Abstract Public discussions concerning the cancellation of a planned lecture by the controversial chairman of the German Police Trade Union (DPolG), Rainer Wendt, at the Goethe-University Frankfurt provides an example to reflect on current discursive-political shifts towards the right in Germany. We develop this reflection along three motives, namely the non-performativity of antidiscrimination proclamations, the (re)normalization of racism, and the liberal insistence on the privileged role and value of freedom of expression vis-Ă -vis other democratic values. We insist that debates on the relationship between antidiscrimination and freedom of expression must not privilege the latter against the former, and approach the question of who is provided access to a public scene itself as a subject of political dispute. Furthermore, we argue that such debates should be understood against the backdrop of a current swing to right-wing politics and its implications for public discourse and political argument.
Keywords antiracist critique, freedom of expression, right-wing populism, academic discourse, German Universities
»Die Goethe-Universität ist eine weltoffene Werkstatt der Zukunft mitten in Europa. 1914 von BürgerInnen für BürgerInnen gegründet, hat sie seit 2008 als autonome Stiftungsuniversität an diese Tradition wieder angeknüpft. Ihrer wechselvollen Geschichte kritisch verpflichtet, ist sie geleitet von den Ideen der Europäischen Aufklärung, der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit und wendet sich gegen Rassismus, Nationalismus und Antisemitismus. Die Goethe-Universität ist ein Ort argumentativer Auseinandersetzung; Forschung und Lehre stehen in gesellschaftlicher Verantwortung.«
Dieses Leitbild strahlt an einem Freitagabend im Januar 2018 zwei Stunden lang über einem voll besetzten, unruhigen Hörsaal. Der groß an die Wand projizierte Text richtet sich an das Publikum einer Veranstaltung der »Frankfurter Bürgeruniversität« mit dem Titel »Diskurskultur im Zwielicht – Wie viel Meinungsfreiheit verträgt die Uni?« Die Atmosphäre ist für eine öffentliche Abendveranstaltung ungewöhnlich angespannt: Menschen mit unterschiedlichen politischen Einstellungen sitzen dicht beieinander, ein paar Burschenschaftler mit Schärpe nehmen die Mitte des Saales ein, es gibt Gerüchte, die AfD habe zu der Veranstaltung mobilisiert. Argwöhnisch blicken viele auf die Nachbarin und ihr Klatschverhalten, immer wieder kommt es zu Zwischenrufen und lautstarker Empörung. Auf dem Podium diskutieren die Universitätspräsidentin, die Leiterin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam, ein Philosoph und Toleranzexperte, ein Humangeograph und Polizeiforscher, ein Jurist sowie ein Vertreter des AStA über die Reichweite der Meinungs- und Forschungsfreiheit an der Universität und den Umgang mit populistischen Diskursen.
Anlass für die Podiumsdiskussion ist eine Auseinandersetzung, die einige Monate zuvor bundesweit durch die Medien ging. Die Leiterin des Forschungszentrums Globaler Islam, Professorin Susanne Schröter, hatte den Polizeigewerkschafter Rainer Wendt zu einem Vortrag mit dem Titel »Polizeialltag in der Einwanderungsgesellschaft« eingeladen. Der eingeladene Wendt ist kein Unbekannter: Er ist erfolgreicher Lobbyist einer Polizeiarbeit im Law-and-Order-Stil und ein beliebter Talkshowgast, der sich durch populistische Forderungen – etwa nach einem Grenzzaun um Deutschland (vgl. Tagesschau 2015) – in die öffentliche Debatte gespielt hat (vgl. Wendt 2016). Auch aufgrund seiner Befürwortung von racial profiling, der Mobilisierung kultur-rassistischer Freund-Feind-Schemata und essentialistischen Problematisierung einer »Machokultur junger Muslime« steht Rainer Wendt immer wieder in der Kritik von Menschenrechtsorganisationen (Peter 2016) und ist auch unter Kolleginnen bei der Polizei umstritten (vgl. etwa die von dem Polizisten Oliver von Dobrowolski initiierte Petition »Keine Bühne mehr für Rainer Wendt (DPolG) – er spricht nicht für die ganze Polizei«, Change.org 2017).
