Engagement für ukrainische Geflüchtete

Eine »Zweiklassen-Solidarität«?

Theresa Wagner, Helen Schwenken

Abstract In the course of the war in Ukraine, there has been a strong reactivation and new activation of volunteers in the field of refugee support. The article firstly traces this phase of engagement and works out similarities and differences to the situation in 2015/2016. The profiles of those involved and the motives for their involvement are very similar to those of earlier waves of involvement. What is new is the strong engagement of Russian and Ukrainian speakers in Germany and the number of persons offering private accommodation for refugees. Due to the application of the ‘mass influx directive’, Ukrainian refugees started their lives in Germany under significantly better conditions than other refugees when it came to finding a place to live and taking up employment. The article therefore discusses secondly whether this constellation might also lead to ›first and second class‹ solidarity among those who get involved. The article is based on the analysis of 58 qualitative interviews with people who are volunteering for refugees in Germany.


Keywords volunteerism, solidarity, refugees, Ukraine, qualitative research


Februar und März 2022: In Deutschland bilden sich Empfangskomitees an Bahnhöfen um ukrainische Geflüchtete mit dem Nötigsten zu versorgen und sie an Erstaufnahmeeinrichtungen oder Privatunterkünfte zu vermitteln. Willkommenscafés werden wieder aktiviert und Spendensammlungen organisiert. Auch auf kommunaler Ebene erinnert Vieles an die Zeit von 2015/2016. Die Plätze in den Erstaufnahmeeinrichtungen wurden knapp, die Beschulung der Kinder musste aus dem Stand organisiert und Sprachkurskapazitäten erweitert werden. Wieder waren es ehrenamtliche Unterstützer_innen, die den Menschen das Ankommen in Deutschland erleichterten. Es war schnell die Rede von einer »neuen Willkommenskultur“ (Welt Online 2022). Der Beitrag zeichnet diese Phase des Engagements nach und arbeitet Gemeinsamkeiten und Unterschiede zur Situation in den Jahren 2015/2016 heraus.

Die Formen und individuellen Verläufe des Engagements gehen auf das Zusammenwirken von strukturellen und individuellen Faktoren sowie den Umgang mit Enttäuschungen und Frustration zurück (Wagner/Schwenken 2023). Beim Engagement für ukrainische Geflüchtete spielen zwei strukturelle Faktoren eine besondere Rolle: zum einen die Herkunft der Geflüchteten aus einem europäischen Land und zweitens, die Implikationen der europäischen ›Massenzustrom-Richtlinie‹. Mit dieser entschied sich die Europäische Union anders als 2015 – als hunderttausende Menschen sich aufgrund des Krieges in Syrien auf den Weg machten, die Grenzen der EU illegalisiert und mühsam überwinden mussten und teils zu Fuß monatelang entlang der so genannten Balkanroute unterwegs waren – für eine pragmatische und solidarische Aufnahme von Betroffenen des Krieges. Ukrainische Geflüchtete starteten ihr Leben in Deutschland unter anderen, deutlich besseren Bedingungen bei Wohnortsuche und Aufnahme von Erwerbstätigkeit. Führt diese Konstellation möglicherweise auch zu Solidarität ›erster und zweiter Klasse‹ bei denjenigen die sich engagieren?

Ein knapper Rückblick: Die ›Willkommenskultur‹ im Wandel

Die sogenannte Willkommenskultur mit ihrer Hochphase in den Jahren 2015 und 2016 ist vor allen Dingen durch drei Worte der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel im kollektiven Gedächtnis der deutschen Bevölkerung verankert: »Wir schaffen das«. Die Kämpfe und Proteste der Geflüchteten und ihrer Unterstützer_innen und vor allen Dingen der »March of Hope« vom 5. September 2015, hatten den Druck auf die Mechanismen des europäischen Migrationsregimes derart erhöht, dass das Dublin-System, einer der wichtigsten Grundpfeiler der europäischen Migrationskontrolle, faktisch außer Kraft gesetzt wurde (ZDF 2019). Deutschland machte von seinem Selbsteintrittsrecht Gebrauch und ermöglichte den legalen Grenzübertritt für syrische Geflüchtete. Das an Kapazitätsgrenzen stoßende Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und überforderte kommunale Strukturen wurden durch zivilgesellschaftliches Engagement für die Geflüchteten gestützt. Dieses bürgerschaftliche Engagement gilt in Deutschland als »Sternstunde für die Zivilgesellschaft« (Schiffauer/Eilert/Rudloff 2017: 29). Innerhalb kürzester Zeit bildeten sich fast flächendeckend zivilgesellschaftliche Initiativen, Helfer_innenkreise und Runde Tische mit Unterstützungsangeboten für geflüchtete Menschen (Gesemann/Mayer/Seidel 2019). Laut der ersten repräsentativen Studie zu ehrenamtlichem Engagement für Geflüchtete, die 2017 im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend veröffentlicht wurde, haben sich zwischen 2015 und 2017 insgesamt 55 Prozent der Bevölkerung für Geflüchtete engagiert (inklusive Geld- und Sachspenden) (BMFSFJ 2017). Die meisten Aktiven waren bei der Orientierungshilfe für Geflüchtete (66%), in Form gemeinsamer Freizeitgestaltung (58%), in der Vermittlung von Sprachkompetenzen (55%) bzw. durch Begleitung bei Behördengängen (50%) tätig (BMFSFJ 2017: 17).

Seit 2015 hat sich das Feld der ehrenamtlichen Unterstützung von Geflüchteten ausdifferenziert und gewandelt. Nicht zuletzt die Projektförderung durch Bund, Länder und Stiftungen hat über die Finanzierung dafür gesorgt, dass ein Teil der Angebote finanziert und mit bezahlter Arbeitskraft durchgeführt werden konnte (vgl. die Zusammenstellung unter: bpb 2023). Kooperationen haben sich verfestigt, Informationsflüsse laufen routinierter ab, die Verwaltung der Geflüchteten wurde formalisiert und bürokratisiert. Spontane Angebote sind weniger notwendig, Aufgaben werden von neu eingestellten hauptamtlichen Mitarbeiter_innen übernommen. Der Bereich der Integration in den Arbeitsmarkt hat an Relevanz gewonnen und das Thema der Geflüchtetenunterstützung scheint mehr zu einer Querschnittsaufgabe in verschiedenen Engagementbereichen geworden zu sein (bspw. in Sportvereinen etc.) (Simonson et al. 2021: 28). Diese Entwicklungen führen zur Konsolidierung und Professionalisierung des Engagements, teilweise aber auch zu einem Rückzug von Ehrenamtlichen (van Dyk/Boemke/Haubner 2020; vgl. Mutz/Wolff 2018).

