Die Urbanität des Jungle

Calais und die Möglichkeit einer migrantischen Stadt

Thomas Müller, Sascha Zinflou

Abstract This essay suggests a changed view on the Jungle of Calais, dismantled in 2016, by exploring its transformation into an informal city. Starting from an analysis of Calais’ political and visual geography, the essay studies how the »New Jungle« emerged and evolved during 2015 and 2016. This settlement originated from the authorities’ evictions of then-existing camps and the subsequent assignment of a defined area, which was treated like an extraterritorial zone. The New Jungle showed enormous dynamics, and grew to a settlement of 10,000 inhabitants within 18 months. In addition to traditional indicators for urbanity (condensing, differentiation, centrality), the analysis reveals the formation of a hybrid urban culture that is integrated into complex civil society networks. The authors see this as an evolution of the migratory mobile commons in a »border trap« (Michel Agier), caused by UK border’s externalization on French territory. The urbanity of the New Jungle resembles the French bidonvilles in the 20th century, which however reflects a global change of the urban — no longer understood as a permanent structure, but instead taking informal, precarious and ephemeral forms. Even after its destruction by the authorities, the New Jungle has remained a viable entity, as prevention of any new urbanization has become a central task for police action in Calais.


Keywords Calais, Jungle, urbanization, transit migration, Franco-British border


Der vorliegende Beitrag widmet sich den Jungles von Calais unter dem Gesichtspunkt ihrer Transformation in eine Stadt. Standen am Anfang der Entwicklung prekäre und temporäre Camps, die seit dem Ende der 1990er Jahre zunächst sporadisch in der nordfranzösischen Hafen- und Grenzstadt existierten, so bildete sich nach einigen Zwischenstadien im Frühjahr 2016 eine Siedlung, in der nach wenigen Monaten bereits 5.000 und nach knapp anderthalb Jahren mehr als 10.000 Menschen unterschiedlicher Herkunft, Motivation und rechtlicher Stellung lebten. Dieser New Jungle war der flächenmäßig größte aller Calaiser Jungles, doch war er anders entstanden als die vorausgegangenen: Nach einer langen Folge von Räumungen und Neugründungen hatten die Behörden die Migrant_innen auf einem einzigen Siedlungsplatz konzentriert und ›tolerierten‹ sie dort, bis sie sie im Oktober und November 2016 auf ein Netz kleiner ›Aufnahme- und Orientierungszentren‹ im ganzen Land verteilen und die Siedlung vollständig zerstören sollten.1

Was war diese Siedlung? Einfach nur ein großes Transitcamp, ein Getto, ein Slum? Unseres Erachtens beschreiben diese häufig verwendeten Termini den New Jungle nur unvollständig, da sie ein wesentliches Charakteristikum außer Acht lassen, nämlich seine Urbanität.

Den New Jungle als eine Stadt zu erkennen, war unter seinen Bewohner_innen wie auch bei französischen Beobachter_innen und Forscher_innen nicht so außergewöhnlich wie im deutschen Diskurs. Die Architekturen und Strukturen, die Formen der Improvisation und der Selbsthilfe, die einsetzenden Entwicklungsschübe und Wachstumsdynamiken unterscheiden sich nicht wesentlich von prekären urbanen Siedlungen des globalen Südens und waren etwa im Prozess der Industrialisierung auch in den Peripherien europäischer Städte gängig. Historisch gingen sie außerdem den (im traditionellen eurozentrischen Verständnis) regulären Städten voraus, wenn etwa komplexe mittelalterliche Siedlungen spezialisierter Handwerkergruppen durch ihre Einbindung in Fernhandelsnetzwerke eine ökonomische Macht akkumulierten und diese taktisch einsetzten, um ihre Autonomie gegenüber dem Landesherrn zu stärken. Solche historischen Siedlungen an der Schwelle zur Stadt waren Gemeinwesen in einem räumlich-zeitlich-rechtlichen Zwischenzustand, in dem sie typologisch nicht mehr als Dorf oder Zwecksiedlung begriffen werden konnten, jedoch (noch) keine Stadt im Sinne jener Attribute waren, die im heutigen Alltagsverständnis die Stadtwerdung markieren, also etwa die formale Zuweisung oder Anerkennung eines bestimmten Rechtsstatus (›Verleihung der Stadtrechte‹), die Akkumulation von Ressourcen, Wissen und Privilegien (z.B. Marktrecht, Zunftwesen, Gerichtsbarkeit) oder die Ausführung bestimmter Architekturen (z.B. Stadtmauer, Rathaus). Diese räumliche Verdichtung und zunehmende Autonomie bedeutete immer auch eine soziale Transformation, nämlich die Herausbildung einer differenzierten und nicht mehr allein durch persönliche Bekanntschaft konstituierten Stadtgesellschaft, oft einhergehend mit der Nutzung von Migrationen und Mobilitätsbeziehungen zu anderen Städten und der Herausbildung einer zentralörtlichen Rolle gegenüber dem Umland. Anzeichen für die daraus resultierenden Indikatoren von Urbanität, insbesondere Verdichtung, Differenzierung, Zentralörtlichkeit und Autonomie, fanden sich im New Jungle und wurden zudem von der Herausbildung spezifischer sozialer, ökonomischer, kultureller, sprachlicher und alltagstaktischer Muster begleitet, die, so unsere These, urban waren.

Insofern ähneln Siedlungen an der Schwelle zur Stadt einander. Sie unterscheiden sich jedoch, sobald wir das in der westlichen Moderne hegemoniale Stadtkonzept zu Grunde legen, in einem wesentlichen Punkt: Denn Städte sind in diesem Konzept durch ihre Permanenz definiert und setzten sich damit von ephemeren Siedlungen wie beispielsweise Camps ab (Mehrotra/Vera 2017). In diesem engen Verständnis war der New Jungle keine Stadt, da dort hauptsächlich Migrant_innen on the move lebten, also (vordergründig) keine (und tatsächlich nur eine geringe) Sesshaftigkeit bestand und auch in baulicher Hinsicht keine auf Dauer angelegten Strukturen erkennbar zu sein schienen. Diese Sicht verändert sich jedoch, sobald wir Permanenz nicht mehr als konstitutiv für Urbanität begreifen. Ansätze hierfür bieten Konzepte des 20. Jahrhunderts, in denen Urbanität als sozioökonomisches und soziokulturelles Phänomen begriffen wurde (etwa Georg Simmel und Louis Wirth, vgl. Herz 2013: 499), und aktuelle Forschungen über ›informelle‹, ›prekäre‹, ›kinetische‹ und ›ephemere‹ Formen von Stadt und Urbanisierung, die ihrerseits an postkoloniale Perspektiven anschließen und explizit die Urbanisierung von Flüchtlingscamps in den Blick genommen haben (ebd.).

Wir werden also einen erweiterten Begriff von Stadt anwenden, der global zu beobachtende Prozesse ephemerer Urbanisierung in den Fokus rückt. Doch haben wir es zugleich mit einem innereuropäischen und innerfranzösischen Kontext zu tun, der den New Jungle in die Geschichte der sogenannten bidonvilles einfügt. Französische Autor_innen wie der Soziologe und Urbanist Julien Damon (2017), der Anthropologe Michel Agier (et al. 2018) und der Aktivist und Blogger Philippe Wannesson (2016, sowie die dort abrufbaren Beiträge) haben den New Jungle als Bidonville beschrieben und ihn auf diese Weise zu den informellen Siedlungen am Rande der französisch-algerischen und kontinentalfranzösischen Städte der 1930er bis 1970er Jahre in Beziehung gesetzt, worauf wir noch zurückkommen werden.

An dieser Stelle ist hinzuzufügen, dass der New Jungle noch in einem weiteren Kontext zu sehen ist, nämlich der Externalisierung der europäischen Grenzen. Diese findet hier im Innern der EU statt, nämlich als Externalisierung der britischen Grenzkontrollen auf französisches Territorium (vgl. AnArchitektur 2002; Clochard 2007). Daher gehört der New Jungle auch in die Kategorie exkludierter Lebensorte innerhalb der so geschaffenen Grenzräume (vgl. BABELS 2017), für die Agier den Begriff der »Grenzfalle« (Agier 2016: 58ff.) ins Spiel gebracht hat.