Wissenschaftler_innen und das Studierendenparlament kritisierten daher die Einladung Wendts an die Universität Frankfurt. In einem offenen Brief1, zu dessen 60 Unterzeichnenden auch wir gehören, wurde Kritik an Wendts Positionen formuliert und seine Ausladung gefordert. Vor dem Hintergrund des gesamtgesellschaftlichen Rechtsrucks ging es uns vor allem darum, die Normalisierung rassistischer Diskurse an der Universität und über diese hinaus sichtbar zu machen; Wendt einzuladen hielten wir für einen politischen Fehler und unvereinbar mit der gesellschaftlichen Verantwortung der Wissenschaften und der Goethe-Universität.
Um die Einladung Wendts und seine spätere Ausladung entwickelte sich eine mediale Debatte und eine Diskussion an der Hochschule, deren Dynamik uns überraschte und deren Argumentationslogik uns besorgte. Im Verlauf dieser Debatte rückten wir als Befürworter_innen einer Ausladung Wendts selbst ins Zentrum der Kritik. Uns wurden die Forderung nach Zensur, ein »Angriff auf die Meinungsfreiheit« und »linke Meinungsdiktatur« unterstellt (bspw. Baum 2017; 3-Sat Kulturzeit 2018). Die Sorge um solche Tendenzen und deren Außenwirkung dominierten auch die im Nachgang der Ausladung Wendts veranstaltete Podiumsdiskussion. Die Universität sei kein Schutzraum, »kein Kindergarten und das Präsidium keine Meinungspolizei« erklärte die Präsidentin in einem offiziellen Statement (Wolff 2017). Darin wurde betont, dass Positionen, die von der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gedeckt seien, auch auf dem Campus offen angesprochen werden können müssten: »Ein Klima der Angst – ganz gleich von welcher Seite dieses geschürt werde – gefährde die Wissenschaftsfreiheit« (ebd.).
Auch an anderen Universitäten, in kulturellen Einrichtungen wie Theatern, Stadtbüchereien oder Ausstellungsräumen wurde zuletzt immer häufiger und heftiger darüber gestritten, welchen rechten Positionen noch und welchen gerade nicht mehr diese Bühnen des gesellschaftlichen Diskurses geboten werden sollten. Am prominentesten bleibt sicherlich die Auseinandersetzung um den rechten Antaios Verlag auf der Frankfurter Buchmesse im Herbst 2017 in Erinnerung (vgl. Bildungsstätte Anne Frank 2017; Blum/Pichl/Uhlig 2017). Aber auch die medialen und öffentlichen Angriffe gegen Genderforscher_innen sowie die Gender Studies im Allgemeinen, die ebenfalls Ausdruck einer Diskursverschiebung hin zu rassistischen, rechten und Anti-Gender-Formationen sind, werfen die Frage auf, wie mit solchen Verschiebungen umzugehen ist (vgl. Hark/Villa 2015; Sektion Frauen- und Geschlechterforschung in der DGS 2015). Parallel zu diesen Aushandlungen weitet sich der Raum des Sagbaren für rechte und rassistische Positionen schon seit einiger Zeit aus: In Talkshows und Interviews werden menschenverachtende Positionen vertreten und die Einschränkung der Grundrechte minorisierter Gruppen gefordert. Begriffe wie ›importierte Gewalt‹ oder ›kriminelle Flüchtlinge‹ sind längst im gesamtgesellschaftlichen Sprachgebrauch angekommen.
