/mobilisierenden Seiteneffekte bereit sein muss, die sie mit ihren theoretischen und konzeptionellen Ordnungen immer wieder auch selbst produziert. Dazu gehören die Klassifikationen und Subjektkategorien, die wir als Forschende selbst beständig mitführen, wie auch die Ausrichtung auf spezifische Räume, Mobilitäten und Politiken, denen noch immer vielfach ein impliziter Sexismus und Eurozentrismus zugrunde liegt.

Johanna Elle und Sabine Hess haben sich mit genderrelevanten Momenten im Kontext von Flucht und Migration und deren Verschiebungen und Seiteneffekten in den aktuellen Flüchtlingsdebatten auseinandergesetzt. Welche Rollenmodelle scheinen in den Diskursen auf, die den Überzeichnungen der Repräsentationen in unserer Gesellschaft folgen, wie etwa die Sexualisierung von Frauen und die Bedrohlichkeit von Männern? Welche Seiteneffekte sind mit einer etwaigen »feministischen Disziplinierung des migrantischen Subjektes« (vgl. Erdem 2009: 194) verknüpft? Einen Ausblick darauf, welche Erkenntnisse aus einer Europa dezentrierenden Perspektive auf andere Politiken gegenüber Geflüchteten zu gewinnen sind, eröffnet die Momentaufnahme von Anton Escher, Ahmad Izzo und Marie Karner im Hinblick auf den Umgang mit syrischen Geflüchteten im Libanon und anderen Nachbarländern. Angesichts dieses Beitrags wird einmal mehr deutlich, dass es noch immer ein Desiderat ist, den Mittelmeerraum nicht nur als EU-europäisch dominierten Grenzraum, sondern stärker als eine Schnittstelle vielfacher postkolonialer Ordnungen und Migrationspraktiken in den Blick einer kritischen Mobilitätsforschung zu rücken (vgl. Römhild/Knecht 2013). Mehr als bisher wäre die Perspektive globaler Verflechtungen, in denen sowohl EU-europäische Politiken wie migrantische Praktiken eingebettet und wirksam sind, zugrunde zu legen, um die letztlich weltgestaltenden Relationen der Mobilitäten_Regime erfassen zu können.

Nachsatz

Der stets längere Weg, der zwischen einem Tagungsvortrag und seiner redigierten Publikation steht, ist im Fall der vorliegenden Publikation von der Corona-Pandemie als einem Ereignis globaler Reichweite eingeholt und zusätzlich verzögert worden. So thematisieren die hier versammelten Beiträge überwiegend Forschungen, die in der Hauptsache vor der Pandemie durchgeführt wurden. Sie belegen jedoch langfristige Entwicklungen, die eine Perspektive der Mobilitäten_Regime grundsätzlich nahelegt und dazu herausfordert, sie vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit dem Corona-Virus weiter zu untersuchen. So spitzen sich im Fall der Fluchtmigration humanitär unhaltbarer denn je gewordene Zustände und Politiken zu, während im Fall der privilegierten, mit Ressourcen und Wahlmöglichkeiten ausgestatteten Mobilität_Migration mit der aktuell umfassenden Einschränkung von Bewegungsfreiraum als Lebensqualität Wirtschaftszweige von beeindruckenden Dimensionen zusammenbrechen. Diese Ausnahmesituation ist dabei, weitere Dimensionen der Entfesselung des spätmodernen Kapitalismus und der antihumanistischen Formatierung durch den Neoliberalismus sowie die ihm auf dem Fuße folgenden staatlichen Politiken zu befördern.

Grenzschließungen und Einstellungen der transnationalen Transportwege, wie sie die Pandemie des Krankheitserregers Sars Cov 2 ausgelöst hat, führen auf einen Schlag zur Hinterfragung der gewohnten ›Normalitäten‹ von Mobilitätspraktiken und ihren Repräsentationen. Es entsteht eine neue gesellschaftliche Laborsituation: ein Stillstand in der Quarantäne. Von diesem historisch neuen Zwischenraum aus, der sowohl kritische Energien neu aufzustellen als auch durch Ängste und Gefahren zu unterminieren in der Lage ist, lassen sich Notwendigkeit, Nutzen und Gefahren der in den letzten Jahrzehnten entstandenen transnationalen und multiplen technologischen Möglichkeiten überdenken. Inwieweit werden sich diese Entwicklungen auf den erreichten kosmopolitisierten Standard transnationaler Relationen in den postmigrantischen Gesellschaften auswirken? Und welche zusätzlichen Formate der Undurchlässigkeit in den ›Wartezonen‹ des Mittelmeerraums bringt ein irrational auf die Abwehr von ›Fremden‹ gerichtetes Hygieneregime mit sich? Steuern wir auf einen neuen Lokalismus zu, der Menschen (wieder) auf ihnen zugewiesene Territorien begrenzt und – in einem problematischen Bündnis zwischen ökologischen und nationalistischen Argumenten – für eine Rückkehr zu lokaler Genügsamkeit plädiert? Wie können wir uns, vor dem Hintergrund der jüngsten Erfahrungen, eine Gesellschaft vorstellen, in der Gesundheit und ein gutes Leben allen Menschen, auch den über die Grenzen neu Hinzukommenden, sowie eine planetare Konvivialität als gemeinsame Perspektive und Aufgabe zugedacht und realisiert werden kann?

Literatur

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Beck, Ulrich (2019): Die Krise Europas im Kontext der Kosmopolitisierung. In: Adam, Jens / Römhild, Regina / Bojadzijev, Manuela et al. (Hg.): Europa dezentrieren. Globale Verflechtungen neu denken. Frankfurt am Main/New York. 221-236.

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  • Volume: 7
  • Issue: 1
  • Year: 2023


Regina Römhild ist Kulturanthropologin und Professorin am Institut für Europäische Ethnologie der Humboldt-Universität zu Berlin. Zu ihren Schwerpunkten in Forschung und Lehre gehören urbane Kulturen, (Post)Migration, kritische Mobilitäts- und Grenzregimeforschung, Europa und Europäisierung in globaler, postkolonialer Perspektive, politische und mediterrane Anthropologie. Sie ist Mitbegründerin der Berliner Labore Migration und Kritische Europäisierungsforschung.

Johanna Rolshoven ist Kulturanthropologin und Professorin i.R. am Institut für Kulturanthropologie der Karola-Franzens-Universität Graz. Zu ihren Schwerpunkten in Forschung und Lehre gehören politische Anthropologie, Wissenschaftsforschung, Stadt-Raum-Kulturanalyse und Mobilitäten. Sie ist Mitbegründerin der Vereine und Publikationsforen MCS. Mobile Culture Studies, IACSA. International Association for Cultural Studies in Architecture sowie ValHuman. Advancing the Value of Humanities.