Aufgrund der hohen medialen Aufmerksamkeit, die auf ihn gerichtet war und sich mit Praxen politischer Aneignung und ideologischer Aufladung verband, war der Jungle zudem emblematisch, d.h. er mutierte unfreiwillig zu einem Symbolort am Kreuzungspunkt politischer, sozialer, kultureller und konzeptioneller Krisen des europäischen Integrationsprojekts. Ihn nicht als Stadt — genauer: als eine Stadt außerhalb des hegemonialen Verständnisses von Stadt — sondern lediglich als ›Camp‹, ›Lager‹, ›Sackgasse‹, ›rechtsfreien Raum‹, ›humanitäre Krise‹ oder Objekt humanitärer Hilfe zu beschreiben, umging das Verstörende und fügte es in einen wohldefinierten Diskurs der ›Flüchtlingskrise‹ und ihrer ›Lösung‹ ein. Damit war der Zugang zu zwar ambivalenten, aber ebenso produktiven Entwicklungen im gegenwärtigen Europa verstellt. »Wir Mitteleuropäer ertragen die Unkontrollierbarkeit von selbstorganisierten Siedlungen seit einigen Generationen nicht mehr«, schreibt Stefan Mörsch über den New Jungle und weist auf eine Konsequenz hin: »Damit haben wir uns aber von einer in anderen Teilen der Welt willkommenen Ressource zur Urbanisierung komplett abgeschnitten« (Mörsch 2016: 216).

Diese Prozesse sind Gegenstand des vorliegenden Essays. Ausgangspunkt ist die These, dass in Calais eine Transformation der im Vollzug der Migration virulenten mobile commons hin zu einer Form prekärer Urbanität stattgefunden hat, die wiederum eine enorme Dynamik, Komplexität und Effizienz hat entfalten können. Diese Entwicklung geschah nicht voraussetzungslos, sondern erstreckte sich über mehr als ein Jahrzehnt und war durch die spezifischen Bedingungen der französisch-britischen Grenzregion und des Grenzregimes, der Geschäftsmodelle der auf Grenzpassage spezialisierten Dienstleister, der Interessen und Strategien der beiden Regierungen, der Handlungsspielräume der lokalen Behörden, der Nutzbarkeit eigener und fremder Ressourcen, der Einbindung in zivilgesellschaftliche Netzwerke, der Vielschichtigkeit solidarischer Praxen und nicht zuletzt durch das Migrationsgeschehen selbst strukturiert. Wir werden uns dieser Stadt zunächst auf der Ebene der politischen und visuellen Geographie annähern, bevor wir einige Indikatoren ihrer Urbanität beschreiben, einige theoretische Zugänge skizzieren und einen Blick auf die Situation nach der finalen Zerstörung im Herbst 2016 werfen.

Zwei Orte und die Distanz zwischen ihnen

Der New Jungle trug verschiedene Namen: La Lande, also Brachland oder Heide, hieß er im offiziellen Sprachgebrauch, wo er auch als ›toleriertes Camp‹ bezeichnet wurde. In diesem sprachlichen Muster erschien er gleichsam als leerer Raum im Zustand einer zugestandenen, jedoch namen- und formlosen (informellen) Zwischennutzung. Jungle hingegen hieß die Siedlung bei ihren Bewohner_innen, bei Aktivist_innen und Helfer_innen, bei der lokalen Bevölkerung, bei den meisten Medien und nicht zuletzt bei rassistischen und rechtsextremen Gruppen. Positiv verstanden repräsentierte der Name Jungle eine Kontinuität innerhalb einer langen Reihe aufeinander folgender oder parallel zueinander bestehender Siedlungen von Migrant_innen, die in Calais seit den späten 1990er Jahren nachgewiesen sind und seit Mitte der 2000er Jahre als Jungles bezeichnet werden.

Das Zentrum des New Jungle, im Hintergrund die weißen Zäune entlang der Autobahn zum Fährhafen. (Foto: T. Müller, Oktober 2016)

Der Begriff ist eng verbunden mit einer Waldparzelle, die inselartig am östlichen Rand von Calais liegt und seit etwa 20 Jahren immer wieder genutzt, besiedelt und geräumt worden ist. Das paschtunische Wort Dzhangal bedeutet Wald und existiert in ähnlicher Form in einer Vielzahl von Sprachen (z.B. pers. jangal, hindi jamgal, arab. daɣal, eng./frz. jungle, dt. Dschungel). Es bezeichnete also sowohl die Topographie des Siedlungsplatzes als auch die Siedlung selbst, ging auf eine Anzahl weiterer Siedlungen in Calais über und wurde zudem ortsunabhängig für einen bestimmten Typus von Siedlungen benutzt. Wir haben es also mit einem vielschichtigen und polyglotten Terminus zu tun, der jede dieser Siedlungen in ein Netz anderer Orte entlang von Migrationsrouten und an schwer passierbaren Grenzen einordnet. Der Zusatz New machte deutlich, dass die hier beschriebene Siedlung nicht einfach nur ein Jungle wie die vorausgegangenen war. Denn waren dies Landbesetzungen, so war er zugewiesenes Land; er war Mittel staatlichen Handelns, war in eine Strategie von Raumentzügen und Raumzuweisungen eingebettet und trug Züge eines Gettos.

Der New Jungle existierte von April 2015 bis Anfang November 2016. Er erstreckte sich über eine Brachfläche von etwa einem Kilometer Länge und einem halben Kilometer Breite; dies entsprach etwas mehr als der Hälfte der Fläche des Altstadtkerns von Calais. Nach Süden und Osten war das Gelände durch öffentliche Straßen begrenzt. Nach Norden grenzte es an die ehemalige Jugendfreizeiteinrichtung Centre Jules Ferry, die im Januar 2015 als Tageszentrum für die informell in Calais lebenden Migrant_innen reaktiviert worden war. Diese Maßnahme war Teil einer veränderten staatlichen Strategie, die in offiziellen französisch-britischen Erklärungen dieser Phase als »Managing Migratory Flows in Calais« (Joint declaration 2015) bezeichnet wird. Das Zentrum war kofinanziert von der Europäischen Kommission und wurde von der privaten Organisation La Vie Active betrieben. Es bot Zugänge zu Nahrung, Wasser, Duschen, Waschmaschinen, medizinischer Hilfe und elektrischem Strom, jedoch keine allgemein nutzbaren Unterkünfte, sondern lediglich (und nicht von Anfang an) ein Lager für eine begrenzte Anzahl von Frauen und Kindern, dessen Kapazität nicht ausreichte und dessen Aufnahmekriterien strikt waren. Das Centre Jules Ferry fungierte dadurch als Magnet, der die in Calais lebenden Migrant_innen auf das zur Besiedlung vorgesehene Brachgebiet lenkte. Eine Welle von Räumungen und Räumungsdrohungen verstärkte den Druck, dorthin umzuziehen. Der Ursprung des New Jungle war genau diese staatliche Intervention. Etwas später wurde dem Centre Jules Ferry außerdem ein Containerlager für 1.500 Migrant_innen angegliedert, das wie eine staatliche Exklave inmitten des gewachsenen Jungle lag und bereits visuell einen radikalen Gegenentwurf darstellte. Das Lager sollte als ›Abfluss‹ der ›Migrationsströme‹ in ein Netz dezentraler Aufnahmeeinrichtungen dienen. Da diese jedoch nicht in ausreichender Zahl existierten, erzeugte auch das Containerlager einen ›Magneteffekt‹ auf Migrant_innen, die den New Jungle als Zugang zum französischen Asylsystem nutzten oder ihr britisches Migrationsziel aufgegeben hatten.

Die wichtigste Grenze des New Jungle war jedoch seine Westseite. Die Siedlung grenzte dort in ihrer gesamten Länge an die stark frequentierte Zubringerautobahn zum Fährhafen. Die vorletzte Ausfahrt vor Erreichen des Hafens führte unmittelbar an den Jungle heran. Kein anderer Jungle hatte einen so direkten Zugang zu diesem Straßenabschnitt besessen, auf dem der Lastkraftverkehr — das am häufigsten genutzte Hilfsmittel zur Grenzpassage — zu den Fähren gelangte und sich oft genug staute. Die mit britischen Geldern entlang der Autobahn errichteten Hochsicherheitszäune endeten zunächst genau in der Mitte des New Jungle und wurden erst ab Mai 2016 bis zu dessen Ende verlängert, wo im Oktober 2016 der weitere Ausbau in Form einer Mauer begann. Diese Sperranlagen waren Teil der auf französisches Gebiet vorverlagerten, dort mehrfach gestaffelten und zonal gegliederten britischen Grenze, sodass der New Jungle gewissermaßen eine Siedlung in der (verräumlichten) Grenze war. Die am New Jungle vorbeiführende Autobahn war daher Schauplatz unzähliger Migrationsversuche und ihrer Abwehr: Migrant_innen versuchten einzeln, in Kleingruppen oder in größeren Schwärmen auf die Autobahn zu gelangen, sie nutzten oder erzeugten Staus, und immer wieder kamen Menschen zu Tode. Die entlang der Zäune postierten Polizist_innen der Compagnies Républicaines de Sécurité (CRS) setzten massive Gewalt ein, um die Annäherung an die Autobahn zu unterbinden. Ihre als gassings bezeichneten Salven von CS-Gas weiteten sich vom Vorfeld der Grenzzäune zu Beschießungen der angrenzenden Wohnviertel aus und konnten sich zu täglichen (genauer: nächtlichen) Routinen mit großflächiger Wirkung steigern.