Die Frage, wie man mit rechtspopulistischen, rechten, rassistischen und/oder antisemitischen Stimmen in Foren demokratischer Öffentlichkeit umgehen soll, ist fraglos von aktueller Dringlichkeit. Sie wird von unterschiedlichen Akteur_innen mit unterschiedlichen Nuancierungen gestellt: als Frage danach, wer wo reden kann, reden soll oder reden darf; als Frage, ob, wo, wie man mit Rechten sprechen muss; was es bringt, mit Rechten zu diskutieren; wie man Rechte kritisieren oder aufklären kann; wie man verhindert, dass Rechte reden; was passiert, wenn Rechte reden, und wer vielleicht nicht mehr spricht oder gehört wird, wenn Rechte reden.
Dass in der Auseinandersetzung um den ›Fall Wendt‹ eine starke Fokussierung auf die Frage der Meinungsfreiheit vollzogen wurde, ist dabei selbst diskussionswürdig. Prägend war darüber hinaus die Verortung der Debatte im diskursiven Feld der liberalen und aufgeklärten Hochschule, die für sich selbst die Kritik und Überwindung von Rassismus, Antisemitismus und Sexismus in Anspruch nimmt. Vor diesem Hintergrund zeichnen sich entlang der entstandenen Diskussionslinien und Konfliktdynamiken weitergehende strukturelle Probleme und gesellschaftliche Verschiebungen ab, die weit über den Frankfurter Fall hinausreichen. Deutlich wurde im konkreten Fall, wie gefährlich es ist, Meinungsfreiheit und Rassismuskritik gegeneinander auszuspielen. Die Auseinandersetzung um Wendt an der Goethe-Universität dient uns daher im Folgenden als Anlass dazu, zentrale Probleme der Verhandlung von Meinungsfreiheit und Antidiskriminierung in Zeiten zunehmenden Rechtspopulismus zu diskutieren.
Im Folgenden werden wir zunächst knapp das Geschehen rekonstruieren und zeigen, inwiefern es irreführend ist, die Ein- und Ausladung Rainer Wendts allein im Rahmen einer Debatte um Meinungsfreiheit zu diskutieren. Daraufhin werden wir drei Argumentationsfiguren aus der Diskussion um die Ausladung Wendts reflektieren. Wir problematisieren zunächst die leeren Bezugnahmen auf Diversitäts- und Antidiskriminierungsleitlinien, bevor wir zweitens die Rassismus normalisierenden Tendenzen solcher Argumentationen herausstellen. Drittens reflektieren wir die Anrufung von Meinungsfreiheit als liberale Diskursstrategie, welche Diskussionen um Fragen der Diskriminierung tendenziell verunmöglicht.
Der ›Fall Wendt‹ als Problem von Meinungsfreiheit?
Die Kritik unseres offenen Briefes an der Einladung Wendts hat tatsächlich und – für uns überraschend – zu einer Absage des Vortrags durch das Forschungszentrum Globaler Islam geführt. Die Direktorin des Zentrums begründete diesen Schritt allerdings widersprüchlich: Mal sprach sie von einer inhaltlichen Neuorientierung der Veranstaltungsreihe, dann wieder beschrieb sie ein linksradikales Bedrohungsszenario und äußerte Sicherheitsbedenken. Der Medienprofi Wendt nutzte diese Vorlage, um sich als Opfer von ›Fake News‹, Lügen und linker Stimmungsmache zu inszenieren (vgl. Baum 2017). ›Meinungsfreiheit in Gefahr‹ und eine mit Gewalt unterdrückte Meinungsvielfalt (vgl. Wendt 2018): solche Diagnosen Wendts wurden von etlichen Zeitungen – von der Frankfurter Neuen Presse bis hin zur Welt – bereitwillig aufgenommen. Innerhalb weniger Tage wurde die Ausladung zu einem bundesweiten Politikum. Als Ort des argumentativen Austauschs und der Meinungsfreiheit habe damit auch die Goethe-Universität einen schwerwiegenden Imageschaden erlitten, so Stimmen aus Presse und Politik. Mit der Podiumsdiskussion zur »Diskurskultur im Zwielicht« antwortete die Universitätsleitung auf diese öffentlichen Vorwürfe. Auch die Verfasser_innen des offenen Briefes wurden zu dieser Diskussionsrunde eingeladen.
