Die Covid-19-Pandemie hat das Scheitern und den Rassismus der EU-europäischen und nationalstaatlichen Migrations- und Asylpolitiken auf unterschiedliche Weisen deutlich gemacht. Trauriges Sinnbild für die verschärfte Segregation von Geflüchteten ist das Hotspot Camp Moria auf der griechischen Insel Lesbos, das in den vergangenen Jahren wiederholt in den Fokus der internationalen medialen und politischen Aufmerksamkeit rückte. Bereits im März 2020 reagierte das Netzwerk kritische Migrations- und Grenzregimeforschung (kritnet) gemeinsam mit anderen Initiativen hierauf mit dem Aufruf »Aufnehmen statt Sterben lassen!«1. Im September 2020 brach ein Brand im Camp aus, in dem anstatt der vorgesehenen 2.800 Menschen rund 20.000 Geflüchtete, unter meist menschenunwürdigen Bedingungen und ohne Chance auf ein faires Asylverfahren oder Zugang dazu, ausharrten. Nicht einmal die nötige medizinische Betreuung und hygienische Mindeststandards konnten die Verantwortlichen garantieren. Das anschließend eilig errichtete neue Camp auf dem ehemaligen Militärgelände Kara Tepe hat die Situation der dorthin gebrachten Geflüchteten noch weiter verschlechtert (vgl. Neumann 2020).
Für andere migrierende und flüchtende Menschen haben die pandemiebedingten Reisebeschränkungen und Grenzschließungen transnationale Lebensentwürfe durchkreuzt – so wurden Familienzusammenführungen ausgesetzt, ungezählte Menschen steckten und stecken auf den Migrationsrouten fest und kamen bzw. kommen nicht weiter. die Regierungen schlossen die innereuropäischen Grenzen immer wieder ganz oder teilweise. Sie schränkten die Bewegungsfreiheit noch stärker ein.
In Deutschland und anderen Ländern wurden zudem Erstaufnahmeeinrichtungen und andere Sammelunterkünfte von Geflüchteten und Asylbewerber*innen abgeschottet und sogar mancherorts von Sicherheitskräften umstellt, insbesondere wenn Covid-19-Erkrankungen innerhalb der Camps und Unterkünfte auftraten. Die Bewohner*innen sahen sich ansonsten weitgehend sich selbst überlassen (vgl. Burschel 2020).
Auch in einigen Wohnblocks in Göttingen und im Berliner Stadtteil Neukölln, die »als ›infiziert‹ identifiziert wurden« (Bäckermann/Birke 2021) sowie in Unterkünften von Menschen, die in der Landwirtschaft und Fleischindustrie arbeiten, spielten sich ähnliche Szenen ab. Polizeilich bewachte Zäune materialisierten die räumliche und soziale Segregation. Der öffentliche politische und mediale Diskurs gab die Schuld an den Ausbrüchen den Bewohner*innen – die oft als Migrant*innen markiert sind – und setzte sie so als Bedrohung für die weiß-deutsche und bürgerliche Bevölkerung in Szene. Auf einer ähnlichen Klaviatur spielte der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet, als er im ZDF am 17. Juni 2020 sagte, dass aus Rumänien und Bulgarien einreisende Beschäftigte für die großen Covid-19-Ausbrüche in der Fleischindustrie verantwortlich seien (vgl. Bulgarisches Frauen*kollektiv FemBunt 2020).