Hölzerne, durch Folien isolierte Wohnhütten im Zentrum des New Jungle. Die Nummern an den Wänden stammen aus Einwohnerzählungen, die Hilfsinitiativen mehrfach durchführten. Durch das nasse Gelände führt ein provisorischer Weg. (Foto: T. Müller, April 2016)

Diese unmittelbare Grenzlage beeinflusste die räumliche Entwicklung der Siedlung massiv und stellte eine doppelte, ambivalente Sichtbarkeit her: Der Migrationspfad nach Großbritannien war hinter dem weißen, doppelten und beleuchteten Grenzzaun vom New Jungle aus gut sichtbar und verlief erhaben oberhalb einer Böschung, während der Jungle für jeden, der die Autobahn passierte, hinter einem bewachten Zaun dalag. Frühere Jungles waren zwar ebenfalls in taktisch günstiger Lage entstanden, jedoch dem Blick der Öffentlichkeit entzogen gewesen. Gleichzeitig wirkte die Autobahn wie ein Wall, der den New Jungle und Calais optisch voneinander trennte und eine rund sieben Kilometer weite Distanz zwischen die beiden Orte legte.

Die so geschaffene politische und visuelle Geographie stand in radikalem Kontrast zur vorausgegangenen Situation, die sich als ein Heraustreten der Migrant_innen aus der Klandestinität und ihr Hineintreten in den öffentlichen Raum der Stadt fassen lässt.

Ab 2009 hatte sich aus dem Zusammentreffen migrantischer Communities mit der No borders-Bewegung, die im Kontext der Calais Migrant Solidarity kontinuierlich präsent blieb, eine hohe soziale und politische Dynamik entfaltet, die mit einer Reihe weiterer Entwicklungen und Konflikte zusammenfiel. Dazu gehörten eine langanhaltende Strukturkrise der Region und ein Rechtsruck innerhalb der Stadtgesellschaft (um 2008), die Fortifikation der Grenzverkehrsanlagen und die Implementierung hoch entwickelter Technologien der Migrationsbekämpfung (seit 2001) sowie die Etablierung polizeilicher Routinen im Grenzbereich legaler und illegaler Handlungen einschließlich einer hohen Bereitschaft zur Gewalt (seit 2003). Hinzu kamen die Verknappung der Migrationsmöglichkeiten bei gleichzeitigem Anstieg der Zahl und Aufenthaltsdauer der Migrierenden, die Entstehung lukrativer Geschäftsfelder für Schmuggler_innen mit fließenden Übergängen zur organisierten Kriminalität und zu ausbeuterischen Ökonomien, ein massiver Anstieg der verlangten Preise, wiederkehrende Verteilungskämpfe zwischen migrantischen Gruppen, steigende internationale Medienaufmerksamkeit und die Verortung der Calais-Thematik auf höchster politischer Ebene Frankreichs und Großbritanniens — aber auch eine Pluralisierung und Professionalisierung solidarischer und humanitärer Interventionen sowie eine Anpassung der mobile commons an die Situation der Grenzfalle.

Geschäftsviertel im New Jungle. (Foto: T. Müller, April 2016)

In Calais hatte es schon länger sowohl kleine Camps als auch stille Besetzungen leerstehender Gebäude gegeben, die teils selbstorganisiert erfolgten und teils von Schleusergruppen kontrolliert waren, die vor Ort als ›mafias‹ bezeichnet werden. Indem No borders nun zusätzliches Erfahrungswissen — etwa zur vorübergehenden rechtlichen Absicherung eines besetzten Gebäudes — einbrachte, wurden größere Wohn- und Sozialzentren mit erheblich besseren Lebensbedingungen möglich, die außerhalb der informellen Macht- und Gewaltverhältnisse standen und zugleich Ausgangspunkte weiterer Interventionen waren (vgl. Calais Migrant Solidarity o.J., 2015a). Stellte bereits dies eine sichtbare Aneignung urbaner Ressourcen dar, so machten demonstrative Camps an exponierten Stellen der Innenstadt und das öffentliche Einfordern des Rechts auf Mobilität in den Jahren 2013/14 (vgl. Mörsch 2016: 213f.) unübersehbar, dass eine neuartige soziale Bewegung und Realität entstanden war, die die öffentliche Wahrnehmung der Stadt überlagerte und ›Calais‹ gleichsam neu definierte: als die Stadt mit den Jungles. All dies ließ die administrativen Routinen einer Verdrängung des ›Problems‹ an die Peripherie und in die Unsichtbarkeit ins Leere laufen und bewirkte einen Rückgriff auf Taktiken der Raumzuweisung außerhalb des städtischen Raumes, wie sie in Calais bereits in den Jahren 1999 bis 2002 praktiziert worden waren.2

Das zentrale Element dieses Strategiewechsels war der New Jungle. Im Gegensatz zur Aneignung und Neudefinition des städtischen Raums war er ein Ort und ein Mittel der Exklusion und Einkapselung — und insofern ein »racial ghetto« (Calais Migrant Solidarity 2015b). Er verlagerte das auf städtischer Bühne vor internationalem Publikum sichtbar gemachte Grenzspektakel zurück in die Peripherie und an/in die Grenze.

Dieser Raumentzug durch Raumzuweisung stoppte die Dynamiken der Jungles allerdings nicht, sondern verdichtete sie in einer Art und Weise, die Urbanisierung bedeutete (vgl. Hanappe 2015, 2016a, 2016b, 2017). Auf dem Stadtgebiet von Calais entstand — in angemessener Distanz und hinter einer optischen Barriere — eine zweite Stadt. Es muss an dieser Stelle nicht dargelegt werden, dass der Lebensalltag in dieser zweiten Stadt von extremer materieller Not, von Mangelwirtschaft, physischen und psychischen Verletzungen und nicht zuletzt von massiven Gewalterfahrungen geprägt war — seien es Formen legaler und illegaler Polizeigewalt, alltäglicher und organisierter Kriminalität, kommerzieller und sexueller Ausbeutung, Verteilungskämpfe und Rassismen zwischen den Gruppen, Angriffe durch die extreme Rechte oder die der Grenze selbst inhärente Gewalt: Im französisch-britischen Grenzraum sind mehr Todesfälle von Migrant_innen — insgesamt über 200 — dokumentiert als in jeder anderen Region im Zentrum der EU.3 Es wäre also völlig richtig, den New Jungle als Schauplatz einer humanitären Krise zu begreifen (vgl. Dhesi/Isakjee/Davies 2015). Jedoch neigen wir dazu, die Perspektive zu verändern und ihn als eine mögliche Form der Krisenbewältigung zu sehen, die gerade dadurch funktionierte, dass sie den Dispositiven des Migrationsmanagements weitgehend entzogen war und von ihnen erst spät und niemals ganz okkupiert werden konnte.

Zwischen den beiden Orten Calais und New Jungle lagen mithin nicht nur sieben Kilometer und eine optische Barriere, sondern eine sehr viel tiefere Grenze. Man kann den New Jungle als extraterritorialen Raum begreifen, der gleichsam aus der Staatlichkeit ausgekapselt war und in dem sich staatliches Handeln völlig anders darstellte als in der ›normalen‹ Außenwelt, sei es durch radikale Abwesenheit, punktuelle Eingriffe oder massive Intervention. Das Verhalten insbesondere der Polizei im New Jungle glich typologisch eher dem Verhalten einer Besatzungs- oder Kolonialmacht und stellte damit eine Art informellen Ausnahmezustand her, in dem gängige Normen suspendiert waren. Diese Suspension von Normen und Normalitäten im ›Grenzraum‹ scheint der modernen europäischen Konzeption von Grenze eingeschrieben zu sein (vgl. am Beispiel der ›Grenzmarken‹: Ratzel 1892) und war historisch in sehr unterschiedlichen Situationen wirksam (z.B. Schaffung eines cordon sanitaire oder eines Glacis, Vorhalten militärischer Ressourcen, taktisch betriebene Siedlungs-, Minderheiten- oder Vertreibungspolitiken, Ideologisierung der Grenze zum Kampfraum usw.). Eine solche Grenze zwischen einem Raum der Geltung und einem Raum der Suspension staatlicher Normalität verlief also zwischen Calais und dem New Jungle. Diese waren nicht nur Städte ungleicher Kategorie — formell/regulär/permanent versus informell/prekär/ephemer, sondern lagen in gewissem Sinne nicht einmal im gleichen (im Sinne von: gleichförmigen) Staat.