Von Seiten der Hochschule war die Veranstaltung als Diskussion über die Frage der Meinungsfreiheit und nicht etwa über die von Rassismus und Populismus gerahmt. Dies war ebenso wenig verhandelbar wie die Besetzung des Podiums und kennzeichnete im Nachgang auch den Fokus der medialen Berichterstattung. Eine die Meinungsfreiheit fokussierende Beschreibung des Problems verkennt jedoch, dass ein offener Brief kein Mittel der Zensur ist: Die Verantwortung für die Ein- wie auch die Ausladung des Referenten trägt die Einladende – das erklärt sie übrigens selbst in öffentlichen Stellungnahmen (vgl. Zoske 2017). Die Vereinseitigung der Debatte auf die Frage der Meinungsfreiheit spielte zudem unwillentlich den Argumentationsstrategien der Neuen Rechten und dem rechtskonservativen Lager zu. Diese disqualifizieren bereits seit den 1990er-Jahren Forderungen nach Diskriminierungsfreiheit als Zensur und Angriff auf die Meinungsfreiheit, als linke ›political correctness‹ oder ›Genderwahn‹. Vor diesem Hintergrund lässt sich die mediale Aufmerksamkeit für die Ausladung Wendts – und nicht etwa für seine Einladung – die Sorge um die Meinungsfreiheit – und nicht um die Wirkung von Wendts Aussagen – als »moral panic« (Cohen 1972; Thompson 1998) beschreiben: Die Intervention einer kleinen Gruppe durch das Schreiben eines offenen Briefes wurde von der breiteren Öffentlichkeit als Gefahr und als Bedrohung der moralischen Werte und der Ordnung der Gesellschaft aufgefasst.
Die Problemverschiebung verdeckt zuletzt, was ursprünglich der Anlass des offenen Briefes war: das Recht auf Diskriminierungsfreiheit. Es ist gerade dieser Zusammenhang, den wir als strukturelles Problem in der gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation für besonders wichtig halten. Denn die Auseinandersetzung um legitime politische Stimmen und Diskurse, die selbst die Form eines demokratischen Streits besitzt, muss beide Dimensionen – die Meinungs- und die Diskriminierungsfreiheit – berücksichtigen, auch wenn sie durchaus in einem Spannungsverhältnis stehen können. Dies wollen wir im Folgenden näher erläutern.
Undoing Things with Words: die Nicht-Performativität von Antidiskriminierung
In einem der ersten Publikumsbeiträge bei der Veranstaltung wurde auf die Verantwortung des Präsidiums für die Umsetzung der diskriminierungskritischen Leitlinien verwiesen. Wie kann das demokratische Grundprinzip des Schutzes minorisierter Gruppen an der Universität umgesetzt werden? Andere Beiträge aus dem Publikum problematisierten, dass Wissenschaftler_innen, die zu Migrationsgesellschaft, Rassismus oder Antisemitismus forschen, durch AfD-Aktivist_innen bedroht werden. Noch auf dem Podium war die monatelange, massive Bedrohung von Professor_innen der Frauen- und Geschlechterforschung durch Antigenderaktivist_innen angesprochen und die fehlende Solidarität der wissenschaftlichen Communities thematisiert worden. Doch obwohl sich die Beiträger_innen mehrfach auf das über der Veranstaltung leuchtende Leitbild beriefen, in dem sich die Universität gegen Antisemitismus, Rassismus und Sexismus wendet, liefen Rückfragen zur konkreten Umsetzung immer wieder ins Leere: Kritikpunkte wurden mit Floskeln abgetan, Hinweise auf Missstände wurden überhört. In der Debatte um die Ausladung Wendts tritt das Spannungsverhältnis zwischen diskriminierungskritischen Leitlinien und ihrer praktischen Implementierung deutlich hervor.