Gleichzeitig zeichnet sich auf programmatischer Ebene mit dem ›Neuen Migrations- und Asylpaket‹ der EU vom September 2020 eine Kontinuität anti-migrantischer Ansätze ab. Auch Abschiebungen in von bewaffneten Konflikten gezeichnete Länder, wie etwa Afghanistan, wurden nicht ausgesetzt, sondern inmitten der Pandemie weiter durchgeführt. Nicht zuletzt bedeutete und bedeuten die Pandemie und ihr Management für undokumentierte und mit prekärem Aufenthaltsstatus in der EU lebende Migrant*innen weitere, oft lebensbedrohliche, Verschärfungen ihrer schutz- und rechtlosen Situation. Allein in Berlin wohnen derzeit schätzungsweise zwischen 60.000 und 100.000 undokumentierte Menschen. Sie arbeiten meist ohne Arbeitsschutz und soziale Sicherung in schlecht bezahlten Jobs. Viele von ihnen haben mit Beginn der Pandemie ihre Arbeit und damit oft gleichzeitig ihre Wohnung verloren. Aus Angst vor Abschiebung meiden die Betroffenen auch den Gang zum Arzt im Falle einer Erkrankung (vgl. Volknant 2020). Die Kampagne »Legalisierung jetzt«2, zu der sich im Oktober 2020 über 50 Berliner Organisationen zusammenschlossen, fordert, undokumentierte Personen zu legalisieren und den Zugang zum Gesundheitssystem zu ermöglichen.
Diese Forderung ist während der Pandemie indessen ebenso wenig erhört worden wie jene der inzwischen mehreren hundert bundesdeutschen Kommunen nach mehr Autonomie in migrations- und asylpolitischen Fragen, u.a. was die Möglichkeiten der kommunalen Aufnahme von Geflüchteten etwa aus Griechenland betrifft. Ende des vergangenen Jahres beschloss der Berliner Senat sogar, gegen Horst Seehofer zu klagen. Grund war die Weigerung des Bundesinnenministers, dem Berliner Landesprogramm zur Aufnahme von Geflüchteten zuzustimmen (vgl. Dernbach 2020). Auch die Bundesländer Bremen und Thüringen sowie 200 deutsche Städte und Gemeinden haben in den vergangenen Monaten öffentlich ihre Bereitschaft erklärt, über kommunale und Landesaufnahmeprogramme mindestens 5.000 der zehntausenden auf den griechischen Inseln untergebrachten Geflüchteten zu evakuieren und in Deutschland aufzunehmen. Das sind sehr viel mehr Menschen als die rund 1.500 besonders schutzbedürftigen Personen, deren Aufnahme die Bundesregierung 2020 zugesagt hatte (vgl. Kron 2021; Seebrücke 2020; Westdeutsche Zeitung 2020; Deutscher Bundestag 2020).
Doch die Zahl der Städte und Gemeinden in Europa, die sich wie die 200 bundesdeutschen Kommunen zu Sicheren Häfen, Städten der Zuflucht, Willkommensstädten und solidarischen Städten erklären, wächst kontinuierlich. Bürgermeister*innen, kommunale Verwaltungen und/oder zivilgesellschaftliche Bewegungen und Organisationen wie die Seebrücke in Deutschland treten für eine inklusivere und humanere Migrations- und Asylpolitik auf kommunaler Ebene ein. Und in vielen europäischen Ländern zeigt sich ein immer größer werdender politischer Dissenz zwischen progressiven urbanen Räumen und abwehrenden Nationalstaaten, was Einwanderung und Asyl betrifft (Schwiertz/Steinhilper 2021). Der Journalist Christian Jakob ist sogar der Meinung, dass die Bewegungen solidarischer Städte einen Ausweg aus der Krise des europäischen Asylsystems bieten können, weil der nationalstaatliche Weg zur Aufnahme von Geflüchteten innerhalb der EU-Mitgliedsstaaten weitgehend blockiert ist (Jakob 2020). Sind die solidarische Stadt und städtische Formen von Bürger*innenschft (Urban Citizenship) also ein zukunftsweisendes Modell, das Flucht und Migration nicht als Gefahr und Problem, sondern als Teil einer Gesellschaft der Vielen rahmt?