Indikatoren von Urbanität

Kennzeichen einer urbanen Entwicklung waren im New Jungle leicht erkennbar und sollen nun auf dem Zeithorizont ihrer maximalen Entfaltung im Herbst 2016 umrissen werden. Die Bewohner_innen stammten zu dieser Zeit vor allem aus dem subsaharischen östlichen Afrika und aus den Krisengebieten des Mittleren und Nahen Ostens. Gemeinsam war den meisten die Beherrschung der englischen Sprache, oft verbunden mit einer anglophilen Mentalität oder biographischen, familiären oder freundschaftlichen Beziehungen nach Großbritannien. Die meisten waren männlich und unter 25 Jahren alt, der Anteil der oft unbegleiteten Kinder und Jugendlichen war hoch. Die größte und am stärksten wachsende Gruppe bildeten die Sudanes_innen (häufig aus Darfur), deren Anteil zwischen April und Oktober 2016 von 35 % auf 43 % zunahm. Aus den Nachbarländern Äthiopien (meist Oromo) und Eritrea kamen rund 10 % bzw. 4 %, aus Afghanistan und Pakistan rund 30 % bzw. knapp 10 %. Hinzu kamen Menschen aus Syrien, Kurdistan, Irak, Iran, Kuwait, Palästina, Tschad und anderen Ländern (vgl. Refugee Rights Data Project 2016a/b/c/d). Mitunter wechselten größere Gruppen in andere Jungles und Lager, etwa nach Grande-Synthe bei Dunkerque oder Paris, oder kamen aus diesen (etwa nach Räumungen) in den New Jungle.

Hamam (links) und Zahnarzt im Zentrum des New Jungle. (Foto: T. Müller, April 2016)

Die Aufenthaltsdauer im New Jungle divergierte von wenigen Wochen bis zu vielen Monaten. Zwischen 12 % und 17 % der Menschen gaben außerdem an, bereits länger als ein Jahr dort zu leben und/oder gar nicht (mehr) nach Großbritannien weiterreisen zu wollen (vgl. Refugee Rights Data Project 2016c/d). Sie waren also bis auf weiteres ansässig geworden. Neben Transitmigrant_innen auf dem Weg nach Großbritannien traten solche, die einen Weg in das französische Asylsystem suchten, während eines bereits laufenden französischen Asylverfahrens obdachlos waren, den Jungle einer zugewiesenen Unterkunft vorzogen, das Verstreichen der Dublin-III-Überstellungsfristen abwarteten, mehrere Optionen parallel verfolgten, einfach nur orientierungslos waren oder im New Jungle ein Auskommen gefunden hatten. Manche, darunter zahlreiche unbegleitete Minderjährige, erfüllten alle Voraussetzungen einer legalen Einreise nach Großbritannien, waren jedoch von den zur Realisierung erforderlichen Verfahren und Informationen abgeschnitten. Auch kriminelle Gangs hatten sich im New Jungle angesiedelt und nutzten ihn beispielsweise als Absatzmarkt für Drogen.

Aufgrund staatlicher Interventionen gliederte sich der Jungle in mehrere Zonen mit ungleichen Nutzungsmöglichkeiten. So war Anfang 2016 zunächst der Randstreifen entlang der Autobahn und kurz darauf der bis dahin am stärksten besiedelte Südteil des Jungle, die Southern Section, geräumt und planiert worden. Die staatlichen Maßnahmen schufen eine Pufferzone im Vorfeld der Grenzzäune und sollten eine Räumung der gesamten Siedlung einleiten, die jedoch wegen der Anzahl der Bewohner_innen (etwa 6.000), der begrenzten Kapazitäten des Containerlagers (1.500), dem Fehlen alternativer Unterkünfte und einem mehrwöchigen Widerstand, darunter ein Hungerstreik, zunächst scheiterte. Außerdem bewirkte eine gerichtliche Intervention, dass einige Gemeinschaftseinrichtungen der Southern Section, nämlich zwei Moscheen, eine Kirche, zwei Schulen, eine Bibliothek und Jugendeinrichtungen, nicht zerstört werden durften. Sie lagen daher inselartig in einem glacisartigen Vorfeld der Grenze, in dem die Polizei jegliche Neubesiedlung verhinderte.

Mit den Räumungen hatte sich der Schwerpunkt des Jungle in den Nordteil, die Northern Section, verlagert. Man betrat sie durch ein ursprünglich zwischen beiden Sektionen gelegenes Gewerbeviertel, wo Teestuben, Restaurants, Imbisse und kleine Läden die Straße säumten. Diese führte in den Kern der Northern Section, wo sich ein Zentrum mit weiteren gewerblichen Betrieben, Gemeinschaftseinrichtungen, Moscheen und Unterkünften herausbildete. Die eigentlichen Wohnquartiere umringten das Zentrum und füllten mit der Zeit jede nutzbare Fläche. Diese Verdichtung war das Resultat der genannten Teilräumungen und ging mit einem rapiden Bevölkerungszuwachs einher: Eine sich binnen fünf Monaten verdoppelnde Einwohnerschaft siedelte auf weniger als der Hälfte der ursprünglichen Fläche. Lebten im April 5.188 Menschen im Jungle,4 waren es im Juli 7.037 und im September 10.188, bevor die Zahl, bedingt durch Abwanderung im Vorfeld der finalen Räumung, auf 8.143 im Oktober 2016 sank (vgl. die Verweise bei Müller/Schlüper 2018: 74). Dies bedeutet einen monatlichen Zuwachs von rund tausend Personen, sodass die Bevölkerungszahl ohne den Effekt der Räumung am Jahresende 2016 wohl bei etwa 14.000 gelegen hätte. Ein Gedankenspiel verdeutlicht den Grad der Verdichtung: Hätten die Behörden sich entschlossen, die Gesamtfläche des New Jungle wieder freizugeben, und wäre diese in gleicher Dichte besiedelt worden, so hätten dort etwa halb so viele Menschen gelebt wie in der 76.000-Einwohner-Stadt Calais.

© ENSAPB - Studio Hanappe

In physischer Hinsicht mischten sich im New Jungle Bauformen unterschiedlicher Materialität, Qualität und Funktionalität. Neben Gebäuden aus Euro-Paletten, Baustellenzäunen und Decken gab es Viertel aus seriell gefertigten Holzhütten und Bereiche, in denen ausgemusterte Campingzelte dominierten. Diese repräsentierten unterschiedliche Phasen der Entwicklung, denn war die Verwendung von Europaletten und Zäunen die gängige Bauform der vorausgegangenen Jungles, so wurden die Hütten von europäischen Freiwilligen außerhalb des Jungle in großer Anzahl seriell vorgefertigt, bevor der Bedarf nicht mehr befriedigt werden konnte und immer stärker auf Zelte minderer Qualität zurückgegriffen werden musste. Ein genaueres Bild dieser Siedlung zeichnet der Architekt Cyrille Hanappe, der sie umfassend dokumentiert, erforscht und durch die Erstellung eines plan guide (Hanappe 2016c) beeinflusst hat:

»Die Bewohner des Jungle sind unabhängig von ihrer Herkunft meist städtische Zeitgenossen, die von einem guten Bildungsniveau profitiert haben und in einer Welt leben, die vernetzt und für die Kulturen der Welt offen ist. Ihre Art, Lebensräume zu konzipieren, zu konstruieren und in ihnen zu leben, ist dennoch intrinsisch durch Herkunftskulturen geprägt, die jeweils unterschiedliche Typologien definieren: Alle haben Architekturen und besondere Wohnformen erfunden, die ihrem Selbstverständnis und ihrer Art des Zusammenlebens entsprechen. Die Sudanesen haben sich um einen rechteckigen gemeinsamen Hof gruppiert, der durch klar definierte und identifizierte Funktionen strukturiert ist; die Architekturen sind ergonomisch und effektiv: Ein verschlossenes Vorratslager zum Schutz vor Schädlingen, eine offene und luftige Küche, ein Saal zum Speisen und für größere Versammlungen, gut beleuchtet und windgeschützt, während die Schlafräume dunkel und niedrig sind, um die Wärme zu halten. Die Strukturen der Eritreer sind kleiner und geschmeidiger, während die Afghanen die größten Gebäude geschaffen haben, die vor allem als Restaurants dienen. Die [nicht-migrantischen Hilfs-] Vereinigungen haben ihrerseits ökologische Holzhäuser für jeweils weniger als 400 Euro gebaut, die zu Hunderten in allen Teilen des Jungle für die zuletzt Angekommenen aufgestellt werden.« (Hanappe 2016a)5