Spätestens seit 2017 »begann die ›neue Bürgerbewegung‹ zu schrumpfen« (van den Berg/Grande/Hutter 2020: 231). Van den Berg et al. sehen als Gründe dafür weniger den Rückgang der Geflüchtetenzahlen oder die Klärung der dringendsten Versorgungsprobleme. Vielmehr seien es Schwierigkeiten und Auseinandersetzungen mit Behörden und die Überforderung der Freiwilligen, die das Engagementfeld schrumpfen ließen (vgl. ebd.). Andere sehen neben dem Rückzug der Engagierten auch eine zunehmende Politisierung des Engagementfeldes in Reaktion auf Frustrationen und das Gefühl, durch das eigene Engagement keine Änderung herbeiführen zu können (van Dyk/Boemke/Haubner 2020; vgl. Mutz/Wolff 2018). Bewegungen wie die »Seebrücke« und die Unterstützung von Seenotrettung im Mittelmeer sind Ausdruck davon. Auch für den durch Projektförderung professionalisierten Bereich ergaben sich Veränderungen, denn viele der zeitlich befristeten Projekte wurden nicht verlängert und Förderlinien liefen aus. Seit dem Frühjahr 2020 führte die Pandemie zu einem weiteren Rückgang des Engagements, da z.B. der Zugang zu Gemeinschaftsunterkünften über längere Zeit nicht möglich war und digitale Angebote etwa für Sprachkurse oder zur Hausaufgabenbetreuung nicht immer möglich waren (z.B. keine Verfügbarkeit von Laptops oder unzuverlässige Internetverbindungen). Auf Begegnung gerichtete Angebote ließen sich auch nicht zufriedenstellend durch digitale ersetzen.

Die Situation des zivilgesellschaftlichen Engagements im Themenfeld Flucht vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 stellte sich somit als konsolidiert, aber auf niedrigerem Niveau als 2015/2016 dar.

Zur Datenbasis

Im Verbundforschungsprojekt »aktivzivil«1 interessierte uns mit dem Ausgangspunkt der ›Willkommenskultur‹ 2015ff., warum Menschen aktiv werden, es bleiben, ihr Engagement abbrechen oder es verlagern. Nicht damit gerechnet hatten wir, dass wir das Wechselspiel von Re- und De-Aktivierung mit der Corona-Pandemie und dem Ukrainekrieg quasi experimentell würden beobachten können. Unser Projekt begann im Frühjahr 2020 mit Beginn der Pandemie in Europa – keine einfache Situation Interviews zu führen und Beobachtungen vor Ort zu machen. Anfangs standen gerade ältere Aktive digitalen Interviewmethoden skeptisch gegenüber. In vier Mittelstädten (in Nord-, West-, Süd- und Ostdeutschland) mit unterschiedlichen Charakteristika (bezüglich der wirtschaftlichen Situation, dem Anteil an nicht-deutscher Wohnbevölkerung und unterschiedlichem Ausmaß der Politisierung des Themas Migration und Flucht) erhoben wir zwischen Frühjahr 2020 und Herbst 2022 problemzentrierte Interviews zu den Engagementbiographien. Die Interviews fokussierten auf die Phase zwischen 2014 und 2017 sowie die dann jeweils aktuelle Situation. Als im Frühjahr 2022 der Krieg in der Ukraine ausbrach, beschlossen wir die neue Entwicklung mit aufzunehmen. Wir erhoben einige Daten bei den bereits Interviewten nach, und nahmen weitere Engagierte in das Sample mit auf. Insgesamt führten wir 58 Interviews. Sechzehn Interviews fokussieren dezidiert auf das Engagement für ukrainische Geflüchtete. Diese Interviews stehen im Zentrum des Beitrags, es werden aber alle Interviews berücksichtigt, um das Ukraine-Engagement zu kontextualisieren und besser zu verstehen.

Wir nehmen zudem Ergebnisse zweier quantitativer Befragungen des DeZIM-Instituts mit auf. Eine Befragung wurde zu privater Unterbringung von Geflüchteten aus der Ukraine als einer »neuen Plattform des Engagements« (Haller et al. 2022) durchgeführt. Und eine Schnellbefragung erhob bereits im März 2022 Reaktionen auf den Ukraine-Krieg (Mayer et al. 2022). An beiden Befragungen waren wir Autorinnen nicht beteiligt, aber das DeZIM als Verbundpartner im Forschungsprojekt »aktivzivil«.2

Engagement für ukrainische Geflüchtete in Deutschland

Schon kurz nach Beginn des Krieges in der Ukraine im Februar 2022 wurde deutlich, dass es eine große Bereitschaft zur Aufnahme und Unterstützung von Geflüchteten in Deutschland geben würde. In der Schnellbefragung des DeZIM.panels vom 14. März 2022 befürworteten 94 Prozent der Befragten die Aufnahme der Menschen aus der Ukraine. Mehr als die Hälfte konnte sich vorstellen, Geld zu spenden (69%) oder sich ehrenamtlich zu engagieren (58%). Jede vierte Person äußerte zudem die Bereitschaft, jemanden vorrübergehend zu Hause aufzunehmen (vgl. Mayer et al. 2022). Dieses allgemeine Wohlwollen gegenüber den ukrainischen Menschen belegen auch zwei spätere, repräsentative Studien zur Solidarität im Zuge des russischen Angriffs auf die Ukraine. Gemeinsam mit der Vernetzungsseite #UnterkunftUkraine führte das DeZIM eine Befragung zur privaten Unterbringung von ukrainischen Geflüchteten in Deutschland durch. 82 Prozent der dort Befragten berichteten von guten Erfahrungen mit der Beherbergung von Schutzsuchenden, 80 Prozent würden wieder Geflüchtete bei sich aufnehmen. Insgesamt haben sich auf der Plattform zwischen März und September 2022 mehr als 300.000 Menschen registriert (BMI 2022), ca. 49.000 Geflüchtete konnten darüber an private Unterkünfte vermittelt werden (vgl. Haller et al. 2022). Eine Studie des Leibnitz-Instituts für Wirtschaftsforschung in München (ifo) zeichnet ein ähnlich positives Bild: 58 Prozent der Befragten gaben dort an, ukrainische Geflüchtete müssten sofort integriert werden. Drei Viertel befürworten das Recht auf sowie die Pflicht zu staatlich finanzierten Deutschkursen. Im Unterschied zu einer ähnlichen Befragung von 2016 sehen etwa die Hälfte der Befragten in der Zuwanderung von Ukrainer_innen auch eine Möglichkeit, den Fachkräftemangel in Deutschland auszugleichen (33% in 2016) (Freundl et al. 2022).

Die Hilfsbereitschaft der Zivilbevölkerung für ukrainische Geflüchtete hat zu einem großen Aktivierungsschub im Engagementfeld geführt, der dem von 2015/16 zunächst ähnelte. Doch es sind nicht nur dieselben Engagierten, die durch den Krieg in der Ukraine reaktiviert wurden. Über die Hälfte der Befragten aus der Studie zur privaten Unterbringung gab an, zum ersten Mal im Bereich Flucht und Asyl engagiert zu sein (vgl. Haller et al. 2022). Auch viele unserer Interviewpartner_innen und Kontaktpersonen aus länger bestehenden Organisationen und Netzwerken berichten von einer Welle der Neuaktivierung von Engagierten. Im Folgenden werfen wir einen Blick auf diese neuen Engagierten und ihre Beweggründe.

Motive der neuen Engagierten

Der Wunsch zu helfen (61%) und die Freude, die das Engagement bringt (58%) waren laut der oben erwähnten Allensbach-Studie für die Engagierten im Bereich der Geflüchtetenunterstützung zwischen 2015 und 2017 die wichtigsten Beweggründe (BMFSFJ 2017: 26). In der quantitativen, aber nicht repräsentativen EFA-II-Studie zu Strukturen und Motiven der ehrenamtlichen Unterstützung von 2016, gaben über 90 Prozent der Befragten an, ein »Zeichen gegen Rassismus« setzen zu wollen (Karakayalı/Kleist 2016: 33). Die Aktivierung zur Zeit der ›Willkommenskultur‹ war demnach vor allem geprägt von einem pragmatischen Humanismus der Engagierten bei gleichzeitigem Interesse an gesellschaftlicher Mitgestaltung.

