Abstract In this article we present some preliminary findings of our work as Berlin based activists who monitor racism in the judiciary. Starting from the assumption that racism can be found on all levels of society, we aim at countering the idea that the justice system is neutral and objective. Most of the trials we observe are structured around the (police) practice of racial profiling. A problem we frequently encounter is how racism is rendered invisible and denied by police and justice officials. In order to fully understand the process of criminalization of those affected by racism, it is necessary to look at the institutions of the criminal justice system in their interconnectedness and their interaction.
Keywords institutional racism, racial profiling, trial monitoring, legal activism, criminal justice system
In Deutschland gibt es bislang kaum Auseinandersetzungen mit Rassismus in der Justiz.1 Noch stärker als die Polizei gelten Gerichte als unangreifbare Institutionen, die sich in einer Sphäre scheinbarer Objektivität und Neutralität bewegen. Symbolisch drückt sich dies darin aus, dass Richter_innen Roben tragen; auch die Verwendung von Formulierungen wie ‚das Gericht hat entschieden‘ (versus: die Richterin hat entschieden) hat den Effekt, dass einzelne, durch ihre machtvolle gesellschaftliche Position (weiß, studiert, sicherer Arbeitsplatz, gutes Einkommen, deutscher Pass) geprägte Richterpersonen hinter der Maske des neutralen Gerichts verschwinden. Dem Ideal nach entscheiden Richter_innen ohne Ansehen der Person: Justitia ist blind. Dass die Rechtsprechung allerdings vor allem blind gegenüber Rassismus ist, zeigt sich darin, dass das Verbot rassistischer Diskriminierung ein „Schattendasein im deutschen Rechtsdiskurs“ (Barskanmaz 2008: 296) führt und Rassismus im deutschen Recht nicht als Straftatbestand normiert ist. Viele Richter_innen und Staatsanwält_innen sind der Ansicht, dass Rassismus gar nicht objektiv festgestellt werden könne, dass allenfalls ‚Zwischentöne‘ wahrnehmbar seien und Dinge sich eben manchmal ‚hochschaukeln‘ würden.2 Es fehlt ein Wissen darüber, dass die Justiz ebenso wie die Gesellschaft, deren Teil sie ist, hierarchisch organisiert und rassistisch strukturiert ist. Dies hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass die Auseinandersetzung mit Rassismus in Deutschland insgesamt weiterhin auf große Ablehnung stößt. Rassismus wird entweder historisiert (‚Rassismus gab es im Nationalsozialismus‘), externalisiert (‚Rassismus gibt es in den USA oder Südafrika‘) oder an die ‚Ränder der Gesellschaft‘ verschoben (‚rassistisch sind Neonazis, verwirrte Einzeltäter_innen oder Unterstützer_innen von Pegida‘). Er wird nicht mit dem normalen Funktionieren der Gesellschaft und ihrer Institutionen in Verbindung gebracht, und dies macht es so schwierig, Rassismus in der Justiz zu thematisieren.
Um dieser Ent-Thematisierung etwas entgegenzusetzen, hat sich 2014 die Prozessbeobachtungsgruppe ‚Rassismus und Justiz‘ gegründet. Wir sind eine Gruppe von Aktivist_innen, die regelmäßig Prozesse beobachten und dokumentieren. Mit dieser Arbeit verfolgen wir mehrere Ziele:
- die solidarische Unterstützung von Angeklagten, Zeug_innen oder Nebenkläger_innen;
- die Herstellung von Öffentlichkeit: Wir rufen zur Prozessbeobachtung auf, veröffentlichen Prozessprotokolle und organisieren Diskussionsveranstaltungen. Mit unserer Anwesenheit im Gericht signalisieren wir Richter_innen und Staatsanwält_innen, dass sie bei ihrer Arbeit nicht unbeobachtet sind;
- die Erarbeitung einer rassismuskritischen Analyse dessen, was im Gericht passiert.
Ausgehend von unseren Erfahrungen wollen wir den rassistischen Normalzustand in deutschen Gerichten in unserem Beitrag etwas genauer in den Blick nehmen. Bevor wir anhand von Beispielen aus Prozessprotokollen erste Analyseergebnisse präsentieren, stellen wir eingangs unser Verständnis von Rassismus vor und geben einen kurzen Einblick in unsere Arbeit als Prozessbeobachter_innen.