Eines der aufschlussreichsten Gebäude war die äthiopisch-orthodoxe St. Michael’s Church of the Jungle,6 die nach der Teilräumung inselartig in der Southern Section lag. Sie war das wohl am häufigsten abgebildete und beschriebene Bauwerk aller Calaiser Jungles, vielleicht, weil sie ein Schnittpunkt zwischen dem sich als christlich begreifenden Europa und der christlichen Gemeinschaft des New Jungle war und auf viele europäische Besucher_innen eine hohe emotionale oder spirituelle Wirkung ausübte. Die Anlage glich mit ihrer bewachten Pforte und ihrem mit Nebengebäuden, überdachten Bänken und Pflanzungen versehenen Innenhof einem Kloster, ohne ein solches zu sein. Vielmehr entsprach die Anlage den Erfordernissen der äthiopisch-orthodoxen Liturgie, während der Kirchenbau selbst wohl aufgrund der begrenzten Ressourcen von traditionellen Bauformen (wie Oktogon, Kreis, Arche) abwich und eher einer kleinen mitteleuropäischen Kirche ähnelte. Mit ihrem Innenhof bildete die Kirche zudem einen Raum, der nach traditionellen Vorstellungen dem besonderen Schutz der Engel und Heiligen unterstand. Auch das Patrozinium des Erzengels Michael symbolisierte die Hoffnung auf Schutz und ließ sich auf die biblische Erzählung des Exodus beziehen. Wir können daher nur erahnen, welche Bedeutung dies für eine Gemeinde hatte, deren Mitglieder on the move waren. Der Kirchenbau selbst war bereits der dritte in Folge, von denen der erste in einer früheren Siedlung gestanden hatte und der zweite einem Feuer zum Opfer gefallen war. Mit jedem Wiederaufbau war das Gebäude vergrößert und danach weiter ausgeschmückt worden, wobei äthiopische und mitteleuropäische Ikonographien sich vermischten. In gewisser Weise dementierte die Kirche damit die Folge der Raumentzüge, der die Jungles unterworfen waren, und manifestierte stattdessen eine Kontinuität der Gemeinde, deren Mittelpunkt und Monument sie war. Sie war daher ein gutes Beispiel für die Herausbildung einer tendenziell permanenten (ihrem Selbstverständnis gemäß: ewigen) Institution im Kontext ephemerer Urbanisierung.

Der Jungle Shop, eine von zahlreichen Kleinhandlungen im New Jungle. (Foto: T. Müller, Oktober 2016)

In diesen Beispielen zeigt sich die hohe Bedeutung der jeweiligen Herkunft für die Ausdifferenzierung der Stadt. Insbesondere die Wohnviertel waren in der Regel, aber nicht zwingend homogen und oftmals durch Anlehnung an das Gelände (z.B. Bewuchs) oder durch die Erschließung über sich verzweigende Sackgassen in Distanz zueinander angelegt (ein z.B. in frühneuzeitlichen osmanischen Städten gängiges Prinzip zur Schaffung von Konvivalität; vgl. Riedler 2018). Dennoch bestand (wie auch in diesen) keine durchgängige ethnische Segregation, denn ebenso existierten gemischte Viertel, indifferente Zonen sowie gemeinschaftlich genutzte Räume und Institutionen. Hinzu kamen andere Formen der Differenzierung, etwa ein speziell für Familien und Kinder reserviertes Viertel, das durch seine Lage in einer Lichtung und einen besonderen Zugang vom übrigen Jungle getrennt war. Auch bildeten sich soziale, politische und kulturelle Initiativen heraus, die sich nicht über Ethnizität und Herkunft definierten, sondern, wie etwa Refugee’s voice, auf eine Überwindung der Binnengrenzen zielten (vgl. Calais writers 2016: 166, 236f.).

Das Kids Café im Gewerbeviertel des New Jungle war ein informelles Jugendzentrum mit kostenlosem Zugang zu WLAN, Getränken, Nahrung, Informationen und Spielen. (Foto: Oktober 2016)

Allerdings agierten im New Jungle auch kriminelle Gruppen bzw. mafias homogener Herkunft, die sich für die eigene Gruppe oder zur Akkumulation von Kapital die Kontrolle über bestimmte Wohnquartiere, Essenausgaben und Migrationsgelegenheiten (z.B. Zugänge zur Lkw-Parkplätzen) aneigneten, jedoch miteinander konkurrierten. Ihre Claims zogen unsichtbare Grenzen durch die Siedlung, zonierten ihr Umfeld und waren der Hintergrund wiederkehrender Eskalationen, die vordergründig als ›ethnische Konflikte‹ erscheinen konnten, tatsächlich jedoch Hegemonie- und Verteilungskonflikte waren. Während der größten dieser Auseinandersetzungen wurde am 26. Mai 2016 ein gesamtes sudanesisches Viertel von afghanischen Gruppen niedergebrannt. Da solche Konflikte entlang ethnischer Linien eskalierten, war eine Konvivalität begünstigende Siedlungsstruktur, die auf räumliche Distanz aufbaute, elementar für die Reduktion von Risiken und Gewalt (Hanappe 2016c). Diese Distanz aber war mit der Verdichtung infolge des staatlichen Raumentzugs immer weniger gegeben, was die Risiken potenzierte.

Einen interessanten Blick auf die Urbanität des New Jungle eröffnet die Aktivistin, Anarchistin und Migrationsforscherin Natasha King, indem sie die Binnenperspektive ihres Aufenthalts in verschiedenen Calaiser Jungles und ihr Erfahrungswissen aus dem Kontext der Calais Migrant Solidarity einbezieht. Ihr Interesse richtet sich weniger, wie bei Hanappe, auf die architektonischen und städtebaulichen Aspekte, sondern auf die Herausbildung einer spezifischen Kultur und einer u.a. an sprachlichen Neuschöpfungen ablesbaren Hybridität. Sie verweist damit auf die Transformation der in der Grenzfalle nicht nur wirksam gebliebenen, sondern miteinander interagierenden mobile commons in ein hybrides Gemeinwesen:

»They [the inhabitants] raised the Jungle from being a place of mere survival, to one where people grew, shared things, and created others. It was, in other words, its own culture, and one that brought together many different influences: a hybrid of customs, fashions, cuisines and languages; of different kinds of music and dance; different customs for sharing a meal, for celebrating, or drinking coffee or alcohol. Language was a good example. A lexicon emerged that became commonly shared. For instance, kubba: meaning stuff, or bric-a-brac, a word that apparently traced a heritage from the Sudanese Arabic word for rubbish, came to be used to refer to all the aid, especially clothing, that was brought to the Jungle; zarouk: also from Sudanese Arabic, meaning rocket, denoted a newcomer to the Jungle; its opposite, makana, meaning machine, denoted someone who had been trying to cross for a long time.« (King 2017)

Die Entstehung solcher Muster ist unseres Erachtens ein starker Indikator für den Übergang zur Stadt. Kings Forschungen zeigen jedoch, dass dieser Übergang nicht voraussetzungslos erfolgt ist, sondern an kulturelle und soziale Techniken der vorausgegangenen Jungles anknüpfte. Waren diese in den Jahren ab 20037 aus extrem prekären Verstecken entstanden, so hatten sich seit Mitte der 2000er Jahre große Jungles mit einigen hundert, manchmal mehr als tausend Menschen und einer zunehmend multiethnischen Struktur herausgebildet, deren Bewohner_innen sich zu communities of care zusammenfanden. Auch die Entstehung erster gewerblicher Betriebe sowie religiöser und kultureller Stätten fällt in diese Phase (vgl. King 2016: 107f.; Mörsch 2016). Im New Jungle nahm all dies eine Vielschichtigkeit und Qualität an, die sich, so King, gängigen Begrifflichkeiten und Denkmustern entzog. Sie selbst deutete dies als eine Form von Subversion.

»Many came to celebrate the Jungle for the ›cultural melting pot‹ that it was. But what made it subversive was that this was a culture of outsiders. It signalled the resilience of the people living there, and that was a provocation to the French and British authorities. It was a culture that embodied lawlessness. That it was populated by people who were continually undermining the border regime, or that at least six mosques existed in a district of perhaps 6 [wohl: 0,6; d. Verf.] square kilometres on French territory, seems unthinkable in any other part of Europe. Jungle culture was also subversive in the way that it never amounted to any single overriding system. Instead, numerous different ways of being existed alongside each other — not in some kind of harmony, nor with any one way dominating. It was never the regulated, organised and secure space of a refugee camp, but a cacophony of ideas, cultures and ways of being; alive with possibility, creativity and chaos. This place was not France. Neither was it Sudan, nor Afghanistan. It was some strange hybrid: everybody’s and nobody’s.« (King 2017)

Insofern unterschied sich der New Jungle nicht nur dadurch, wie er urban geworden war und wie sich die Urbanität manifestierte, von einer Stadt im traditionellen eurozentrischen Sinne, sondern stellte sich ihr als ein sozialer Organismus gegenüber, dessen Alterität kaum anders denn als Provokation wahrgenommen wurde.