Von ähnlichen Motiven berichten auch die 16 Interviewpartner_innen, die wir spezifisch zu ihrem Engagement für ukrainische Geflüchtete befragt haben und von denen ein Großteil zur Gruppe der im Frühjahr 2022 Neuaktivierten gehört. Für sie ist es »der verrückte Gedanke, die Welt ein kleines bisschen besser zu machen«, mit »anderen Traditionen und anderen Menschen« zusammenzukommen sowie Empathie und »Menschlichkeit«. Gleichzeitig betonen auch sie, dass es »einfach auch Spaß« macht und dass es sich um ein »sinnvolles Hobby« handele.

Neben diesen eher klassischen Motiven hat sich gezeigt, dass die räumliche Nähe des Krieges und die Angst, selbst betroffen sein zu können, viele von ihnen bewegt hat. So berichtet beispielsweise ein Engagierter aus Stadt C: »Also […] bei Syrien hatte ich das tatsächlich noch nicht so auf dem Schirm, das war sehr weit weg«. Auch eine Engagierte aus Stadt A, die eine ukrainische Familie bei sich aufgenommen hat, stellt rückblickend fest: »Ja, irgendwie 2015/16 war, irgendwie kam das nicht so an mich heran«. Das hier beschriebene Gefühl der Betroffenheit der Engagierten belegt auch die Schnellbefragung des DeZIM.panels. Die Mehrheit der Befragten gab darin an, in der ersten Woche nach Kriegsbeginn in »höherem Maße« besorgt (83%) oder verärgert (75%) gewesen zu sein. Mehr als ein Fünftel fühlte sich hoffnungslos, etwas weniger sogar panisch (Mayer u a. 2022). So ging es auch einer Person aus Stadt B, für die das Engagement in gewissem Maße ein Mittel gegen die Ohnmacht wurde, die sie im Angesicht des Krieges spürte.

»Als der Krieg ausgebrochen ist bin ich morgens wach geworden. […] Und habe dann gesehen die Ukraine wurde angegriffen. […] und habe gedacht ›ich wird‘ nicht mehr‹. […] Ich fühlte mich richtig schlecht. Also es ging dann auch so weit, dass, ich war richtig besessen von dem Thema. Musste zum Arzt gehen, weil ich Panikattacken gekriegt habe. […] Und dann habe ich gesagt, ›nee, also, wenn das hier bei uns irgendwie ausbrechen sollte, wer hilft uns? Und wir helfen jetzt‹. Und dann habe ich mit meinem Mann gesprochen. Und der sagte ›wir helfen, wo wir können. Das machen wir‹. Wir haben unser Wohnzimmer leergeräumt. […] Und haben am 7. März fünf Flüchtlinge aufgenommen«.

Der Krieg in der Ukraine wird immer wieder als ein Angriff auf ganz Europa und die globale Sicherheitsarchitektur dargestellt. Die Gefahr eines Atomkrieges war seit Ende des Kalten Krieges nicht mehr so real gewesen wie 2022. Einige der Engagierten wandeln ihre Angst vor der Bedrohung in Solidarität mit den schon jetzt akut Betroffenen. Das Gefühl der Betroffenheit bezieht sich darüber hinaus auch auf eine empfundene »kulturelle Nähe« - »dass man sich auch vom Kulturkreis her irgendwie eher ähnelt« (Engagierte aus Stadt A) – die für einige ein Grund waren, sich für die geflüchteten Ukrainer_innen einzusetzen.

Doch was ist mit ›kulturelle Nähe‹ gemeint? Einiges deutet darauf hin, dass damit weniger Sprache, Feste oder Religion gemeint sind, sondern, dass es im Unterschied zu 2015/16 weiße Europäer_innen sind, die zu Flüchtenden wurden. Die mediale Darstellung des Krieges als Angriff auf ›uns alle‹ und der politische Umgang mit aus der Ukraine geflüchteten Drittstaatsangehörigen (z.B. Studierenden aus afrikanischen Staaten), die nicht unter die erleichterten Regelungen für Ukrainer_innen fallen, führte nicht nur zu einer großen Welle der Solidarisierung, sondern zugleich auch zu einem Ausschluss all jener, die nicht zu ›uns‹ gehören. So wird in den Interviews immer wieder auch Bezug auf die ›anderen‹ Geflüchteten genommen, die seit 2015/16 nach Deutschland kommen. Ein Engagierter aus Stadt D stellt fest: »Gerade Syrer und so weiter und das habe ich auch, und verstehe das bis zum heutigen Zeitpunkt eigentlich nicht und muss auch dazu sagen, dass ich eben eine gewisse Distanz habe«. Im Unterschied zu den Ukrainer_innen scheinen ihm Menschen aus Syrien fremd, er kann sich seine eigene Distanziertheit nicht einmal selbst erklären. Eine andere Engagierte, die in einer Unterkunft für ukrainische Geflüchtete aktiv ist spricht direkt den Faktor Hautfarbe an: »die Hautfarbe macht einen Unterschied, das hört sich blöd an […]. Was 2015/16 nochmal herausfordernder gemacht hat, würde ich einfach so behaupten, im Nachhinein.« Die kulturalistisch-rassistische Perspektive wird nicht von allen in der Unterstützung von Ukrainer_innen Aktiven geteilt, sondern auch dezidiert abgelehnt. Auch bildeten sich in einigen Orten Initiativen, die sich spezifisch um die Bedarfe dieser Gruppe kümmerten bzw. in der sich BIPoC-Geflüchtete aus der Ukraine zusammenschlossen (z.B. BIPoC Ukraine & friends in Germany).

Mehr Unterstützung für Frauen und Kinder auf der Flucht?

Eine weitere, häufig angebrachte Erklärung für die große Zahl der neu im Bereich Engagierten, liegt in der Zusammensetzung der Gruppe der Geflüchteten. Die Tatsache, dass es sich bei einem Großteil der Menschen aus der Ukraine um Frauen und Kinder sowie ältere Menschen handelt, könnte den Zugang zum Engagement erleichtert haben (vgl. BMI 2022). Rückblickend auf 2015/16 stellt eine Engagierte fest:

»Und es waren nun einmal hauptsächlich Männer, die geflohen sind. Aus gutem Grund, gutem Grund. Wer weiß, was mit Frauen und Kindern auf der Reise passiert wäre? Und es ist ja leider auch passiert. Aber jetzt sind es Frauen und Kinder. Und es hat mich ganz anders mitgenommen«.