Rassismus und institutioneller Rassismus
Wir konzeptualisieren Rassismus als soziales Verhältnis, in dem Gruppen von Menschen anhand realer und/oder fiktiver Merkmale wie Hautfarbe, Sprache, Kleidung oder Herkunft klassifiziert und hierarchisiert werden. Den Opfern von Rassismus werden Eigenschaften, die gesamtgesellschaftlich negativ konnotiert sind, als natürlich und unveränderlich zugeschrieben. Nach Stuart Hall besteht die gesellschaftliche Funktion des rassistischen Klassifikationsmodells darin, „soziale, politische und ökonomische Praxen zu begründen, die bestimmte Gruppen vom Zugang zu materiellen oder symbolischen Ressourcen ausschließen“ (Hall 2000: 7). Rassismus ist auf verschiedenen Ebenen wirksam: im Alltag, in medialen Diskursen, im Bildungssystem, auf dem Arbeitsmarkt, in Polizei und Justiz. Mark Terkessidis (2004: 101) folgen wir in der Annahme, dass Rassismus sich auch in einem gesellschaftlich verankerten Wissen niederschlägt, das eine Einheit mit der Praxis gesellschaftlicher Institutionen bildet: Gruppen von Menschen werden durch institutionelle Praktiken (wie beispielsweise Racial Profiling) objektiviert und sichtbar gemacht, während sich rassistisches Wissen (‚Schwarze Menschen sind kriminell‘) wiederum auf diese Menschen bezieht und Ungleichheiten legitimiert.
Rassismus muss diesem Verständnis zufolge keineswegs immer offen und unmaskiert zu Tage treten. Um dies begrifflich zu fassen, führten Stokely Carmichael (heute als Kwame Ture bekannt) und Charles Hamilton bereits 1967 den Begriff des institutionellen Rassismus im Gegensatz zum individuellen Rassismus ein. Letztgenannter beschreibt offene Handlungen von weißen Individuen gegen Schwarze Individuen, die den „Tod, Verletzungen, oder gewaltsame Zerstörung von Eigentum als Folge haben können“ (Ture/Hamilton 1992: 4) und eindeutig beobachtbar sind. Die zweite Form ist
„weniger offen, viel subtiler, die Handlungen können weniger spezifischen Individuen zugeordnet werden. Trotzdem ist er nicht weniger zerstörerisch gegenüber Menschenleben. Der zweite Typus hat seinen Ursprung im Wirken etablierter und respektierter gesellschaftlicher Kräfte und ruft somit weniger soziale Ächtung hervor als der erste Typus.“ (ebd.)
Eine Vorbemerkung: Wir verstehen unser Bemühen als Aktivist_innen nicht als Beweisführung, dass die Justiz rassistisch ist, indem wir beispielsweise systematisch vergleichen würden, wie sich das Strafmaß bei ähnlichen Delikten unterscheidet, je nachdem ob Prozessbeteiligte weiß oder von Rassismus betroffen sind. Stattdessen denken wir, und hiermit folgen wir der britischen Kriminologin Tina Patel, dass es geradezu überraschend wäre, wenn Rassismus in der Justiz keine Rolle spielen würde:
„It would be foolish to believe that patterns of black and minority ethnic economic, social, cultural and political exclusion that are born out of a history of racism and xenophobia would not continue to penetrate the walls of justice.“ (Patel/Tyrer 2011: 69)
Von dieser Annahme ausgehend stellen wir uns die Frage, wie sich Rassismus in der Justiz artikuliert.