Die in dieser Ausgabe von movements versammelten Beiträge sind unter den Bedingungen der Corona-Pandemie entstanden. Sie zeichnen ein komplexes Bild aktueller migrationspolitischer Entwicklungen – im Kontext der Pandemie und darüber hinaus: So analysieren sie die Reorganisierung des europäischen Grenzregimes und diskursive Verschiebungen seit dem »langen Sommer der Migration« im Jahr 2015 (Kasparek/Speer 2015). Darüber hinaus geht es um Konjunkturen des Rassismus und antirassistischer Kämpfe im Anschluss an die rassistischen Morde von Hanau im Februar 2020 sowie die jüngsten migrationspolitischen Entwicklungen im Kontext der Pandemie. Die Autor*innen werfen Schlaglichter auf Orte wie Palermo, Moria und Brüssel, auf Deutschland und die Türkei sowie auf transnationale Räume der EU. In ihrer empirischer Dichte zeigen die Beiträge dieser Ausgabe, wie vielfältig die Ansätze und Methoden einer kritischen Migrations- und Grenzregimeforschung sein können: Neben etablierten narrativ-biografischen und historisch-materialistischen Ansätzen finden sich auch Esin Göksoys und Helena Grebners »Auto-Ethnografie der Affekte«, in der sie die mehrfachen Krisen des Jahres 2020 aufarbeiten sowie Stefanie Maffeis’ Rekonstruktion der transnationalen Zirkulation von Wissen um die Charta von Palermo (Orlando 2015).
Stefania Maffeis setzt mit ihrem Beitrag zum Palermo Charter Prozess an dieser Frage aus philosophischer und politiktheoretischer Sicht an. Ausgehend von Hanna Arendts Definition der Menschenrechte als dem »Recht, Rechte zu haben”, fragt die Autorin nach den verschiedenen situationalen Bedeutungen des Menschenrechts auf Migration und globale Bewegungsfreiheit, aber auch nach den konkreten Effekten auf EU-europäische Migrationspolitiken und soziale Bewegungen. Maffeis rekonstruiert im Sinne einer transnationalen Zirkulation des Wissens, wie und warum die während des »Sommers der Migration« 2015 von Palermos Bürgermeister Leoluca Orlando veröffentlichte Charta von Palermo (Orlando 2015), politischer Streitpunkt, aber auch positiver Bezugspunkt für Willkommensinitiativen, Bewegungen für solidarische Städte, institutionelle Netzwerke und parlamentarische Debatten in ganz Europa werden konnte.
Gonca Şahin lenkt mit ihrer sensibel recherchierten Studie »Home, Asylum and Identity Among Queer Refugees in Turkey« den Blick auf die Türkei, die im Rahmen Ihres Deals mit der EU Milliarden Euro für das ›Containment‹ von Geflüchteten erhält. Containment bezeichnet den Versuch, flüchtende Menschen von der Weiterreise in die EU abzuhalten. Unter Rückgriff auf feministische und queere Perspektiven auf »home (making)« sowie mit Hilfe ethnographischer und narrativ-biographischer Methoden geht Şahin der Frage nach, ob und wie es queeren Geflüchteten u.a. aus Nordafrika und dem Iran gelingt, in Istanbul Orte zu erschaffen, die sie ihr – wenn auch prekäres – zu Hause nennen und die einen kreativen Schutzraum für ihre queeren Communities bieten können.
Gleich zwei Beiträge in dieser Ausgabe rekonstruieren mit unterschiedlichen Methoden und inhaltlichen Schwerpunktsetzungen die diskursiven Verschiebungen vom bundesdeutschen nahezu euphorisch pro-migrantischen »Sommer der Willkommenskultur« im Jahr 2015 hin zu anti-migrantischen und rassistischen Ressentiments, die insbesondere seit der Silvesternacht 2015/2016 in Köln begannen, die politischen und medialen Debatten in Deutschland zu bestimmen (vgl. Dinkelaker et al. 2021).
Der Aufsatz »Von Bedrohungsszenarien und Grenzregimen. Die Verschränkung von Flucht- und Terrordiskursen« von Felicitas Qualmann, Enis Bicer, Lina Brink und Alejandra Nieves Camacho setzt hier an. Die Autor*innen machen den nach rechts driftenden Umschwung des gesamten öffentlichen Diskurses 2015/2016 begreifbar, indem sie herausarbeiten, wie Migrations- mit Terrordiskursen verknüpft werden. Mit Hilfe diskursanalytischer und wissenssoziologischer Methoden sowie einer umfangreichen Materialbasis gehen Qualmann et al. der Frage nach, wie deutsche Tagezeitungen Migration und Terrorismus mehr oder weniger direkt in einen Zusammenhang stellten, wobei sie Flucht_Migration überwiegend als Bedrohung artikulierten. Abschließend erörtern die Autor*innen, wie sich die Spuren der von ihnen untersuchten Diskurse der Jahre 2015/2016 hin zu aktuellen Debatten um das Grenzregime weiter verfolgen lassen.