Ähnlich berührt zeigt sich auch eine andere Engagierte: »Also gerade als Mutter glaube ich, wenn man sich vorstellt, man muss jetzt mit den Kindern in ein fremdes Land, spricht die Sprache nicht… es war mir einfach ein menschliches Bedürfnis irgendwie zu helfen«. Für die beiden Frauen ist klar, dass sie sich mit Frauen und Kindern in Not leichter solidarisch zeigen können und wollen, weil sie auf ihre eigenen Erfahrungen als Mütter blicken und eine besondere Schutzbedürftigkeit sehen. Daran anschließend liegt auch die Vermutung nahe, dass die schnell und flächendeckend gewachsene Bereitschaft, Menschen privat zu Hause unterzubringen, damit zusammenhängen könnte. Eine Engagierte berichtet: »Ja gut, 2015/16 war ich alleinerziehende Mutter mit zwei kleinen Kindern. Da hätte ich mir nie im Leben Männer ins Haus geholt«. Aus der Zusammensetzung der Gruppe der Geflüchteten ergaben sich auch andere Bedarfe an die Unterstützer_innen (z.B. bezüglich Kinderbetreuung, Versorgung mit Schulmaterialien), was wiederum zu einer Aktivierung neuer Engagierter geführt haben kann.

Die Perspektiven der Engagierten müssen erstens im Kontext der aktuellen Migrationsbewegungen und den politischen Rahmenbedingungen betrachtet werden. Aufgrund der geographischen Nähe der Ukraine zu Deutschland und anderen EU-Staaten und der Möglichkeit der visumsfreien Einreise in die EU, war die Flucht für viele Menschen vergleichsweise sicherer und günstiger als die Flucht vor dem Krieg in Syrien. Zweitens ist zu berücksichtigen, dass die Phase 2015/2016 durch eine geschlechterpolarisierende öffentliche Debatte gekennzeichnet war. Bereits vor den Übergriffen auf Frauen in der Silvesternacht 2015/16 wurde seit dem Herbst 2015 vor den potenziell ›gefährlichen, jungen allreinreisenden‹ Geflüchteten in Medien und Politik mobilisiert (Neuhauser/Hess/Schwenken 2016; Grittmann/Müller 2023). Die Zuspitzung durch die Silvesterereignisse bestätigte einen in Teilen der Gesellschaft vorhandenen »Ethnosexismus« (Dietze 2016), also eine Form von Sexismus, der sich auf als ethnisch ›anders‹ markierte Männer bezieht. Die sexualisierten Übergriffe in Köln und anderen Orten wurden im Diskurs verallgemeinert und es entstand die Sozialfigur des ›sexuell übergriffigen muslimischen Geflüchteten‹ (Dietze 2016). In der Folge wurde medial kontrovers diskutiert, ob und inwiefern diese Sozialfigur existiere. Und immer wenn junge, männliche Geflüchtete gewalttätig und sexuell übergriffig wurden, war die öffentliche Reaktion von größerer Empörung und Rassismus bestimmt als bei weißen Tätern. Gabriele Dietze sieht darin im Anschluss an Michel Foucault (Foucault 1978) das Wirken von Wahrheitseffekten. Auch rückwirkend konnte mit dem Ereignis ›Köln‹ plausibilisiert werden, warum bestimmte Geflüchtete nicht integrierbar und potenziell gefährlich seien (Hark/Villa 2017: 10).

Bei der Frage, ob man ukrainische Geflüchtete unterstützt oder gar privat unterbringt bedurfte es keiner Reaktivierung des gegen männliche Geflüchtete gerichteten Ressentiments, denn es kamen Mütter, Kinder und Ältere. Das bedeutet jedoch nicht, wie wir weiter unten zeigen, dass die aktuelle Situation, auch im Binnenverhältnis der Engagierten, frei von hierarchisierenden Differenzdiskursen ist.

Die Rolle russischsprachiger Diasporastrukturen

Anders als in 2015/16 spielen Diasporastrukturen ukrainisch- und russischsprachiger Menschen in Deutschland eine wichtige Rolle in der Unterstützungsarbeit für die aus der Ukraine Geflüchteten (vgl. Aivazishvili-Ghene/Jasina-Schäfer/Panagiotidis 2022). Aufgrund ihrer eigenen oder familiären Migrationsgeschichte hat der Krieg direkte Auswirkungen auf ihr Leben. In der Schnellbefragung des DeZIM.panels geben ca. 40 Prozent der Befragten »aus der ehemaligen UdSSR, aus anderen mittel- und osteuropäischen Ländern und aus Russland« an, Verwandte, Bekannte, Freund_innen oder Arbeitskolleg_innen in der Ukraine zu haben, in Russland ca. 50 Prozent (im Gegensatz zu knapp 20 % bzw. 30 % der Bevölkerung ohne Migrationsgeschichte). Circa ein Drittel von ihnen hat Kontakte sowohl nach Russland, als auch in die Ukraine. Sie sehen sich in einer »emotional besonders belastenden Situation« (Mayer et al. 2022). Die Schnellbefragung belegt zudem eine hohe Engagementbereitschaft dieser Personengruppe. Davon berichten auch einige unserer Interviewpartner_innen: »waren das Leute, die auch aus der Ukraine oder aus Russland waren, oder vielleicht auch aus Kasachstan, die die Sprache sprachen, die hier persönlich auch mittrauerten um ihre, um das, was da passiert, weil sie noch näher dran waren.« Die ehrenamtlich Tätige erzählt von einer Bekannten, die das Gefühl hatte, »weil sie Russin ist, dass sie so schrecklich fand, was da passiert ist, und da quasi versucht hat, das wieder gut zu machen, indem sie Tag und Nacht zu den Heimen fährt und da Sachen hinbringt und so, neben ihrem Vollzeitjob«. Auch ein Engagierter aus Stadt D betont die Hilfsbereitschaft der »Damen, die bei uns dann noch sind, die Ukrainisch oder Russisch können«. Zudem wurden auch in Vereinen vermehrt russischsprachige Mitarbeiter_innen eingestellt, wie zwei weitere Engagierte berichten. Die Bedeutung der Mehrsprachigkeit einiger Engagierter betont auch eine ukrainische Geflüchtete, die im Frühjahr mit vier Kindern nach Deutschland gekommen war und sich selbst für andere Ukrainer_innen engagiert:

»Die Menschen waren so gut und so lieb und haben uns so unterstützt. Also die haben uns Kleidung, Essen, also die haben alles für uns getan. Und deswegen, seit den ersten Tagen als ich hier war, habe ich gesehen, dass andere Menschen nicht so ein Glück gehabt haben wie ich. Und, ja Geld habe ich nicht. Kleidung? Ich habe zwei Unterhosen mitgenommen aus der Ukraine. […] Was habe ich? Ja, ich habe die Sprache. Ich kann helfen mit Sprache und das hat mich motiviert.«

Wir haben in den letzten drei Abschnitten nach Erklärungen für das neue Engagement im Bereich der Unterstützung Geflüchteter nach dem russischen Angriff auf die Ukraine gesucht. Darunter sind erstens klassische Motivationen für Engagement (Empathie, Zufriedenheit durch Helfen, der Hilflosigkeit entgegenwirken), aber zweitens auch einige Spezifika, die sich aus der Kriegssituation in Europa ergeben (Angst vor einer Ausweitung des Krieges, gefühlte Nähe) bzw. der personellen Konstellation (›Frauen und Kindern‹ helfen, Verwandtschaft die in der Ukraine lebt o.ä.). Insbesondere bemerkenswert ist die starke Aktivierung der ukrainisch- und russischsprachigen Bevölkerung in Deutschland.

Neue Formen des Engagements

In einem nächsten Schritt betrachten wir Tätigkeiten der Freiwilligen, denn auch hier gibt es Aktivitäten, die sich von denen in der Zeit der ›Willkommenskultur‹ abheben. Dazu zählen insbesondere die private Unterbringung von Ukrainer_innen und der Transport von Spenden direkt in die Ukraine.