Beobachtungsstrategien
In der Regel erfahren wir von anstehenden Prozessen, wenn Anwält_innen oder Beratungsstellen uns darüber informieren, dass ihre Mandant_innen beziehungsweise Klient_innen sich eine solidarische und rassismuskritische Prozessbeobachtung wünschen. Wie viele Aktivist_innen im Prozess anwesend sind, unterscheidet sich von Mal zu Mal: In seltenen Fällen kommt eine Person alleine, häufig sind wir zu zweit oder zu dritt. Im Prozess versuchen wir, alles, was gesprochen wird, so ausführlich wie möglich mitzuschreiben; auch nonverbale Handlungen der Prozessbeteiligten werden dokumentiert. Nach der Verhandlung erstellen wir aus unseren Notizen ein möglichst umfassendes Protokoll. Meist beginnt eine Person mit einem ersten Entwurf, in den die anderen schrittweise ihre Ergänzungen und Änderungen einarbeiten. Oft stellt sich dabei heraus, dass bestimmte Äußerungen oder Abläufe von verschiedenen Personen unterschiedlich wahrgenommen wurden, sodass wir über einzelne Passagen im Nachhinein noch einmal diskutieren. Um die Protokolle einheitlich zu strukturieren und eine gewisse Vergleichbarkeit herzustellen, haben wir einen Leitfaden entwickelt, an dem wir uns beim Schreiben orientieren.3 Beispielsweise stellen wir den Prozessprotokollen eine Übersicht über alle Personen voran, die in der Verhandlung anwesend waren; außerdem haben wir uns nach einigen Diskussionen darauf geeinigt, in der Übersicht festzuhalten, ob die Personen weiß oder von Rassismus betroffen (PoC) sind. Dies tun wir, um in den Protokollen sichtbar zu machen, dass in der Justiz weiße Normen und Erfahrungen dominieren und insbesondere die machtvollen Positionen – die der Richter_innen und Staatsanwält_innen – ganz überwiegend weiß besetzt sind.
Im Schreibstil unterscheiden sich unsere Protokolle: Während einige nüchtern und sachlich geschrieben sind, enthalten andere explizitere Wertungen der Verfasser_innen. Dass subjektive Eindrücke und Einschätzungen in den Protokollen unterschiedlich viel Raum einnehmen, lässt sich einerseits darauf zurückführen, dass wir beim Schreiben unterschiedliche Herangehensweisen haben. Andererseits probieren wir aber auch bewusst unterschiedliche Protokollstile aus, da wir selbst noch nicht sicher sind, welche sich am besten für unsere Analysen eignen.
Fokus auf Racial Profiling
Da wir eng mit ReachOut und KOP4 zusammenarbeiten, beobachten wir meist Verfahren, die mit polizeilichen Maßnahmen in Verbindung stehen, die wir als Racial Profiling kritisieren. Von Racial Profiling sprechen wir, wenn Polizist_innen keine spezifische Verdächtigenbeschreibung haben und entscheiden, eine Person anzuhalten, zu durchsuchen, zu befragen oder zu verhaften, weil ihnen diese aufgrund rassialisierter Merkmale wie Hautfarbe, Haarfarbe, religiöse Symbole oder Sprache verdächtig erscheint (vgl. KOP o. J.).
An Racial Profiling können sich verschiedene Arten gerichtlicher Verfahren anschließen. Wir nehmen im Folgenden eine analytische Unterscheidung zwischen ‚defensiven‘ und ‚offensiven‘ Verfahren vor. Unter ‚defensiven‘ Verfahren verstehen wir solche, in denen es zu einer weiteren Kriminalisierung der Personen kommt, die in das rassistische Raster der Polizeibeamt_innen gefallen sind oder sich in rassistische polizeiliche Maßnahmen eingemischt haben. In solchen Strafverfahren finden sich Betroffene oder Zeug_innen rassistischer Polizeigewalt oder -kontrollen als Beschuldigte auf der Anklagebank wieder. Ihnen wird vorgeworfen, sie hätten Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte geleistet, bei ihnen seien Drogen gefunden worden, sie hätten polizeiliche Maßnahmen behindert oder Beamt_innen als Rassist_innen beleidigt. Wir haben beispielsweise mehrere Prozesse beobachtet, in denen darüber verhandelt wurde, ob das Hinweisen auf rassistisches Verhalten eine Ehrverletzung, Falschaussage oder Verleumdung darstellt. Der Beratungsstelle ReachOut wurde in einem Fall vorgeworfen, bewusst Zeug_innen manipuliert zu haben. Häufig ließ sich auch beobachten, dass in Reaktion auf Anzeigen gegen rassistische Übergriffe oder Racial Profiling von Seiten der Polizei Gegenanzeigen gestellt wurden, die zu Verurteilungen führten, wohingegen die Anzeigen gegen die Polizeibeamt_innen fallen gelassen wurden.