Der Werkstattbericht »Nach dem Sommer. Migrationspolitische Kämpfe und Kräfteverhältnisse in Deutschland seit März 2016« von Marie Hoffmann analysiert mit der hegemonietheoretisch informierten »historisch-materialistischen Politikanalyse« (Staatsprojekt Europa 2014), wie sich die Kräfteverhältnisse in Bezug auf Migrationspolitiken in Deutschland zwischen 2015 und 2020 verschoben haben. Auf der empirischen Basis einer qualitativen Medienanalyse identifiziert die Autorin vier Hegemonieprojekte (neoliberal, konservativ, sozial und links-/liberal) und analysiert die Strategien der jeweiligen Akteure im Kampf um Hegemonie im migrationspolitischen Feld. Die Analyse zeigt, dass rechts-konservative Kräfte und ihre anti-migrantischen Diskurse seit 2016 an Stärke gewonnen haben, während linke Akteure vor allem mit ihren Mobilisierungen während der entstehenden Willkommenskultur 2015 erfolgreich waren. Neoliberale Kräfte hingegen hielten bis März 2020, als die Türkei kurzzeitig ihre Grenzen »öffnete«, Geflüchtete teils regelrecht Richtung Griechenland abschob und die türkische Regierung auf diese Weise mit dem EU-Türkei-Deal brach, an ihrem Projekt des ›Migrationsmanagements‹ fest, allerdings mit wachsenden Konzessionen an konservative und rechte Kräfte, um mit diesen einen – wenn auch fragilen – Kompromiss zu finden.
Vier weitere Beiträge bilden wissenschaftlich-politische Interventionen in aktuelle Debatten und Diskurse im Feld der Migration. In Form eines Dialogs analysieren Jens Adam und Valeria Hänsel in ihrem Text »After Humanitarian Reason? Formations of Violence, Modes of Rule and Cosmopolitical Struggles at the European Margins« die Entwicklungen im inzwischen abgebrannten Camp Moria auf Lesbos. Moria und ›Hotspots‹ auf anderen Ägäis-Inseln waren zunächst als Registrierungszentren errichtet worden, hatten sich aber in Freiluftgefängnisse verwandelt. Adam und Hänsel zeigen auf, wie sich die Lebensbedingungen in diesen politisch produzierten Ausnahmezonen in Zeiten von COVID-19 weiter verschlechterten. Die Autor*innen diskutieren, wie die spezifische Situation in Moria erfasst und zugleich auf umfassendere Entwicklungen und theoretische Debatten zu Grenzen, Gewalt, und einer Politik des Sterben-Lassens bezogen werden kann. Entgegen eurozentristischer Konzepte und Methodologien entwickeln sie eine analytische Perspektive, aus der Europa als dezentralisierter fragmentierter Raum begreifbar wird. So analysieren Adam und Hänsel, dass die »Hotspots« nicht einfach Orte an den geografischen Außengrenzen der EU sind, sondern politisch zu europäischen Rändern gemacht und als solche marginalisiert werden. Beteiligt daran sind auch UN-Organisationen, Hilfswerke und NGOs. Die Autor*innen diskutieren deshalb abschließend die Frage, ob sich der Humanitarismus durch diese Instrumentalisierung humanitärer Organisationen selbst beseitigt bzw. immer schon die Marginalisierung und Exklusion von Menschengruppen legitimierte.