Private Unterbringung

Eine nicht gänzlich, aber in ihrem Ausmaß neue Engagementform stellt die private Unterbringung von Geflüchteten dar. Alleine über die zivilgesellschaftliche digitale Plattform #UnterkunftUkraine wurden im Zeitraum von März bis September 2022 knapp 50.000 Personen vermittelt bzw. untergebracht (Haller et al. 2022). Das Bundesministerium des Innern und airbnb.org verkündeten bereits am 10. März 2022 die Kooperation mit #UnterkunftUkraine (BMI 2022) – ein Hinweis darauf, wie dankbar vom Staat die zivilgesellschaftliche Organisationsfähigkeit und Bereitstellung von Unterkünften aufgenommen wurde. Vielerorts waren aus der vorangegangenen Fluchtzuwanderung nicht die Lehre gezogen worden, schnell große Zahlen von Unterkünften bereitstellen zu können.

Die bereits erwähnte Studie des DeZIM von Juni/Juli 2022 mit 3.241 Personen, die aus der Ukraine Geflüchtete privat bei sich unterbrachten, hat ergeben, dass die meisten eine positive Bilanz ziehen (vgl. Haller et al. 2022). Das Profil der Unterkunftgebenden ist ähnlich wie bei anderen Ehrenamtlichen im Bereich der Geflüchtetenunterstützung: überwiegend sehr gut ausgebildet, zu großen Teilen Frauen mittleren Alters; hinzukommt, dass die meisten ausreichend Platz zur Verfügung haben oder sich Lebensumstände wie der Auszug von Kindern ergeben haben, in denen ein Zimmer frei wurde (ebd., S. 14-19). Als Motivation gaben die meisten Befragten an, »handfeste« Hilfe leisten zu wollen und damit über Sach- oder Geldspenden hinauszugehen (ebd., S. 20). 80 Prozent von ihnen würden wieder Geflüchtete aufnehmen, auch Personen aus anderen Krisengebieten oder in anderen Notsituationen (ebd., S. 34). Die Studie des DeZIM kommt zu dem Schluss, dass private Unterbringung »das Potenzial zu haben [scheint], sich als neue Form des Engagements für Geflüchtete zu etablieren« (ebd., S. 11, eig. Übersetzung). Die Befragung der Unterkunftgebenden bringt auch Bedarfe und Unsicherheiten zur Sprache: Frustrationen zeigten sich vor allen Dingen aufgrund bürokratischer Hürden, aber auch den entstehenden Kosten für bspw. Lebensmittel, die teilweise allein von den Unterkunftsgebenden getragen wurden. Die Engagierten äußerten den Bedarf an informeller Unterstützung z.B. in Form von Orten des Austauschs, als auch die Bereitstellung finanzieller Mittel und Hilfe bei der künftigen Wohnungssuche (ebd., S. 27-30). Es wurde für künftige Unterbringungssituationen auch eine Checkliste für beide Parteien angeregt, um beiderseitig Erwartungen zu klären und Aspekte des Zusammenlebens festzuhalten.

Auch eine unserer Interviewpartner_innen berichtet von Herausforderungen im Bereich der privaten Unterbringung. Sie habe Unterstützung für die Unterbringung der Geflüchteten beantragt, die sie zu einem Großteil bei deren Auszug habe zurückzahlen müssen. »Ist ja auch alles schön und gut, aber jetzt werden ihre Leistungen bei uns mit angerechnet, so dass uns jetzt so viele Gelder fehlen, dass wir noch nicht einmal mehr unsere Gasrechnung monatlich zahlen können«, berichtet sie. Sie fühle sich »im Stich gelassen«, weil sie geholfen habe und findet das »absolut nicht richtig«. Neben den Herausforderungen mit bürokratischen Hürden, sehen sich die Beherbergenden häufig auch mit anderen Fragen der Unterstützung konfrontiert, decken sie doch häufig gleichzeitig auch die Bedarfe ab, die seit 2015/16 von ehrenamtlichen Initiativen, Unterstützer_innenkreisen und Runden Tischen bedient wurden. Eine Engagierte berichtet, »das Helferkreisthema« habe sich in ihrer Stadt »für die Familien, die privat aufgenommen [wurden] gar nicht so gestellt«. Sie seien gut vernetzt und unterstützten sich gegenseitig. Ein Engagierter aus Stadt D erzählte, er habe für die Familie in seiner Einliegerwohnung »alle Unterstützung, die so notwendig war« angeboten. Das reiche von der Orientierung in der Stadt bis hin zu Begleitung zu Ärzt_innen und Behörden. Eine Engagierte aus Stadt A war überrascht, dass auch sie in so vielen Bereichen aktiv wurde, nachdem sie eine Familie bei sich aufgenommen hatte: »Das habe ich am Anfang wirklich, wirklich nicht gewusst, was da alles dann doch noch so dahintersteckt«. Sie betonte neben der alltäglichen Unterstützung und Begleitung auch ihre Rolle als allgemein erste Ansprechperson in allen Belangen. Aus der eher wirtschaftlichen Beziehung zwischen Vermieterin und Mieterin hatte sich in ihrem Fall schnell eine Art »Familienpatenschaft« entwickelt. Mit dieser sehr persönlichen Form der Begegnung und Begleitung und den daraus entstehenden Einblicken in die Lebenswelten der jeweils anderen, können gesellschaftliche Teilhabeforderungen der Geflüchteten durch die Allianz mit den Engagierten platziert und verstärkt werden.

Unserer Einschätzung nach wird sich diese Engagementform jedoch nicht dauerhaft etablieren, da sie insbesondere den Rahmenbedingungen geschuldet war gemäß derer die Unterbringung in Erstaufnahmeeinrichtungen nicht zwingend war und in einer gesellschaftlichen Ausnahmesituation geschah, in der der Krieg in der Ukraine sich für viele besonders nah anfühlte.

Spendensammlungen und Hilfstransporte in die Ukraine

Im Vergleich zu 2015/16 haben sich zahlreiche Initiativen für Spendensammlungen und Hilfstransporte in die Herkunftsregion der Geflüchteten, hier die Ukraine bzw. die polnisch-ukrainische Grenzregion, zusammengefunden. Ein Interviewpartner aus Stadt D hat gemeinsam mit ein paar anderen Aktiven einen regionalen Verbund zur »Ukrainehilfe« gegründet. Er berichtet:

»Also tatsächlich war das relativ spontan und schnell. […] Ich hatte nicht die finanziellen Möglichkeiten großartig Spendengelder zu schicken, habe aber bei uns im Ort Spendenaufrufe über Facebook gesehen, habe die daraufhin angeschrieben, was sie denn brauchen, wo sie denn hinfahren, was auch immer. Und dann kam raus, dass am nächsten Tag eben einer von denen fährt, dass ich mich mit ihm in Verbindung setzen soll. […] Also es war binnen 24 Stunden entschieden, dass wir fahren.«

Nach dieser ersten, eher »explorativen« Fahrt unseres Interviewpartners nach Polen entwickelten sich schnell Kontakte zu einer Unterkunft für Geflüchtete in der Ukraine, mit der die Gruppe nun kooperiert und die sie im Wochen- oder Zweiwochentakt besucht und mit Gütern beliefert. Mittlerweile laufe die Initiative »mit System«, wurde »auf einmal professioneller« betont er. Wichtig sei von Anfang an auch die Kooperation mit lokalen Akteur_innen in Deutschland, wie Bürgermeister_innen, Landrät_innen, Helfer_innenkreisen oder Unternehmer_innen gewesen. »Wir haben unsere Finger überall«, resümiert er. Mittlerweile transportierten sie auch militärische Schutzausrüstung wie »Aufklärungsdrohnen, Schutzwesten, Helme«, oder auch medizinische Produkte: »Und wir reden nicht von Ibuprofen, wir reden von verschreibungspflichtigen Beruhigungsmitteln, Antibiotikum und starkem Zeug im Wert von 35.000 Euro, mit Papieren, dass wir sie auch transportieren dürfen«, berichtet er. Für die Gruppe sei von Anfang an klar gewesen: »Wir fahren niemals leer«, betont unser Interviewpartner beim Interview, das wir im Juni 2022 führten.