In ‚defensiven‘ Verfahren geht es aus Sicht der Angeklagten in der Regel um Schadensbegrenzung. Häufig ist es schon als ‚Erfolg‘ zu werten, wenn die Beschuldigten freigesprochen werden oder das Verfahren gegen sie gegen Auflagen, also beispielsweise gegen Zahlung einer Geldsumme, eingestellt wird. Wenn es weniger gut läuft, werden sie zu einer Geld- oder sogar einer Freiheitsstrafe verurteilt. Für eine kritische Auseinandersetzung mit rassistisch motivierten Polizeikontrollen oder gewalttätigen Übergriffen gibt es in diesen Verfahren keinen Raum.5 Wer versucht, Rassismus zur Sprache zu bringen, macht sich angreifbar, wird als unsachlich und emotional wahrgenommen. Dies hat strukturelle Gründe.
Machtverhältnisse im Gerichtssaal
Prägend sind erstens die Machtverhältnisse im Gerichtssaal. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass das Gericht als stark reglementierter Raum eine einschüchternde Wirkung auf Menschen hat, die sich dort nicht regelmäßig bewegen. Es gilt eine Vielzahl an Regeln und Vorschriften, die sich nicht unbedingt auf den ersten Blick erschließen, angefangen bei den Einlasskontrollen, über die Sitzordnung im Gerichtssaal, bis hin zu der Frage, wer wann sprechen darf.
Im Unterschied zu anderen Zeug_innen, Angeklagten oder Nebenkläger_innen treten Polizist_innen in Strafverfahren routiniert und selbstsicher als Berufszeug_innen auf (vgl. Friedrich/Mohrfeldt/Schultes 2016). Sie nutzen die Gelegenheit zur gegenseitigen Absprache, was teilweise in detailgenauen Gleichaussagen zum Ausdruck kommt, und wissen darüber hinaus um die Unterstützung der Staatsanwaltschaften, mit welchen sie im Berufsalltag zusammenarbeiten. Folglich können sie es sich erlauben, unhöflich und genervt auf kritische und detaillierte Nachfragen der Gegenseite zu reagieren (vgl. bspw. Prozessbeobachtungsgruppe 2015a). Symbolisch vermitteln Polizeizeug_innen ihre Machtposition teilweise durch das Tragen ihrer Berufsuniform und gegebenenfalls auch ihrer Dienstwaffe, was in einem hierarchisch strukturierten Raum wie dem Gericht zusätzlich einschüchternd wirkt.
Auch beobachten wir eine mangelnde Motivation der Richter_innen, Polizeibeamt_innen oder andere Akteur_innen im Gerichtssaal zur Ordnung zu rufen, wenn diese sich gegenüber Schwarzen Prozessbeteiligten wenig respektvoll verhalten (vgl. Prozessbeobachtungsgruppe 2015b). Als Leiter_innen der mündlichen Verhandlung können Richter_innen entscheidend auf die Verhandlungsatmosphäre Einfluss nehmen. Es liegt zudem in ihrer Macht, Prozessbeobachter_innen das Mitschreiben zu untersagen, sie des Saals zu verweisen (beziehungsweise dies zumindest anzudrohen) oder Verhandlungen kurzfristig an einen anderen Ort zu verlegen. So haben wir erlebt, dass eine Verhandlung in den Sicherheitsbereich des Gerichts verlegt wurde, nachdem es unter linksunten.indymedia.org einen Aufruf zur Prozessbeobachtung gegeben hatte (vgl. Prozessbeobachtungsgruppe 2015a). Dort müssen Gerichtsbesucher_innen akribische Sicherheitskontrollen – vergleichbar mit denen im NSU-Prozess – über sich ergehen lassen.6
Neben den Machtverhältnissen im Gerichtssaal spielen zweitens Machtverhältnisse in den Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden eine entscheidende Rolle. Dass Körperverletzung durch Polizeibeamt_innen nur in den seltensten Fällen zur Anzeige gebracht, verfolgt und angeklagt wird, liegt daran, dass Beamt_innen sich aus einem Korpsgeist heraus gegenseitig decken.7 Darüber hinaus findet eine unangemessene Solidarisierung der Staatsanwaltschaften statt, die im Effekt unzureichend ermitteln und Verfahren gegen Polizeibeamt_innen vorschnell einstellen (vgl. Babuska 2014: 57). Hier zeigt sich: Rassismus im Gerichtssaal lässt sich nur verstehen, wenn man die Praxis anderer Akteur_innen der Strafjustiz ebenfalls im Blick hat, denn in der Rechtsprechung werden rassistische Praktiken der Ordnungs- und Ermittlungsbehörden fortgeführt und legitimiert. Für dieses Zusammenwirken ist keine Absprache im eigentlichen Sinne erforderlich, da alle Beteiligten Teil des gleichen Systems sind und die dominante weiße Perspektive teilen (vgl. Zinflou 2007: 59f.; Essed 1991: 46). Im englischsprachigen Raum wird vom Criminal Justice System gesprochen, um das Zusammenspiel von Polizei und Staatsanwaltschaft, Anwält_innen und Richter_innen – teilweise bis hin zur Strafvollstreckung in der Haft – begrifflich zu fassen.