In ihrem Beitrag »Der Europäische Pakt gegen Migration« analysieren Charles Heller und Bernd Kasparek den antimigrantischen Politikansatz des ›Neuen Migrations- und Asylpakets‹ der EU, der zwar einen neuen Mechanismus der flexiblen ›Lastenteilung‹ zwischen den EU-Mitgliedsstaaten anbietet, insgesamt aber darauf ausgerichtet bleibt, die meisten Migrant*innen aus dem Globalen Süden um jeden Preis fernzuhalten. Er bietet keine Aussicht auf ein Ende des anhaltenden Mobilitätskonflikts, der sich zwischen den Bewegungen der Migration und der restriktiven Migrationspolitik der EU auftut. Heller und Kasparek argumentieren deshalb, dass ein anderer Pakt notwendig sei: ein Pakt mit Migrant*innen, der von der Realität der Migrant*innenbewegungen ausgeht und einen Rahmen für ihre Entfaltung bietet, während er gleichzeitig auf die systemischen Bedingungen, die Menschen zur Flucht veranlassen, sowie die Ursachen des europäischen Rassismus reagiert.
Polina Manolova und Philipp Lottholz analysieren in ihrem Beitrag »Security Above the Law? Germany’s Pandemic Borders and Intra-European Free Mobility« die Grenzkontrollen, die die Bundesregierung im Frühjahr 2020 als Maßnahme gegen die Ausbreitung von Covid-19 einführte, als »spectacle of security«, welches mehr der Zurschaustellung von nationalstaatlicher Souveränität als der Pandemiebekämpfung diene. Die Autor*innen beschreiben exemplarische Grenzsituationen am Frankfurter Flughafen, in denen transnationalen Migrant*innen aus Bulgarien die Einreise verwehrt oder mit Anmelde- oder Beschäftigungsnachweisen, die nicht alle organisieren konnten, schließlich doch erlaubt wurde. Auf diese Weise werden Grenzsituationen als Orte der Auseinandersetzung greifbar, die transnationale Lebensentwürfe durchkreuzen, aber in denen auch solidarische Netzwerke und Kämpfe um Rechte entstehen können.
Der Text »Betroffenheit als emotionaler Resonanzraum. Chronologie eines assoziativ-dialogischen Reflexionsprozesses« von Esin Göksoy und Helena Grebner ist nicht nur eine Intervention in aktuelle Debatten, sondern auch eine innovative methodologische Intervention. Der Beitrag lässt sich als Auto-Ethnographie der Affekte beschreiben und plädiert für einen emotionalen Zugang in den Sozialwissenschaften und eine assoziativ-dialogische und kollaborative Perspektive auf Wissensproduktion in Krisenzeiten. In Form von Dialogen, Selbstreflektionen und Selbstbeobachtungen schreiben die Autor*innen eine rassismuskritische Chronologie ihrer Emotionen, Gedanken und Gespräche, die das Scheitern des EU-Türkei-Deals, die ›Öffnung‹ der türkischen Grenze und die Schüsse auf Geflüchtete Anfang 2020 mit den rassistischen Morden in Hanau im Februar 2020 und dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020 verbindet und in einen transnationalen Zusammenhang bringt.
Das einen Monat nach den rassistischen Mordanschlägen in Hanau geführte Interview »Without community, there is no liberation – Ein Filmgespräch zu Herausforderungen community-übergreifender Organisierung angesichts fortwährender rassistischer Gewalt und Krisen« thematisiert rassistische Konjunkturen und antirassistische Strategien. Jessica Korp, Nadiye Ünsal, und Tijana Vukmirović unterhalten sich darin ausgehend von der gemeinsamen Arbeit an einem Dokumentarfilm mit Jasmin Eding und Sanchita Basu, die seit den 1980ern antirassistische Kämpfe führen, über ihre Erfahrungen mit selbstorganisierten und insbesondere Community-übergreifende Bewegungen von Migrant*innen.
Last but not least rezensiert Leonie Keskinkılıç Helge Schwiertz’ Monografie, in der dieser, ausgehend von der Untersuchung politischer Selbstorganisierungen von migrantischen Jugendlichen in Deutschland und den USA, einen Begriff der »Demokratie als Praxis« entwickelt und Debatten zu radikaler Demokratie und zu Migrations- und Grenzregimen miteinander verbindet.