»Also die sagen uns, oder unser Kontakt sagt uns, pass auf, ich bräuchte, also am Samstag habe ich 28 Anmeldungen. Und er sagt uns auch genau Mutter so alt, mit Kind so alt und Hund oder Katze oder was auch immer, also wir wissen die genaue Auflistung, wer wo was zusammen. Und wissen das meistens schon drei vier fünf Tage vorher, dass wir das auch bei uns mit dem Amt klären können. Und daraufhin entscheiden wir natürlich auch, wie viele Autos wir schicken müssen«.

Initiativen wie diese gelten weithin als »noble Unterfangen« (Badische Neueste Nachrichten 2.7.2022). Dennoch bedarf es einer kritischen Einordnung: Hilfsorganisationen wie das Deutsche Rote Kreuz oder das Technische Hilfswerk haben vermehrt auf die Gefahren eines »Tourismus der Hilfswilligen« (SWR aktuell 2.3.2022) hingewiesen. Auch die Bundesregierung betrachtete die Entwicklungen kritisch: »Fahren Sie nicht in die Ukraine!«, hieß es zeitweise auf der Homepage des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (Tagesschau 8.3.2022). Gerade private und meist spontane Hilfslieferungen laufen Gefahr, koordinierte Hilfsmaßnahmen zu stören, Bedarfe falsch einzuschätzen (bspw. Sammlung von gebrauchter Kleidung) oder instrumentalisiert zu werden.

Aufgrund der geografische Nähe der Ukraine war es im Frühjahr 2022 naheliegend, dass sich private Hilfs- und Spendenlieferungen auf den Weg machten. Das lässt vermuten, dass es sich nicht um ein Tätigkeitsfeld handelt, das sich in der Geflüchtetenunterstützung etablieren wird.

Alte und neue Herausforderungen im Engagement

Mit der Ankunft geflüchteter Menschen aus der Ukraine in Deutschland haben sich nicht nur die Zusammensetzung der Engagierten und ihre Tätigkeitsfelder gewandelt, die Unterstützungsstrukturen sehen sich auch mit neuen Herausforderungen im Engagement konfrontiert. Die neuen politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen im Zusammenhang mit der ›Massenzustrom-Richtlinie‹, die die pragmatische und schnelle Aufnahme der Geflüchteten ermöglicht hatte, führen mitunter zu einer kritischen Thematisierung von rassistischen Strukturen und Debatten um die Ausrichtung der ehrenamtlichen Unterstützungsarbeit.

Übernahme staatlicher Aufgaben, Frust und Überlastung: Lernen von 2015/16?

Viele der frisch Engagierten sprechen von persönlicher Überlastung und Überforderung, dem Gefühl, staatliche Aufgaben übernehmen zu müssen und Auseinandersetzungen mit Behörden und der Bürokratie. Beispielsweise erklärte eine Engagierte aus Stadt B: »Es wurde halt zu viel. Wenn man nachts um zwei schon Anrufe bekommt […]. Es ist, ja, es hing alles an uns, an den Ehrenamtlichen […]. Man, es war halt mehr als ein Fulltime-Job«. Auch eine andere Freiwillige spricht von massiver Überlastung, die sie letztendlich dazu gebracht hat, das Engagement zu reduzieren: »Nach eineinhalb Monaten habe ich das einfach geschmissen, weil ich konnte nicht mehr«. Die Bürokratie Deutschlands beschreibt eine Engagierte als »zermürbend«. »Also die Bürokratie, die in Deutschland dahintersteckt, da wurde glaube ich von 2015/16 überhaupt nichts gelernt«, findet eine andere Ehrenamtliche. Auch die Auseinandersetzung mit Behörden empfindet sie als herausfordernd: »Also Einwohnermeldeamt war eigentlich noch das geringste Übel. Aber Sozialamt, von da das Geld gekriegt, jetzt dann rüber zum Jobcenter. Und Ausländerbehörde, und Fiktionsbescheinigung«.

Diese und weitere Herausforderungen hängen dabei nicht genuin mit der Aktivierung des Engagements im Zuge des Krieges in der Ukraine zusammen, von ihnen berichten Ehrenamtliche schon lange. Sie sind seit Jahren in aktivistischen, politischen und medialen Sphären in der Diskussion. Nach einem vorwiegend euphorischen öffentlichen und wissenschaftlichen Diskurs zur so genannten Willkommenskultur entstanden seit 2016 vermehrt auch kritische Analysen, die etwa die Überlastung der Engagierten, die staatliche Indienstnahme unbezahlter Arbeit oder Tendenzen der Reproduktion von gesellschaftlichen Ausschlüssen im Ehrenamt thematisierten (van Dyk/Boemke/Haubner 2020; van Dyk/Misbach 2016; Graf 2016; Karakayali 2018; Steinhilper/Fleischmann 2016; Tietje 2020). Auch Tendenzen der De-Professionalisierung aufgrund des Einsatzes unqualifizierter Personen, die Deutschunterricht organisierten, ehrenamtlich Rechtsberatung anbieten oder »faktisch sozialpädagogisch tätig werden« (van Dyk/Boemke/Haubner 2020: 138) wurden betrachtet.

Die Frustrationen von Ehrenamtlichen und die negativen Implikationen von einigen Praxen des Engagements ist also nicht neu. Dennoch hat es im Vergleich zu 2015/16 einige Verbesserungen gegeben, die jedoch lokal sehr unterschiedlich ausfallen. Ein langjähriger Engagierter aus Stadt C sieht klare Verbesserungen im Vergleich zu 2015:

»Ich würde ja jetzt sagen wollen, die deutsche Politik hat davon gelernt, oder auch die Städte haben davon gelernt, die sind organisierter, strukturierter. Sind sie tatsächlich, also so wie unser Bürgermeister sofort einen Krisenmodus gestartet hat und sofort versucht hat, Unterbringung zu suchen, bin ich der Meinung, ja, wir sind viel besser aufgestellt als 2015«.