Vorgehen gegen polizeiliche Maßnahmen
In Abgrenzung zu ‚defensiven‘ Verfahren verstehen wir unter ‚offensiven‘ Verfahren solche, in denen es darum geht, gegen Racial Profiling vorzugehen. Dies geschieht in erster Linie auf verwaltungsrechtlichem Weg, wenn sich eine Person entscheidet, gerichtlich feststellen zu lassen, ob eine polizeiliche Maßnahme – beispielsweise eine Identitätskontrolle im Zug – rechtswidrig war. Darüber hinaus ist es in Ausnahmefällen möglich, auch im Rahmen von Strafverfahren gegen rassistische Polizeigewalt vorzugehen, wenn nämlich Polizeibeamt_innen wegen Körperverletzung im Amt oder Ähnlichem angeklagt werden. Aufgrund der oben beschriebenen strukturellen Machtasymmetrien gelingt es jedoch nur in den seltensten Fällen, Polizeibeamt_innen strafrechtlich für ihre Taten im Amt zur Verantwortung zu ziehen.
In ‚offensiven‘ Verfahren ist die Ausgangslage günstiger: Die Person, die beispielsweise Opfer einer rassistischen Polizeikontrolle wurde, sitzt nicht selbst auf der Anklagebank, sondern lässt eine polizeiliche Maßnahme gerichtlich überprüfen; beklagt ist also die Polizeibehörde, die sich im verwaltungsrechtlichen Verfahren rechtfertigen muss. Nichtsdestotrotz stößt die Thematisierung von Rassismus auch in den ‚offensiven‘ Verfahren vor Gericht an Grenzen. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass (Verwaltungs-)Richter_innen sich durch ein eklatantes Unwissen und/oder Ignoranz auszeichnen, wenn es darum geht, die diskriminierenden Wirkungen einer polizeilichen Handlung zu bewerten. Sie neigen dazu, Rassismuserfahrungen zu bagatellisieren und zu individualisieren. So behauptete eine Richterin am Verwaltungsgericht Dresden in einem Verfahren gegen die Bundespolizei, der (Schwarze) Kläger habe die Ausweiskontrolle, von der im Zug einzig er und seine Tochter betroffen waren, nur deshalb als diskriminierend empfunden, weil er „wohl etwas empfindsam“ (Prozessbeobachtungsgruppe 2015c) sei. Objektiv sei er durch die Maßnahme aber nicht in seinen Grundrechten verletzt worden, denn jede_r habe doch schon Ausweiskontrollen – beispielsweise am Flughafen – erlebt und wisse, dass das vielleicht lästig, aber jedenfalls nicht problematisch sei (vgl. ebd.). In solchen Ansichten spiegelt sich auch wider, dass in der Justiz überwiegend Menschen arbeiten, die in ihrem Leben niemals Rassismuserfahrungen gemacht haben (vgl. Solanke 2009).
Das Nichterkennen von rassistischer Diskriminierung hat zwei Effekte: Erstens sind Kläger_innen in der Situation, dass sie dem (weiß besetzten) Gericht erklären müssen, warum eine Handlung diskriminierend war – und hierbei mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht ernst genommen werden. Zweitens werden Klagen, in welchen versucht wird, Rassismus zu thematisieren, häufig abgewiesen, da dieser angeblich nicht erkennbar oder relevant sei: Die Leugnung von Rassismus schreibt sich also direkt in gerichtliche Entscheidungen ein, mit der Konsequenz, dass für Betroffene von Racial Profiling kein effektiver Rechtsschutz besteht.