Petja Dimitrova untersucht und verbindet in ihren drei Zeichnungen aktuelle gesellschaftspolitische Diskurse, soziale Kämpfe, emanzipatorische Praxen und utopische Lebensmodelle. Sie setzt das Medium als künstlerische, aktivistische und communitybezogene Arbeitspraxis ein. An der Schnittmenge von politischer Artikulation und Selbstausdruck verknüpft sie kritische Gesellschaftsdiskurse mit solidarischer ästhetischer Praxis. In den drei Motiven markiert sie unterschiedliche Mobilisierungsformen, -kräfte und Bewegungen gegen Formen der rassistischen Gewalt. Es handelt sich um Kollagen von medial bekannten Bildern/Ereignissen, die durch eine kritische Aufarbeitung neu konstruiert wurden, um die gesellschaftliche Ambivalenz der jeweiligen emanzipatorischen Bewegungen und die Widersprüchlichkeiten aufzuzeigen.
In der ersten Zeichnung vermittelt sie durch die Darstellung des Brandes in Moria die kontroversen politischen und gesellschaftlichen Positionierungen um das Recht auf Schutz, auf Leben sowie auf Gesundheitsversorgung für Menschen auf der Flucht an den Grenzen Europas. In der zweiten Zeichnung geht es um die Sichtbarkeit der Black Lives Matter-Bewegung als eine globale antirassistische Bewegung, die mit lokalen Kämpfen um Denkmal- und Gedächtnispolitiken im öffentlichen Raum in Verbindung gebracht wird. Im Zentrum der dritten Zeichnung steht die Bewegung um Aufklärung und Gedächtnispolitik zu den rassistischen NSU-Morden.
Literatur
Buckel, Sonja / Graf, Laura / Kopp, Judith / Löw, Neva / Pichl, Maximilian (Hg.) (2021): Kämpfe um Migrationspolitik seit 2015. Zur Transformation des europäischen Migrationsregimes. Bielefeld.
Bulgarisches Frauen*kollektiv FemBunt (2020): Offener Brief an Armin Laschet. URL: fembunt.org [18.08.2021].
Burschel, Friedrich (2020): Asyl als Falle. Staatlicher Rassismus im Umgang mit Geflüchteten in der Corona-Krise. In: Webdossier Rosa-Luxemburg-Stiftung. URL: rosalux.de [18.08.2021].
Orlando, Leoluca (2015): Charta von Palermo 2015. Internationale Freizügigkeit von Menschen. URL: comune.palermo.it [18.08.2021].
Dernbach, Andrea (2020): Berliner Senat klagt jetzt gegen Seehofer. Der Tagesspiegel vom 18.11.2020. URL: tagesspiegel.de [18.08.2021].
Deutscher Bundestag Drucksache 19/24205 (2020). URL: dip21.bundestag.de [18.08.2021].
Dinkelaker, Samia / Huke, Nikolai / Tietje, Olaf (Hg.) (2021): Nach der »Willkommenskultur«. Geflüchtete zwischen umkämpfter Teilhabe und zivilgesellschaftlicher Solidarität. Bielefeld.
Jakob, Christian (2020): Besser weiter machen. Jungle World vom 22.10.2020. URL: jungle.world [18.08.2021].
Kron, Stefanie (2021): Solidarische Städte, eine Alternative zur gescheiterten EU-Asylpolitik?« In: Hänsel, Valeria et al. (Hg.): Von Moria bis Hanau. Brutalisierung und Widerstand. Grenzregime IV. Berlin (im Erscheinen).
Neumann, Mario (2020): Keine griechische Tragödie. medico international, 09.09.2020. URL: medico.de [18.08.2021].
Schwiertz, Helge / Steinhilper, Elias (2021): Countering the Asylum Paradox Through Strategic Humanitarianism: Evidence from Safe Passage Activism in Germany. In: Critical Sociology 47(2).
Seebrücke (2020): seebruecke.org [08.10.2021].
Volknant, Patrick (2020): »Ich bete jeden Tag, dass es mich nicht erwischt«. Was die Pandemie für undokumentierte Migranten bedeutet. Der Tagesspiegel vom 13.12.2020. URL: tagesspiegel.de [18.08.2021].
Westdeutsche Allgemeine Zeitung – WAZ (2020): Flüchtlinge. Regierung will Kinder und Jugendliche aufnehmen. WAZ vom 09.03.2020. URL: waz.de [18.08.2021].