Auch ein seit den 1990er Jahren Engagierter aus Stadt D berichtet, dass das Engagement in 2022 »was ganz Anderes« ist, alleine, weil der Aufenthalt der Menschen gesichert ist und keine Abschiebung drohe. Jetzt seien Haustiere, Führerscheine und der Zugang zum Arbeitsmarkt die brennendsten Fragen, mit denen sich Geflüchtete an ihn wendeten. Den Zugang zu Engagement sieht er erleichtert durch die veränderte rechtliche Stellung der Geflüchteten im Vergleich zu 2015/16. Die Engagierten, die bereits damals und auch davor schon aktiv waren zeichnen ein optimistischeres Bild, als die neuen Ehrenamtlichen, die die aktuellen Herausforderungen nicht mit der Situation von vor sieben Jahren vergleichen können und auf individueller Ebene oftmals (noch) keine Strategien zur Stressbewältigung, Abgrenzung und Austausch mit anderen (als Faktoren, die einem Engagementabbruch entgegenwirken, vgl. Wagner/Schwenken 2023 i.E.) gefunden haben.

Auf lokaler Ebene trug dazu bei, ob sich gute Beziehungen zur lokalen öffentlichen Verwaltung und Vernetzung mit anderen (Wohlfahrts-)Organisationen etabliert hatten, wie schnell und professionell auf die neuen Fluchtbewegungen vor Ort reagiert werden konnte (Wagner et al. 2023). Vielerorts entstanden Netzwerke und private Grüppchen der ›Ukrainehilfe‹ ohne Kontakt zu bestehenden Initiativen, teils wussten sie nicht einmal von deren Existenz und konnten entsprechend nicht an die Erfahrungen aus 2015ff. anknüpfen. Die neuen Aktiven treten selbstbewusst auf und übernehmen Verantwortung in einem Bereich, der noch vor 2014 ein Randphänomen und vor allem von linkspolitischen und kirchlichen Gruppen geprägt gewesen war (vgl. Koester 2015; Steinhilper/Fleischmann 2016).

Ungleiche Behandlung von Geflüchteten und Rassismus im Engagement

Und dennoch beobachten die Engagierten, die seit mehreren Jahren oder Jahrzehnten aktiv sind, nicht nur eine Verbesserung der Situation; vielmehr thematisieren sie auch eine neue Herausforderung im Engagement: Eine als rassistisch charakterisierte Ungleichbehandlung verschiedener Gruppen von Geflüchteten in Politik und Gesellschaft. So dürften »auf einmal die Ukrainerinnen jetzt hier über Monate umsonst Zug fahren […], obwohl sie dieselben Sozialleistungen kriegen wie jetzt der Afghane oder so«. Sie vergleichen, dass die vor den Ukrainier_innen gekommenen Geflüchteten »im Zelt gewohnt haben im Winter. Waren froh, wenn sie überhaupt was hatten und jetzt diesmal, gibt es […] Museumsführungen auf Ukrainisch«. Und sie ordnen kritisch ein, dass Vermieter_innen sagen: »Nee, wir wollen echte Ukrainer, wir wollen keine Armenier. Gucken Sie sich doch bitte mal die Leute an, das sieht man denen doch im Gesicht an«. Ein Engagierter aus Stadt C sieht in der Ungleichbehandlung der Geflüchteten ein »Riesenkonfliktpotential«, andere skandalisieren die Situation unter dem Begriff der »Zweiklassen-Flüchtlinge«, der »Zweiklassen-Flüchtlingsstruktur« oder einer »Doppelmoral« der deutschen Politik. Eine Engagierte erklärt, dass andere Geflüchtete »da so für kämpfen mussten […] und unter Schwierigkeiten, was weiß ich, ihren Aufenthalt, Arbeitserlaubnis bekommen, und dass das bei den ukrainischen Flüchtlingen alles so problemlos vor sich geht«. Während seiner Tätigkeit als Lehrer in einer Schule sei ein anderer Freiwilliger von syrischen Kindern gefragt worden: »Warum wurden wir nie so gern angenommen?«. Als Reaktion auf ihre Beobachtungen positionieren sich viele der schon lange Engagierten politisch und praktisch auf der Seite der benachteiligten Geflüchteten. So berichtet beispielsweise ein Engagierter aus Stadt D: »Das ist ein deutliches Zeichen von den alten, verdienten Asylhelfern, die sagen: ›Ich bleibe jetzt hier bei den Afghanen‹.« Auch andere Engagierte wollen durch ihre Arbeit die ›Vorrechte‹ die sich aus der rechtlichen Stellung der Ukrainer_innen im Vergleich zu anderen Geflüchteten ergeben, die Ungleichbehandlung nicht noch weiter vorantreiben und arbeiten an inklusiven Projekten oder stellen sich an die Seite der benachteiligten Personen.

Mitunter lösten die beobachteten Ungleichbehandlungen auch Frust aus und führten zu Auseinandersetzungen innerhalb der Unterstützungsstrukturen. Dass in einem Unterstützungskreis etwa der Vorschlag gemacht wurde, eine extra What‘s App-Gruppe für die Unterstützung der Ukrainer_innen zu eröffnen, verärgerte unsere Interviewpartnerin: »Wo ich sag, nein, wir machen, wir haben eine WhatsApp-Gruppe. Das ist ein Willkommenscafé und die Nationalität spielt da keine Rolle. Also das ist, es ist einfach schade«.

Deutlich wird, dass durch die Aktivierung der ›Massenzustrom-Richtlinie‹ eine Ungleichbehandlung von Geflüchteten in Deutschland entstanden ist, die nicht zuletzt auch die ehrenamtlich tätigen Unterstützer_innen in konflikthafte Situationen bringen und die Zusammenarbeit der alten und neuen Generation Aktiver erschweren. Ein Engagierter aus unserem Sample blickt selbstkritisch auf seine Neu-Aktivierung:

»Das ruft sich dann doch immer wieder ins Gewissen, wie sehr man als Mensch eigentlich unterscheidet, unbewusst obwohl man das gar nicht möchte, dass man da einfach tatsächlich ein bisschen offener und reflektierter ist. Also mir geht‘s zumindest so. Klar dann gibt‘s wieder dieses, ›damals waren es hauptsächlich Männer, jetzt sind es Frauen, die waren hellhäutiger‹. Alles Bullshit, das sind alles Leute, die Hilfe brauchen. Nur hat man das damals nicht so wahrgenommen wie jetzt.«

Auch eine andere Engagierte berichtet: »Und mittlerweile bereue ich es, dass ich damals irgendwie nicht geholfen habe. So wie jetzt. Das war, es war, es waren für mich, es war anders. Es war, ja weiß ich nicht. Anders.«