Zu diesem sozialen Organismus, dessen Benennung als »city« sich auch in Texten seiner Bewohner_innen findet (Calais writers 2016: 258f.), gehörte allerdings sehr wohl auch ein Umfeld von Calaisiens sowie von europäischen Staatsbürger_innen aus anderen Teilen Frankreichs, Großbritannien, Belgien und anderen Ländern. Sie entstammten unterschiedlichen sozialen, politischen, generationellen und kulturellen Kontexten und kompensierten die teils verweigerten, teils zu gering bemessenen und teils an das Verlassen des Grenzraumes gekoppelten Fürsorgeleistungen der französischen Behörden. Nur ein Teil dieses Spektrums bestand aus etablierten Verbänden und professionellen NGOs, von denen zwei (La Vie Active und ACTED)8 im staatlichen Auftrag handelten. Die Schlüsselrolle hingegen übernahmen unabhängige kleinere Organisationen, die im lokalen Kontext entstanden waren, über logistische Möglichkeiten verfügten, auf Spenden und Freiwillige zurückgreifen konnten und vor allem eine gute Kenntnis der Situation besaßen. Außerdem arbeiteten beispielsweise unabhängige Rechtsberatungen; das Polizeiverhalten wurde dokumentiert; es gab inoffizielle Schulen, Jugendzentren, Kultureinrichtungen, eine Radiostation, WLAN-Hotspots und sportliches Equipment. Hinzu kamen Interventionen auf gerichtlicher und politischer Ebene sowie eine Vielzahl architektonischer, künstlerischer und publizistischer Projekte (vgl. exemplarisch Lequette/Le Vergos 2016). Listen der im New Jungle tätigen zivilgesellschaftlichen Akteure aus dem Jahr 2016 nennen etwa 100 Gruppen ohne die zahllosen Zusammenschlüsse via Social Media. Zwischen dem New Jungle und ›Europa‹ bildete sich also ein transnationales Feld aus, das ihn auf sehr vielen Ebenen in die Zivilgesellschaft einband und ihn mit den jeweiligen sozialen Netzen, medialen Kanälen, politischen Praxen und kulturellen Ressourcen verband.

Vordergründig ein exkludierter Ort, war der New Jungle in Wirklichkeit auf diese hybride Weise ›europäisch‹. Ohne dieses zivilgesellschaftliche Umfeld und ohne die dadurch mobilisierten Ressourcen (gleich ob Solidarität, Expertise, Baumaterial, Hilfsgüter, Gelder oder volunteers) wäre der Urbanisierungsprozess nicht so verlaufen, wie wir ihn vorgefunden haben.

Wir können dieser Spur weiter folgen und auch die eingangs behauptete Distanz zwischen den beiden Orten Calais und New Jungle noch einmal hinterfragen. Denn auch jenseits von Solidarität waren sie auf vielfältige Weise miteinander verbunden. Nach einer Modellrechnung Hanappes lässt sich der New Jungle als ein informell wirkendes Konjunkturprogramm für die ökonomisch schwache Region deuten. Die Summe der Gelder, die durch den Konsum der Bewohner_innen, der volunteers und der zusätzlichen Polizeikräfte, die Beschaffung der Bau- und Hilfsgüter, den Ausbau der Grenzanlagen usw. zusätzlich in die Region flossen und ihrer Wirtschaft zu Gute kamen, dürfte auf dem Höhepunkt der Entwicklung kaum unter 100 Millionen Euro im Jahr gelegen haben (vgl. Hanappe 2016b). Indem die Stadt Calais gleichzeitig auf Mehrkosten und Einbußen verwies, gelang es ihr, in großem Umfang staatliche Unterstützung zu akquirieren, darunter die geplante Ansiedlung des Freizeitparks Heroic Land mit einem Investitionsvolumen von 275 Millionen Euro (vgl. Thiéry 2016). Seit der Zeit des New Jungle sind Wirtschaftshilfen für die Region außerdem Teil der britisch-französischen Regierungsvereinbarungen zum Grenz- und Migrationsregime (zuletzt im Vertrag von Sandhurst v. 18.01.2018). Maßnahmen zur Stadterneuerung haben sichtbar begonnen und verändern das von Verfall und Leerstand geprägte Stadtbild. Das ›Management der Migrationströme in Calais‹ schafft zudem ein Laboratorium für die Entwicklung und Erprobung immer neuer Verfahren und Geschäftsmodelle im Bereich der Sicherheitstechnologien. Calais fungiert als innereuropäischer Modellraum für die Externalisierung der Migrationsabwehr an den Außengrenzen der EU (vgl. Clochard 2007: 303; Bee 2017), deren ›Notwendigkeit‹ es im politischen Diskurs zugleich legitimiert. Der Jungle war damit zwar ein Ort in Distanz zu Calais, zugleich aber Zentrum, Motor und Legitimation eines lokalen Strukturwandels und einer transnationalen Grenzindustrie. Er war auch auf diese Weise ›europäisch‹.

Der New Jungle war also eine dynamisch wachsende Siedlung von hoher Dichte und Komplexität. Sie hatte eine Differenzierung in räumlicher, ethnischer, religiöser, sozialer und funktionaler Hinsicht erfahren, ein Zentrum ausgebildet, Formen von Konvivalität entwickelt und die Rolle eines Zentralorts gegenüber einer Vielzahl kleinerer Camps in Nordfrankreich und Belgien eingenommen. Als Vereinigungspunkt internationaler Migrationsrouten war der New Jungle ein sozialer Organismus mit eigenen kulturellen und ökonomischen Mustern, die sich untereinander und mit der europäischen Zivilgesellschaft zu einem Hybrid verbanden. Dabei stand er in einer mehrschichtigen Beziehung zur Außenwelt, die an seiner Entwicklung partizipierte und von seiner Existenz profitierte. All dies unterstreicht ein Verständnis des Jungle als Stadt.

Ephemere Urbanisierung und prekäre Stadt

Wir bedürfen, schreibt die Architektin und Migrationsforscherin Anna Weber über migrantisches Bauen, »eines Verstehenskonzepts, welches die unterschiedlichen Voraussetzungen der Produktion von Raum stärker in den Blick nimmt, ohne diese implizit in Bezug auf Klugheit, Rechtschaffenheit oder kulturelle Überlegenheit zu bewerten« (Weber 2018: 2). Sie bringt stattdessen in Anlehnung an die Handlungssoziologie Michel de Certeaus den Begriff des »Taktischen« ins Spiel (ebd.). Der New Jungle wäre dann vor allem als Produkt eines durch die Begrenzung von Raum und Ressourcen zwar limitierten, innerhalb dessen aber hoch effizienten und rationalen Handelns zu verstehen. Eine solche Taktik sei, so zitiert sie de Certeau,

»immer darauf aus, ihren Vorteil ›im Fluge zu erfassen‹. Was sie gewinnt, bewahrt sie nicht. Sie muss andauernd mit den Ereignissen spielen, um ›günstige Gelegenheiten‹ daraus zu achten. Der Schwache muss unaufhörlich aus den Kräften Nutzen ziehen, die ihm fremd sind.« (Zit. n. ebd.: 3)

Taktisches Handeln in diesem Sinne entfaltet sich in einem ephemeren, nicht in einem permanenten Kontext.

Die Urbanisten Rahul Mehrotra und Felipe Vera widmen ihre Untersuchung »Ephemeral Urbanism« (2017) im Kern der Frage, ob Permanenz tatsächlich konstitutiv für Urbanität sei. Dabei kontrastieren traditionelle Vorstellungen von Stadt mit flexibleren Konzepten, die je nach Sichtweise als fluide, kinetisch oder ephemer gefasst werden können, jedoch in einem Verständnis von Urbanisierung als Prozess in ständigem Fluss konvergieren. Auch der New Jungle lässt sich als eine Siedlung im Zustand des »constant flux« (Mehrotra/Vera 2017: 11) beschreiben, der durch die ständige Anpassung an die Gegebenheiten der Grenzfalle und die Erfordernisse der (für die meisten) noch nicht vollendeten Migration getrieben war. In solchen Situationen seien Städte

»temporary in nature, dependent upon ephemeral conditions, and often built with recycled materials: plastic sheets, scrap metal, canvas, and wast wood. These materials also enable modification and reinvention. The kinetic city is a place where designing functional arrangements is more important than the construction of the architectonic body […]. It is a city that is premised on detachment. In this context, sustainability relies more on the city’s capacity to deconstruct, disassemble, reconfigure, and reverse previous iterations.« (Ebd.)

Damit verschiebt sich die Perspektive auf ein Verständnis der Stadt als »more fluid, and more open to change than the technology and social institutions from which they are generated« (ebd.: 13). Diese Beschleunigung des Urbanisierungsprozesses gegenüber seiner administrativen Kontrolle und Steuerung zeigt sich auch zwischen behördlichen Prozeduren im Umgang mit Migration und der Migration selbst. Auch der durch staatliches Handeln extraterritorialisierte, in seiner Extraterritorialität jedoch hoch dynamische und multipel vernetzte New Jungle war insofern den Behörden voraus.