Der eklatante Widerspruch zwischen der Mobilisierung des diskriminierungskritischen Leitbilds und dem gleichzeitigen Überhören von Akteur_innen, die Antidiskriminierung einfordern, lässt sich mit Rückgriff auf Sara Ahmed (2012) als Nichtperformativität solcher Politiken beschreiben. In ihrer empirischen Studie zu Diversitäts- und Antidiskriminierungspolitiken an britischen und australischen Hochschulen argumentiert die Rassismusforscherin, dass solche Programme in der Praxis oft nicht umsetzen, was sie versprechen. Sie formulieren Ziele, deren Umsetzung zugleich verschoben und verhindert wird, anstatt Veränderungen zu gestalten. Ahmeds Argument ist nicht einfach, dass hier Diskurs und Praxis nicht übereinstimmen, sondern dass die aktuellen Diskurse zu Gleichstellung und Antidiskriminierung vor dem Hintergrund der Neoliberalisierung der Hochschule folgenlose Proklamationen produzieren, die eine wirksame Praxis systematisch verhindern (vgl. die Beiträge in Dhawan 2016). In der systematischen Aussparung von Fragen der Diskriminierungsfreiheit wiederholte die Podiumsdiskussion ebensolche leeren – nicht-performativen – Gesten.
Randphänomene: die Normalisierung von Rassismus
Selbstverständlich, so wurde während der Veranstaltung mehrfach betont, würde man nicht mit einem ›wirklichen‹ Rassisten diskutieren. Rainer Wendt polarisiere zwar, ein Rassist sei er jedoch eindeutig nicht. Eine Auseinandersetzung darüber, was rassistische Positionen charakterisiert und wie sie erkannt und eingeordnet werden können, wurde jedoch verweigert oder vermieden.2 Dies entstand zum einen durch die klare Rahmung als Diskussion über Meinungsfreiheit. Die Frage, ob eine Position rassistisch zu bewerten sei, bekam in der Debatte den Charakter einer individuellen Befindlichkeit oder ideologischen Verblendung; ganz als sei es irrelevant für die Debatte oder einfach nicht zu bestimmen, ob Wendt problematische Positionen vertrete oder nicht. Man dürfe keine Labels anheften, erklärte Schröter, dies würde ein Klima der Angst erzeugen.
Rassismus erschien in der Debatte als diffuse Anklage, die sich nicht belegen lässt. In dieser Hinsicht kann von einer Normalisierung von Rassismus durch seine Verkennung gesprochen werden. Seit Jahrzehnten verweist die deutschsprachige Rassismusforschung darauf, dass Rassismus und Rechtsextremismus nicht dasselbe sind. Rassismus ist kein Randphänomen, sondern verläuft als gesellschaftliches Verhältnis auch durch die Mitte unserer Gesellschaft (vgl. Bojadžijev/Demirović 2002; Ha/al-Samarai/Mysorekar 2007; Jäger 1992; Oguntoye/Opitz/Schultz 1986; Räthzel 2000). Er lässt sich nicht als intentionales Fehlverhalten oder falsche Meinung beschreiben und kommt in seinen alltäglichen Formen durchaus auch ohne Bezüge auf biologistische Konstruktionen von ›Rasse‹ aus. Obwohl viele in der Debatte behaupten konnten, dass Wendts Aussagen ›nicht rassistisch‹ seien, wurde die Rassismusforschung ebenso wenig einbezogen wie rassismuskritische Wissensbestände. Obwohl der Einsatz gegen Rassismus und Sexismus immer wieder betont wurde, blieb somit weitgehend unklar, um welche gesellschaftlichen Phänomene es sich dabei eigentlich handelt und wie mit diesen Diskriminierungen umgegangen werden kann.