Offener und verdeckter Rassismus
In beiden oben erwähnten Verfahrenstypen äußert sich Rassismus sowohl offen als auch verdeckt. Offen und unmittelbar kommt er zum Ausdruck, wenn Schwarze Menschen in der Gerichtsverhandlung herabgesetzt werden. Neben dem falschen Aussprechen von Namen beobachten wir teilweise, dass Schwarze Menschen als ‚Schwarzafrikaner‘ und nicht gemäß ihrer Rolle im Verfahren – also beispielsweise als Zeug_in oder Nebenkläger_in – bezeichnet werden. Hinzu kommt, dass sich Richter_innen oder Staatsanwält_innen mitunter bewusst gelangweilt geben, indem sie aus dem Fenster schauen, gähnen oder in die Luft starren, während rassistische Praktiken geschildert werden. Hierdurch zeigen sie nicht nur ihren Unwillen, sich mit Rassismus auseinanderzusetzen, sondern verhalten sich auch respektlos gegenüber den Sprechenden. Schließlich haben wir auch die Erfahrung gemacht, dass es Richter_innen an Empathie mangelt, wenn Betroffene im Zuge ihrer Aussage in der Rekonstruktion rassistischer Erlebnisse emotionale Reaktionen wie Wut, Trauer oder Bestürzung zeigen. In solchen Situationen werden in der Regel keine Unterbrechungen angeboten, vielmehr werden die Sprechenden angewiesen, sich wieder zu beruhigen, sachlich zu bleiben und auf die Fragen der Richter_in, Staatsanwält_in oder Verteidiger_in zu antworten. Ihr Verhalten wird als störend und irritierend wahrgenommen, weil es den reibungslosen Ablauf der Gerichtsverhandlung unterbreche. Die Verarbeitung von Emotionen findet keinen Platz. Der Gerichtssaal ist demnach ein Raum, in dem für Schwarze Menschen ein hohes Risiko besteht, (erneut) gedemütigt zu werden (vgl. Solanke 2009: 183f.).
Außerdem äußert sich Rassismus in der Justiz auch verdeckt, wenn nämlich rassistische Handlungen, die im Vor- oder Umfeld des aus Sicht des Gerichts ‚eigentlich‘ relevanten Geschehens passiert sind, als nicht verfahrensrelevant aus dem Verfahren ausgeschlossen werden. Um ein Beispiel zu nennen: Für die rechtliche Bewertung einer Widerstandshandlung ist es ohne Bedeutung, warum eine Person ursprünglich von der Polizei für eine Kontrolle ausgewählt wurde. Ausschlaggebend ist, dass sie sich (tatsächlich oder vermeintlich) gegen eine polizeiliche Maßnahme gewehrt hat. Die zugrunde liegende polizeiliche Praxis des Racial Profiling kommt daher vor Gericht nicht zur Sprache. Dies wird einerseits durch das Recht begünstigt, welches Richter_innen nicht dazu verpflichtet, nach den gesellschaftlichen Verhältnissen oder dem Kontext polizeilicher Maßnahmen zu fragen. Dass Rassismus nicht benannt wird, lässt sich andererseits aber auch darauf zurückführen, dass es von Richter_innen und Staatsanwält_innen offenbar für ganz normal erachtet wird, Schwarze Menschen vermehrt zu kontrollieren und mit auf die Polizeiwache zu nehmen. Dies machen wir daran fest, dass sie zum einen selbst keine kritischen Nachfragen stellen, aber auch Aussagen anderer Akteur_innen unterbinden, in denen diese den Versuch unternehmen, rassistische Praktiken beim Namen zu nennen.
Diese Form von institutionellem Rassismus basiert stark auf einem automatisierten Denken, für das Bilder von Schwarzer/migrantischer Kriminalität (vgl. Gilroy 1982: 48ff.) zentral sind, die zudem ständig in den Medien reproduziert werden. So haben wir mehrfach beobachtet, dass Menschen zusätzlich zu der rassistischen Kriminalisierung durch Polizei und Justiz auch noch während ihrer Festnahme fotografiert und in der Zeitung als Drogendealer dargestellt wurden. Stereotype von Schwarzer Kriminalität und weißer Unschuld wirken sich auch auf das Strafmaß und die Bewertung der Glaubwürdigkeit von Prozessbeteiligten aus. So belegen Studien aus dem englischsprachigen Raum, dass Schwarze Menschen sowohl härtere Strafen erhalten als auch, dass ihre Aussagen als weniger neutral und glaubwürdig eingeschätzt werden als die von weißen Zeug_innen (vgl. u. a. Banks 1977; Smith/Levinson 2011). Für die Bundesrepublik fehlen diesbezüglich empirische Studien (hierzu ausführlicher: Bruce-Jones 2015).