Fassen Mehrotra und Vera nicht nur Flüchtlingscamps, sondern vielfältige ephemere Strukturen von Selbsthilfe in Katastrophenfällen über Militärlager bis hin zu großen Festivals und religiösen Zeremonien unter ihren erweiterten Begriff von Stadt, so konzentriert sich u.a. Manuel Herz auf die Urbanisierung von Flüchtlingscamps. Hierzu untersuchte er ein Netz von Camps der aus der Westsahara nach Algerien geflohenen Sahrawi, das ohne Zutun des UNHCR und anderer internationaler Akteure entstanden war und eigene administrative, politische, kulturelle und soziale Infrastrukturen ausgebildet hatte.

»The camps are not only the site where this empowerment is practiced, but they are the very tool with which it is achieved. The camps allow […] to set in motion a social transformation process that has emancipated the Sahrawi society, brought education and media, as well as inscribing them in an international network of exchange and knowledge transfer. […] In short, the camps are understood as a political and social project. In this sense, they are not the antithesis of the urban condition, but could be described as being hyper-urban: not in the sense that the camps are excessively urban, but that, at lease in certain aspects, they are consciously employed as an instrument to achieve emancipation, self-control, social exchange, and mobility, eventually to be realized permanently in the homeland.« (Herz 2013: 491)

Praxen der Selbstermächtigung und Urbanisierung werden hier als ineinandergreifend und einander bedingend gedacht. Obschon sich die Camps der Sahrawi und der New Jungle in vielem unterschieden, scheinen hier Gemeinsamkeiten auf, die an Natasha Kings oben zitierte Beobachtungen denken lassen:

»if we look at the camp through the lenses of its inhabitants, how they make use of the environment, how daily lives are acted out in them, how they become a medium to play out their desires and aspirations, and how local culture develops within these spaces, we can certainly perceive the existence of urban qualities. We can observe how difference emerges, how the development of neighborhoods diverges over time, and we can see how certain fashions and urban cultures manifest themselves in the environment and influence it. Moreover, we can observe how camps become a space where political aspirations are not only allowed to take place, but how the physical fabric of the camps becomes the very medium with which these political expressions are expressed. In that sense, and with a reference to the urban geographer David Harvey9, the camps can be seen as expressing an essence of urbanity.« (Ebd.: 18)

Zielt dies auf ein abstraktes Verständnis informeller und migrantischer Städte, so lässt sich der New Jungle ebenso in einem spezifisch französischen Kontext verorten, nämlich im Verhältnis Frankreichs zu den einleitend erwähnten Bidonvilles (vgl. Cohen/Blanc-Chaléard 2018).

Der Begriff leitet sich von der Verwendung von Eisenkanistern (frz. bidons) als Baumaterial ab, bezeichnete in den 1930er Jahren zunächst die durch Landflucht entstandenen Siedlungen um Tunis, Casablanca und Algier, später dann informelle Quartiere am Rand kontinentalfranzösischer Großstädte (deren Vorläufer wiederum ins 19. Jahrhundert zurückreichten und die ähnlich in den meisten europäischen Ländern existierten). Die meist auf Brachland errichteten Siedlungen resultierten aus Kriegszerstörungen, Wohnungsknappheit sowie dem Zuzug von Migrant_innen vor allem aus Portugal und Algerien. Im Jahr 1966 lebten in Kontinentalfrankreich etwa 75.000 Menschen in mehr als 250 Bidonvilles, von denen zwei Drittel im Umland von Paris lagen und von denen die meisten einige hundert bis wenige tausend und nur einzelne mehr als 10.000 Bewohner_innen umfassten. Seit den späten 1950er Jahren, verstärkt seit dem Algerienkrieg und vor allem zu Beginn der 1970er Jahre zielten die französischen Behörden auf die Auflösung der Bidonvilles, die oftmals brutal durchgeführt wurde, jedoch mit der Schaffung humaner Lebensbedingungen legitimiert wurde und meist in der Bereitstellung von Wohnraum (etwa in den neu errichteten Banlieus) mündete (ebd.: 25ff.). Diese Handlungsweise ähnelte dem global gängigen Umgang mit Slums und sollte in modifizierter Form später auch auf den New Jungle angewandt werden.

Nach der Räumung der letzten Siedlung im Jahr 1976 setzte um die Jahrtausendwende eine neue Phase der Bidonvilles ein, zu der neben den entstehenden Calaiser Jungles vor allem die Camps osteuropäischer Roma gehörten. Diese neuen Siedlungen waren »weitaus prekärer als damals« (ebd.: 25), auch weil beide Gruppen einem stärkeren Rassismus ausgesetzt waren und zur Zielscheibe der konservativen Regierung von Nicolas Sarkozy wurden. Im Jahr 2017 lag die Zahl der neuen Bidonvilles bei 571 (einschließlich besetzter Gebäude) und die Zahl der Bewohner_innen bei etwa 16.000 (vgl. ebd.: 27). Der zu diesem Zeitpunkt bereits geräumte New Jungle war also sowohl in historischer als auch in aktueller Dimension eine der größten Siedlungen dieser Art in Frankreich.

Der Soziologe und Urbanist Julien Damon stellt den New Jungle in den doppelten Kontext der historischen französischen Bidonvilles und heutiger Siedlungen in Afrika, Asien und Lateinamerika (zum Beispiel Kibera in Nairobi und Dharavi in Mumbai), die er ebenfalls als Bidonvilles begreift und als prekäre Städte deutet. Auch wenn das Leben in ihnen unwürdig sei, so verfügten sie über attraktive Ressourcen und Netzwerke, die Neuankömmlinge motivierten, sich in ihnen anzusiedeln. Für den Jungle war dies, so Damon, nicht allein die Aussicht auf ein Leben in Großbritannien, sondern die Verfügbarkeit der urbanen Ressourcen der Bidonvilles: Unterkunft, die Möglichkeit des — wenn auch prekären oder illegalen — Gelderwerbs, der Zugang zu Information, Verpflegungs- und Sanitäreinrichtungen und nicht zuletzt zu sozialen und kulturellen Netzwerken. Wie auch in den anderen Bidonvilles stelle Hoffnung die zentrale und konstituierende Ressource dar (vgl. Damon 2017: 82).

Damon begreift die Bidonvilles nicht als Ursache des prekären Lebens, sondern als dessen Sichtbarwerden — sie produzieren es nicht, sie ziehen es an. Dem sichtbar gewordenen prekären Leben in den Bidonvilles Asiens, Afrikas und Lateinamerikas steht ein im noch höheren Maße prekäres, aber unsichtbares ländliches Leben gegenüber — dem prekären Leben im Jungle hingegen das vereinzelte Leben on the move ohne Zugang zu Informationen und Netzwerken und damit der Hoffnung, das Migrationsziel zu realisieren (vgl. ebd. 100f.). Einem Teil ihrer Bewohner_innen gelinge es im Laufe der Zeit außerdem, in weniger prekäre Quartiere überzusiedeln. Dies konnte im Falle des Jungles der gelungene Grenzübertritt nach Großbritannien, der Übergang in das französische Asylsystem oder das Leben als Sans papier in einer französischen Stadt sein. Die Hoffnung auf ein besseres Leben mochte sich auf einen anderen Ort richten, hat aber die soziale und kulturelle Kreativität des Jungle ebenso forciert wie kollektives und unternehmerisches Handeln (vgl. BABELS 2017: 90f.). Die Bidonville entfaltet ihre Innovationskraft also als Ort der potentiellen Passage — der Passage nach Großbritannien (Jungles), in die reguläre Stadt (Bidonville in Afrika oder Asien) und allgemein von Armut zu Wohlstand.

Daher lässt sich fragen, inwieweit diese urbane Innovationsfähigkeit Rückschlüsse auf die Entwicklung zukünftigen urbanen Lebens zulässt. Neben ihrer Prekarität sind Bidonvilles nach vielen Kriterien formal nachhaltige und innovative Städte: Sie verfügen über hohe Besiedlungsdichte, hohen Recyclinggrad, hohen Mischnutzungsgrad, hohen Fuß- und Radverkehrsanteil und einen geringen CO2-Fußabdruck. Sie sind modular, und die städtische Bebauung wird unmittelbar einem sich verändernden Bedarf angepasst. Sie verfügen über eine junge Bevölkerung, die eine hohe ökonomische Dynamik und permanente Innovation entfaltet. Angesichts einer Polizei, die abwesend ist oder wie eine Kolonial-/Besatzungsmacht agiert, entwickeln die Bewohner_innen Modelle des Selbstschutzes und der Selbstverwaltung (vgl. Damon 2017: 96ff.).