Zu Rassismus und Reproduktion von gesellschaftlichen Ausschlüssen im Engagementfeld Flucht und Asyl liegen wissenschaftliche Analysen vor (van Dyk/Boemke/ Haubner 2020; Schwiertz/Ratfisch 2015; Sperling 2022; Steinhilper/Fleischmann 2016). So zeichnet Simon Sperling (Sperling 2022) nach, dass Engagierte sich häufiger für jene Geflüchteten engagieren, die eine bessere ›Bleibeperspektive‹ haben. Die unbestimmte rechtliche Kategorie der Bleibeperspektive wurde zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung (ebd.: 7-8). Diese Kategorisierung von Hilfebedürftigkeit führt häufig zu einer Reproduktion gesellschaftlicher Ausschlüsse und zu einer Ausblendung der Komplexität der Fluchtursachen (vgl. Steinhilper/ Fleischmann 2016: 65). Als problematisch wird auch die Abwertung der eigenen Handlungsfähigkeit der Geflüchteten durch die Engagierten eingeordnet, die zu einer »Aufwertung des Eigenen« (ebd.: 66) führen kann. So sei 2015/16 eine »deutsche Helferkultur« inszeniert worden, die »fragwürdige Nationalismen« reproduzierte (ebd.). »Während weiterhin tagtäglich Geflüchtetenunterkünfte angegriffen und angezündet wurden, wurde es so möglich, Deutschland als großzügige und weltoffene Nation oder gar als neue europäische moralische Instanz darzustellen«, so Schwiertz und Ratfisch (2015). Interessant ist, dass durch die Aktivierung der ›Massenzustrom-Richtlinie‹ eine rassistische Unterscheidung der Geflüchteten und ihrer Hilfsbedürftigkeit hergestellt wurde, die von den Engagierten erkannt und kritisch diskutiert wird, und gleichzeitig eine Diskussion um Rassismus im Engagement angestoßen werden konnte, die schon seit vielen Jahren von Geflüchteten in Deutschland gefordert wird (van Dyk/Boemke/Haubner 2020: 140). Sie weisen auf die Gefahr hin, dass durch die »Kultur des Helfens oftmals koloniale Muster der Überlegenheit reproduziert« (ebd.) werden. Deutlich wird dies auch in den Diskussionen um die Schutzbedürftigkeit nicht-weißer Menschen, die wegen des Krieges aus der Ukraine fliehen mussten, die wissenschaftlich und medial vielfach aufgegriffen wurden (Akcit 2022; Azimipour 2022; al-Haj Saleh 2022). Für Al-Haj Saleh (2022) ist klar, dass diese Debatten um »richtige« und »echte« Geflüchtete »weniger als Willkommensgeste gegenüber den ukrainischen Flüchtlingen zu verstehen« ist. Vielmehr artikuliere sich in ihnen »die Feindseligkeit gegenüber der postmigrantischen Wirklichkeit in Europa« (ebd.). Ein Mitglied des Integrationsrates der Stadt C und Interviewpartner in unserem Projekt, stellt dazu fest:

»Ich bin der Meinung, ja, wir sind viel besser aufgestellt als 2015. Aber leider nur in der Arbeit mit den Flüchtlingen, aber nicht in der Arbeit mit den Leuten, die die Flüchtlinge aufnehmen sollen. Also in der Aufklärung der restlichen Allgemeinheit, die Aufklärung bleibt leider hängen. Und man weiß nicht, bis wann die Leute hier sind, da werden Fragen offengelassen, und diese offenen Fragen machen bei den einen oder anderen dann irgendwann Angst. Und leider nutzen dann-, eine bestimmte Partei Angst aus«.

Verlaufen in der heutigen Situation die Grenzlinien zwischen ukrainischen Staatsangehörigen auf der einen und auf der anderen Seite in der Ukraine lebenden Drittstaatsangehörigen (z.B. ausländische Studierende und Arbeitsmigrant_innen) sowie in Deutschland Asyl- und Schutzsuchenden aus anderen Staaten (z.B. aus Afghanistan), wird bei nächster Gelegenheit bspw. wieder eine ethnosexistische Geschlechterdifferenz aufgerufen oder sich auf auch unter Engagierten bestehenden religiös artikulierten Etablierte-Außenseiter-Beziehungen (Rommel und Schwenken 2022) berufen. Eine für intersektionale Zuschreibungen, Sortierungen und Machtverhältnisse sensible Unterstützungsarbeit bleibt eine Daueraufgabe.

Fazit

Im Zuge des Krieges in der Ukraine ist es zu einer großen Re- beziehungsweise Neuaktivierung von Engagierten im Bereich der Unterstützung von Geflüchteten gekommen. Nach der Phase der ›Willkommenskultur‹ 2015/2016 ging das akute, oft spontan entstandene Engagement zurück, aber es blieben mehr Personen aktiv als vor der Phase und ein Teil der zuvor ehrenamtlich Aktiven wechselte ins Hauptamt. Mit den Kontakteinschränkungen im Rahmen der Corona-Pandemie ab Frühjahr 2020 gab es erneute Einbrüche bis im Frühjahr 2022 der russische Angriffskrieg in der Ukraine begann und von einem auf den anderen Tag ein beachtliches Engagement für die Fliehenden zu verzeichnen war.

In mehrerlei Hinsicht weisen die Engagementwellen von 2015/16 und 2022 Ähnlichkeiten auf: Eine mit der großen Anzahl Schutzsuchender überforderte öffentliche Verwaltung konnte durch das spontane und vielseitige Engagement von Freiwilligen ergänzt und unterstützt werden. Bei beiden Engagementwellen engagierten sich Viele zum ersten Mal. Die unterschiedlichen Rahmenbedingungen für Geflüchtete aus der Ukraine und solche aus anderen Regionen sind ein weiteres Kennzeichen des aktuellen Engagements – aber auch das ist kein Novum. Denn im Jahr 2015/16 waren es die Geflüchteten v.a. aus Syrien, denen eine bessere ›Bleibeperspektive‹ attestiert wurde und die Vorrang gegenüber anderen Geflüchteten bei Integrationskursen o.ä. bekamen. Für einige Aktive war die Nähe des Kriegs durchaus ausschlaggebend, aber der weitaus größte Teil der von uns interviewten Aktiven engagiert sich nicht für ukrainische Geflüchtete, weil diese ›uns‹ vermeintlich ›kulturell näher stehen‹. Die Profile der Engagierten und Motive für das Engagement ähneln sich stark denen früherer Engagementwellen – mit Ausnahme des starken Diasporaengagements russisch- und ukrainischsprachiger Personen. Dennoch geht die öffentliche Debatte darum, wer Solidarität verdient und wer nicht, nicht an den Engagierten vorbei, sondern findet auch unter den Unterstützer_innen statt oder sie beginnen erst im Laufe des Engagements darüber zu reflektieren.

Während noch immer tausende Schutzsuchende, die vor Krieg und Verfolgung geflohen sind vor den Mauern und Zäunen an den Außengrenzen der Europäischen Union sitzen und massiver Gewalt durch Grenzschutzbeamt_innen ausgesetzt sind, schmückt sich Deutschland mit der unbürokratischen Aufnahme ukrainischer Geflüchteter im Rahmen der ›Massenzustrom-Richtlinie‹ und geht mit einer verlässlichen, aktivierten Zivilgesellschaft Bündnisse sein. In dieser paradoxen Situation werden die Grenzen der europäischen Solidarität sichtbar. Die Auseinandersetzungen und Debatten darum verweisen auf Politisierungsprozesse im Ehrenamt. Die im Frühjahr/Sommer 2022 aufgestellte Forderung, dass die Bedingungen unter denen ukrainische Schutzsuchende in Deutschland und der Europäischen Union aufgenommen wurden allen Schutzsuchenden, von der universalen Geltung für alle Migrierenden ganz abgesehen, zugutekommen sollten, sind mittlerweile kaum mehr zu vernehmen.

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  • Year: 2023


Theresa Wagner studierte »Internationale Migration und Interkulturelle Beziehungen« an der Universität Osnabrück, wo sie zuletzt auch als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien tätig war. Ihre Themen sind Engagement und Solidarität in der postmigrantischen Gesellschaft, sowie Migration und Bewegungsfreiheit entlang der sogenannten Balkanroute.

Helen Schwenken, Professorin für Migration und Gesellschaft am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien der Universität Osnabrück, forscht u.a. zu Praxen sozialer Bewegungen, Arbeitsmigration und Geschlecht.