Diese Nichtbeachtung rassismuskritischer Positionen und Expertisen trägt zur Normalisierung von Rassismus bei: Weder bei der geplanten Veranstaltung mit Wendt noch in der Medienberichterstattung oder bei besagter Podiumsdiskussion wurden etwa ausgewiesene Rassismusforscher_innen als Expert_innen eingeladen, die Befunde und Kritik zu strukturellem Rassismus systematisch hätten einbringen können. Im Gegenteil wurde ein Rassismusverständnis mobilisiert, das – seine gesellschaftliche Wirkmacht und Gewalt bagatellisierend – diesen zu einer willkürlichen Unterstellung einer politischen Gruppe herabstufte.
Liberale Phantasien: die Meinungsfreiheit auf bequeme Art verteidigen
Ein dritter Argumentationstyp, mit dem sich unser offener Brief konfrontiert sah, betonte in liberaler Manier die Verteidigung der Meinungsfreiheit. Letztere sei ein hohes, ja das höchste Gut und verbinde sich in den Universitäten mit der Wissenschaftsfreiheit. So wenig diese Freiheiten durch den offenen Brief angegriffen wurden, so notorisch war unsere Intervention doch mit dem liberalen Diktum Voltaires konfrontiert: Bei aller Meinungsverschiedenheit müsse immer noch die Möglichkeit ihrer Artikulation erhalten bleiben. Doch die liberale Verteidigung der Meinungsfreiheit ist darin nicht nur wohlfeil und bequem, sondern drängt auch die gegenüber rassistischen ›Meinungen‹ artikulierte Kritik in den Bereich derer, die diese Freiheit gefährden. Damit wird gleichsam von ›links‹ vollzogen, was wir oben bereits als neu-rechte Strategie der Diskursverschiebung formuliert haben. Eine solche Abstraktion vom konkreten Diskursverlauf führte im Fall der Frankfurter Intervention gegen Rainer Wendt schließlich auch dazu, dass seitens der liberalen Kritiker_innen der Schaden für die Meinungsfreiheit größer eingeschätzt wurde als der durch die Diskursteilnahme einer bereits hinlänglich rassistisch positionierten Person.
Damit werden die diskursiven Mittel der Rassismuskritik zum Problem erklärt. Dabei appellierte diese Kritik gerade an das universitäre Leitbild und die gesellschaftliche Verantwortung der Wissenschaften. Aus der liberalen Perspektive heraus erschien die öffentliche Ablehnung der Diskussion mit einer Person, die sich schon allerorts zu Wort gemeldet und von der man längst genug Unhaltbares gehört hat, jedoch nicht mehr als Markierung einer Grenze des universitären Streits um das bessere Argument, sondern als ›diskurspolizeiliches‹ Auftreten und als Kapitulation vor den Herausforderungen der argumentativen Auseinandersetzung. Der offene Brief sei ein diskursives und politisches ›Eigentor‹, da eine Gelegenheit ausgelassen worden wäre, die Meinungsverschiedenheit erfolgreich auszutragen. Neben der Mutlosigkeit wurde den Verfasser_innen des offenen Briefs auch ein Mangel an Toleranz, Neugier und Offenheit attestiert. Falsch sei zwar nicht die Kritik an Rassismus und Rechtspopulismus, aber der Effekt, dass sie vor aller Auseinandersetzung schon einen Ausschluss produziere, sei unbedingt zu vermeiden. Denn allein so könne die geforderte Ausladung zum Wasser auf die Mühlen der Rechten werden, die sich nun als die eigentlichen Opfer stilisieren könnten.
Gegen diese Verkehrung wenden wir ein, dass die Diskriminierungsfreiheit als ebenso hohes Gut wie die Meinungsfreiheit zu verteidigen ist und sich diese eben nicht gegeneinander ausspielen lassen. Dies erfordert es, auch im konkreten Einzelfall Widerstand gegen die Einladung von Personen zu leisten, deren Äußerungen einen diskriminierenden Gehalt erwarten lassen (vgl. Belina 2018; Pichl 2018). Hier geht es nicht nur um die Frage der Toleranz, sondern auch darum, dass die Grenzen der Sagbarkeit selbst politisch ausgehandelt werden müssen. Rassismuskritik geht dort über die liberale Toleranzforderung hinaus, wo sie den diskursiven wie sozialen Raum der Hochschulöffentlichkeit insgesamt beschädigt sieht.