Selbstverständlich sind viele dieser Eigenschaften direkt mit der Prekarität verbunden und werden mit deren wünschenswertem Ende verschwinden, aber dies gilt nicht pauschal: Die Bidonville als digitale Stadt besitzt etwa eine über die reguläre Stadt hinausweisende Innovationskraft. Mit dem Aufkommen des Smartphones war der Internetzugang für die Bidonvilles ungleich einfacher herzustellen als beispielsweise der Zugang zu fließendem Wasser, gleichzeitig hat er das Leben dort ungleich stärker verbessert als das Leben in der regulären Stadt. Der Zugang zu Information, die Organisation der Erwerbsarbeit, die Nachfrage nach Waren und Dienstleistung, die Aufrechterhaltung familiärer und sozialer Kontakte finden beinahe ausschließlich über das Smartphone statt. Die Möglichkeit unbaren Zahlungsverkehrs per Smartphone, ohne im Besitz einer Kreditkarte oder eines Kontos zu sein, ist beispielsweise eine Innovation, die zunächst in den Bidonvilles erprobt wurde, bevor sie in der regulären Stadt Verbreitung fand.

Ob man die Bidonvilles nun als »Reservoire urbaner Probleme und Lösungen« (Damon 2017: 114) oder den New Jungle als »Laboratorium der Stadt des 21. Jahrhunderts« (Hanappe 2016a) begreift: der öffentliche Diskurs in Frankreich verweist sehr viel deutlicher auf das urbane Potential des Jungle, als es in Deutschland bislang der Fall ist. So intervenierte etwa die interdisziplinäre Gruppe PEROU (Pôle d’Exploration des Ressources Urbaines) mit der Herausgabe einer gefälschten Stadtzeitung von Calais, symbolischen Ausschreibungen, Auftritten auf internationalen Fachforen (wie der Architektur-Biennale in Venedig) und der Erstellung eines »Atlas einer potentiellen Stadt«, um für eine »Neuerfindung von Calais« (Réinventer Calais) zu werben (PEROU 2017). Im Mittelpunkt ihres Projekts stand der Gedanke einer Re-Fusion der beiden Orte Calais und Jungle unter dem Leitbild des Rechts auf Stadt (Thiéry 2016). Unter dem Begriff Hopetowns diskutierten währenddessen Bewohner_innen des New Jungle die Übertragung der in Calais praktizierten Formen kooperativen und kollektiven Handelns auf britische Städte (vgl. Refugee’s Voice in: Calais writers 2016: 236f.). Zwar ist dies nur ein einzelner Diskursstrang aus dem Inneren des New Jungle, doch zeigt er in unserem Kontext, wie sehr die Kategorie Stadt das Denken dort geprägt hat.

Schlussbemerkung: Points de fixation

Wenn der New Jungle eine informelle Stadt war, so war seine Zerstörung ein »Urbizid« (Hanappe 2016a). Der Terminus zielte auf ein Verständnis der Räumung als bewusste Zerstörung eines sozialen Organismus und ordnete sie einer Geschichte ordnungs- und sozialpolitischer Strategien gegen Bidonvilles, Slums und andere prekäre Städte ein, die auf globaler Ebene längst von der Dynamik informeller und ephemerer Urbanisierung überholt worden sind. In der Tat ähnelt die Räumung des New Jungle im Oktober und November 2016 diesem überkommenen Muster. Die Zerstörung der Stadt war auch in diesem Fall an Transfers in staatlich bereitgestellte Unterkünfte gekoppelt. Sie hießen Centres d’Accueil et d’Orientation (CAO), waren über das ganze Land verteilt (mit Ausnahme der Calaiser Grenzregion und der Hauptstadt) und boten lediglich einen befristeten Aufenthalt. Der weitere Weg konnte zu einem legalen Aufenthaltstitel, einer sicheren Passage nach Großbritannien (limitiert auf bestimmte Herkunfts- und Altersgruppen unbegleiteter Kinder und Jugendlicher), aber auch zur Inhaftierung, Abschiebung oder zurück in die Klandestinität führen (vgl. Müller/Schlüper 2018: 109–117).

Überschreibung. Das ehemalige Gewerbeviertel des New Jungle nach Räumung, Sperrung und Neuformung der Topographie. (Foto: T. Müller, März 2018)

Dabei spiegelt die Art, wie der Jungle als physischer Ort zerstört wurde, dessen emblematischen Charakter. Denn der Siedlungsplatz wurde in einer Radikalität von möglichst vielen sichtbaren Relikten gereinigt, als habe mit der Siedlung auch die Möglichkeit ihrer Wiederkehr getilgt werden sollen. Danach wurde das Gelände im Januar 2017 zur Sperrzone erklärt und später teilweise renaturiert, sodass die ehemalige Northern Section heute mit einer scheinbar natürlichen Dünenlandschaft überschrieben ist. Während diese neue visuelle Geographie geformt wurde, stieg die Zahl der neu oder wieder in Calais lebenden Migrant_innen erneut an und liegt seit 2017 zwischen 500 und 1.000 Personen. Diese sind Teil einer Menge von vielleicht etwa 3.000 Migrant_innen on the move, die außer in Calais vor allem in Grande-Synthe bei Dunkerque, Brüssel und Paris auf ihre Gelegenheit warten. In Calais selbst sind die Bedingungen so prekär wie zuletzt vor mehr als einem Jahrzehnt. An die Stelle der migrantischen Stadt sind Schlafplätze unter freiem Himmel getreten, die sich über weite Teile der städtischen Peripherie in Reichweite der Verkehrsinfrastrukturen erstrecken und sich der vorhandenen Topographie (z.B. Gebüsche, Hecken, Randstreifen von Industriegeländen, Halden, Brachland, verlassene Gebäude) anpassen. Gelegentlich entstehen kleine und kurzlebige Camps, die als Jungles bezeichnet werden, jedoch keine Urbanität mehr aufweisen.

In alte Muster der Verdrängung und Unsichtbarmachung zurückgefallen, haben die Polizeibehörden die Räumung und Zerstörung des New Jungle in eine tägliche Routine überführt, die vor allem darin besteht, die Schlafplätze der Migrant_innen im Abstand weniger Tage zu räumen, die Menschen durch exzessiven Einsatz physischer und psychischer Gewalt zu zermürben, den Zugang zu lebenswichtigen Ressourcen zu verstellen und die zivilgesellschaftliche Hilfe zeitlich und räumlich zu limitieren (vgl. ebd., 117–134; Human Rights Watch 2017). Diese Strategie des Raumentzugs richtet ihren Fokus auf points de fixation, also auf genau solche Orte, die zu Kritstallisationspunkten eines neuen Jungle würden, sollte der Repressionsdruck nachlassen (vgl. Tazzioli 2016). Dies erfordert einen anhaltend hohen Einsatz personeller und finanzieller Ressourcen sowie die Bereitschaft zu exzessiver Gewaltanwendung, also die Perpetuierung eines Ausnahmezustandes.

Diese heutige Situation lässt sich also als Entzug von Urbanität deuten: während die urbanen Ressourcen des New Jungle zerstört und symbolisch getilgt sind, ist der Zugang zu den urbanen Ressourcen der verbliebenen Stadt Calais verstellt. Dieser Zustand erzeugt keine spektakulären Bilder wie in den Jahren 2008 bis 2016 und beseitigt damit auch die mediale, diskursive und sympolpolitische Präsenz, die das in diesen Jahren vollzogene Heraustreten aus der Klandestinität auch bedeutet hat. Gleichwohl ist dies noch nicht das Ende des Jungle. Er wirkt im Hintergrund als eine Stadt nach, die jederzeit wieder entstehen würde, sollte ihre präventive Räumung aussetzen, und die insofern latent vorhanden bleibt. Die dreimalige Überschreibung ihres historischen Standorts erscheint wie ein magisches Ritual zur Bannung ihrer Wiederkehr.

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  • Issue: 2
  • Year: 2018


Thomas Müller ist Politikwissenschaftler und Historiker. 2008 promovierte er an der RWTH Aachen über völkisch-nationalistische Konzepte der deutschen Westgrenze. Neben antirassistischer Arbeit in regionalen Kontexten forschte und veröffentlichte er u.a. über Grenrzegime, Raumkonzepte der europäischen Integration und NS-Westforschung. Aus Recherchen in Calais resultierte der Band Dynamiken der Jungles. Calais und das europäisch-britische Grenzregime. Er arbeitet im Stadtarchiv Aachen.

Sascha Zinflou ist in Benin und in Deutschland aufgewachsen und seit mehr als 20 Jahren Aktivist in migrantischen und antifaschistischen Initiativen. Er hat unter anderem zur Geschichte von Bewegungen Schwarzer Menschen in Deutschland, Schwarzen Menschen im Nationalsozialismus und Rassismustheorie veröffentlicht. Sascha Zinflou ist Diplom-Mathematiker und arbeitet als Unternehmensberater.