Möglichkeiten und Grenzen von Prozessbeobachtung
Der Rassismus der Justiz und der Rassismus der Gesellschaft gehen Hand in Hand und stützen sich gegenseitig. Folgt man dem Berliner Rechtsanwalt Valentin Babuska, spiegelt sich im gerichtlichen Umgang mit Rassismus der aktuelle gesellschaftliche Wertekonsens wider (Babuska 2014: 59). Wieso in Polizei und Justiz bestimmte rassistische Denk- und Handlungsmuster eine so große Rolle spielen, kann daher nicht aus der Eigenlogik dieser Institutionen erklärt, sondern nur mittels einer Gesellschaftsanalyse beantwortet werden.
Die hohe Definitionsmacht der Justiz wirkt aber auch in die Gesellschaft zurück; sie prägt Vorstellungen darüber, wer als kriminell und gefährlich gilt. Außerdem legitimiert sie in der Gesellschaft vorhandenen Rassismus, indem sie rassistische Übergriffe – seitens der Polizei oder anderer Akteur_innen – nicht konsequent bestraft. Vor diesem Hintergrund erscheint es uns dringend notwendig, den rassistischen Normalzustand in deutschen Gerichten zu skandalisieren und uns mit Menschen zu solidarisieren, die von rassistischer Kriminalisierung betroffen sind. Jedoch sind wir in unserer Arbeit immer wieder mit Schwierigkeiten konfrontiert. Da die Begleitung und Dokumentation von Prozessen sehr zeitintensiv ist, sind unsere Interventionsmöglichkeiten prinzipiell begrenzt. Zudem ist es manchmal schlicht nicht möglich, gegen die Machtverhältnisse im Gerichtssaal anzukommen: So wurde uns wiederholt untersagt, während der Verhandlung Notizen anzufertigen, obwohl es ein Urteil des Bundesgerichtshofes aus dem Jahr 1982 gibt, das dies gestattet (Urteil v. 13.05.1982, Az.: 3 StR 142/82). Einmal konnten wir einen Prozess überhaupt nicht beobachten, da Polizeibeamt_innen den Eingang zum Gerichtssaal blockierten, sich an uns vorbei in den Saal drängten und die begrenzten Besucherplätze besetzten.
Für Betroffene von Racial Profiling und/oder rassistischer Polizeigewalt ist es ferner mit ernst zu nehmenden Risiken verbunden, Öffentlichkeit herzustellen und sich offensiv gegen polizeiliche Maßnahmen zu wehren – auch diese Tatsache müssen wir in unserer Arbeit berücksichtigen. Häufig wirken hohe Gerichts- und Verfahrenskosten abschreckend. Menschen, die kein gefestigtes Aufenthaltsrecht in Deutschland besitzen, wollen nachvollziehbarerweise im Strafverfahren häufig kein Risiko eingehen, das ihnen aufenthaltsrechtlich schaden könnte. Deswegen entscheiden sie sich gegen eine konfrontative Prozessführung und verzichten auf die explizite Thematisierung von Rassismus. Schließlich sind uns auch Fälle bekannt, in denen Menschen mit Anzeigen wegen Verleumdung und/oder falscher Verdächtigung gedroht wurde, weil sie sich weigerten, ihre Anschuldigungen gegenüber Polizeibeamt_innen zurückzunehmen.
All dies macht deutlich, dass Rassismus in der Justiz kein ‚rein rechtliches‘ Thema ist und demnach auch nicht mit ‚rein rechtlichen Mitteln‘ bekämpft werden kann. Daher braucht es unserer Meinung nach eine starke antirassistische Bewegung, der es gelingt, den Kampf gegen Rassismus in der Justiz mit einem Kampf gegen Rassismus auf allen gesellschaftlichen Ebenen zu verbinden.
Literatur
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