Dieser Punkt lässt sich auch gegen das liberale Phantasma einwenden, jeden argumentativ geführten Streit mit illiberalen Positionen für sich entscheiden zu können. In der Gewissheit, in jeder noch so an die Schmerzgrenze der Toleranz reichenden Situation den Sieg davontragen zu können, äußert sich ein selbstgefälliges Verständnis liberaler Verteidiger_innen der Meinungsfreiheit. Dabei überrascht, dass dieses kämpferische Selbstverständnis in der Diskurspraxis selten von Liberalen eingelöst wird. Wer unbedingt mit Rechten reden will, soll sich keinen Zwang antun. Die Intervention des offenen Briefs war jedoch von der erfahrungsgesättigten Überzeugung getragen, dass dieses ›Reden‹ nicht nur nichts bringt, sondern jedes weitere Wort Schaden für die Diskursivität selbst bedeutet. Rassismuskritik interveniert schon dort, wo sie mit der wiederholten Artikulation der gleichen Ressentiments und Stereotype rechnen muss. Die liberale Verurteilung einer solchen Intervention hält sich allzu bequem aus der Frage heraus, wer und in welcher Weise eigentlich von Diskriminierungen im universitären Kontext betroffen ist. Da auch an Hochschulen weiterhin Personen durch Diskriminierung bedroht und Adressat_innen von alltagsrassistischen Angriffen werden, bleibt zu fragen, wie die Hochschulen und die Wissenschaft als diskriminierungsfrei(er)e Räume verteidigt werden können? Gute und unbequeme Antworten diesbezüglich, so unsere Überzeugung, liefert die kritische Forschung zu Rassismus und nicht die liberale Theorie der Meinungsfreiheit.
Ausblick: Warum Kritik keine Zensurforderung ist
Die skizzierten Argumentationsfiguren sind innerhalb der gesamtgesellschaftlichen Diskursverschiebungen zu verorten, die mit einem Erstarken von Rassismus, Antisemitismus, Sexismus und Rechtspopulismus einhergehen. Sie verweisen auf delegitimierende Wirkungsweisen und Disqualifizierungen, mit denen sich rassismus- und antisemitismuskritische sowie feministische Wissenschaftler_innen zunehmend auseinandersetzen müssen. Daher gilt es mehr denn je, sich für diese Arten der Problematisierung zu wappnen. Insbesondere vor dem Hintergrund unterschiedlicher Positionierungen und Erfahrungsbestände mit gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnissen ist es unabdingbar, solidarische intersektionale Verknüpfungen herzustellen und zu fördern. Nur so lässt sich der rassistischen Stimmungsmache und den Effekten der beschriebenen diskursiven Strategien etwas entgegensetzen. Unsere Überlegungen legen nahe, dass weniger das Spannungsverhältnis von Meinungsfreiheit und Rassismuskritik das Problem ist, sondern vielmehr jeder Versuch, sie gegeneinander auszuspielen. Der ›Fall Wendt‹ demonstriert, wie schnell dies geschehen kann, und wie schwierig es dann wird, die Kritik an diskriminierenden Positionen wieder als ebenso wichtige Grundlage der wissenschaftlichen und politischen Diskurse einzufordern. Die Betonung der notwendigen Aushandlung von Meinungsfreiheit und Diskriminierungsfreiheit soll hierbei gerade nicht gegen den politischen Streit immunisieren; im Gegenteil: Es gilt, sich diesen Auseinandersetzungen zu stellen, die herausfordernd, riskant und schmerzhaft sein können. Auf den Vorwurf, sich dadurch der Auseinandersetzung zu entziehen, können wir nur entgegnen, dass Meinungsfreiheit auch heißt, nicht mit jedem reden zu müssen – und dennoch einiges zu deren Position zu sagen zu haben.
Literatur
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