Zwischen rassistischen Deutungen und »stabilem Integrationsklima«

Kommunalpolitische Perspektiven auf die Fluchtmigration aus der Ukraine

Christian Jakob

Dieser Beitrag ist im Frühjahr 2023 entstanden. Seitdem hat sich der öffentliche Diskurs um Migration massiv verschärft. Da movements nicht auf Aktualität, sondern auf Dokumentation setzt, wird der Beitrag ohne Aktualisierungen publiziert.

Die Sitzungen des Finanzausschusses der kleinen Gemeinde Loitz, nicht weit von Greifswald in Mecklenburg-Vorpommern, verlaufen normalerweise ohne besondere Vorkommnisse. Am 17. Januar 2023 war das anders: Da erschien Mario K., ein lokaler Unternehmer, im Ratssaal und übergab den Ausschuss-Mitgliedern einen selbstverfassten Brief. Darin hatte er ein Ultimatum formuliert: Durch mutmaßliche Angriffe von Migrant:innen auf Kinder in Loitz seien die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet. Er gab der Gemeinde Zeit bis zum folgenden Freitag um 17 Uhr. Sollten bis dahin keine präventiven Maßnahmen ergriffen worden sein, würden »die Bürger der Stadt Loitz (…) in Eigeninitiative diese präventiven Maßnahmen« umsetzen und »in angekündigter Selbstjustiz die Ordnung und Sicherheit (…) wiederherstellen«. Als »präventive Maßnahmen« stellte K. sich längere Beleuchtungszeiten der Straßenlaternen sowie die »Schließung der Brücken zur Neustadt in Richtung ehemaliger Grundschule« und ein zusätzlicher Schutz der Schulkinder durch Sicherheitspersonal.

Die zwei Brücken, die »als Schutz für beiden Seiten« wie K. erläuterte, geschlossen werden sollten, führen durch die alte Stadtmauer über den Ibitzbach. Dahinter, am westlichen Ortsrand, steht die ehemalige Diesterweg-Grundschule. Sie gehört heute dem Landkreis Vorpommern-Greifswald. Der bringt dort Flüchtlinge unter. 2022 waren es fast ausschließlich Frauen und Kinder aus der Ukraine. Anfang Januar 2023 waren es 36 Geflüchtete, die meisten Männer, aus verschiedenen Ländern.

Die Ostsee-Zeitung hörte sich in Loitz um. »Da steh ich voll dahinter«, sagte ein Loitzer Bürger dem Reporter über K.s Ultimatum an die Stadt. Schon am Tag vor der Sitzung hatte Bürgermeisterin Christin Witt (CDU) laut dem Nordkurier eine gut vierhundert Namen umfassende Unterschriftenliste für eine »Petition zum Thema Migrationsaufkommen im ländlichen Bereich« bekommen. Die Unterzeichnenden erhoben die Forderung, für die »innere Ordnung und Sicherheit« zu sorgen. Die Einwohner:innen sähen die Sicherheit nämlich »gefährdet« und »fänden es nicht gut, was da in ihrer Stadt passiere«, sagte der Initiator Mario K. dem Nordkurier.

Es handelte sich um denselben Mann, der auch im Finanzausschuss auftauchte und dort mit Selbsjustiz drohte. Er ist Inhaber einer Lackiererei, der 2022 bei den Corona-Demos mit dem Titel »Loitz steht auf« aufgetreten war und sich dort beklagte habe, man sei »als Nazis betitelt« worden.

Bürgermeisterin Witt wusste nichts von den »mehreren Übergriffen«, von denen in dem Brief die Rede war. In Loitz gab es am Dienstag jener Woche einen polizeilich vermerkten Vorfall: Ein Unbekannter soll versucht haben, ein elfjähriges Mädchen mit sich zu ziehen. Allerdings existiere keine Personenbeschreibung. Ein Polizeisprecher sagte, die Ermittlungen schlössen »nahezu aus, dass ein Bewohnender der Unterkunft« als Täter infrage kommen.

Den »Brief und die darin angesprochenen Sorgen« würde sie »ernst nehmen«, sagte die Bürgermeisterin Witt dennoch. Man sei im Gespräch mit dem Verfasser und »hoffe, dass es nicht zur Bildung einer Bürgerwehr beziehungsweise zur Selbstjustiz« komme. Die Forderung nach längeren Schaltzeiten der Straßenlaternen sei bereits erfüllt worden, die anderen Forderungen seien nicht umsetzbar. Im Übrigen trage der Landkreis die Verantwortung.

Für die folgende Woche kündigten Gemeinde und Landkreis eine gemeinsame Informationsveranstaltung für die Bevölkerung an, dazu eine »wöchentlich wiederkehrende Bürgersprechstunde« der Integrationsbeauftragten des Landkreises in Loitz. »Der Landkreis ist sich der angespannten Situation in Loitz bewusst«, sagte ein Sprecher des Landratsamtes. Bei er »Informationsveranstaltung« am 26. Januar erschienen Neonazis. Petitions-Initiatior Mario K. sagte: »Die Kinder wollen schon fast nicht mehr zur Schule, weil sie sich nicht raus trauen.« Bürger brüllten die Landkreisvertreter an: »Das sind doch wir, die hier gefickt werden.«

Die Forderung nach geschlossenen Stadtmauern, ein politisch instrumentalisierter Übergriff, über den niemand etwas genaues weiß, angedrohte Selbstjustiz auf der einen Seite.»Ernstgenommene Sorgen« und »Informationsveranstaltungen« auf staatlicher Seite. All das wegen 36 Geflüchteten, die niemand fragte, wie die Lage für sie ist. In Loitz zeigt sich im Miniaturformat, was viele auch anderswo befürchten – und was sich in den folgende Wochen in einer Reihe weiterer, vor allem ostdeutscher Kommunen abzeichnet: Dass die enorme Solidarität, die sich – zum zweiten Mal nach 2015 – 2022 mit der Aufnahme von etwa 1,05 Millionen Menschen aus der Ukraine, zeigte, kippen könnte: in Ressentiments, rassistische Gewalt, Ausgrenzung und Zuspruch für die extreme Rechte.

War die Lage Loitz also ein Vorbote für die künftige Stimmung im Land?

Der Magdeburger Rechtsextremismusexperte David Begrich glaubt, dass sich in den Coronaprotesten ein neues Milieu aus extremer Rechter und Querdenkern zusammengefunden habe. Viele hatten damit gerechnet, dass schon die Preissteigerungen nach Russlands Überfall auf die Ukraine der Verschmelzung dieses neuen Milieus einen Schub verleihen und große Mobilisierungserfolge zu einem von rechts besetzten »Wutwinter« nach sich ziehen würde. Der fiel war zwar aus. Begrich aber glaubt, dass das Flüchtlingsthema der Rechten nun genau diesen Schub geben werde. »Die aktuell hohen Flüchtlingszahlen werden gesehen«, sagt Begrich. »Und dafür gibt es in Ostdeutschland eine rassistische Deutungsfolie, die auf Resonanz stößt.« Begrich erwartet eine »Wiederkehr der Proteste von 2015«. Denn Rassismus und die soziale Frage zusammenzuführen – das sei seit jeher das Erfolgsrezept der extremen Rechten.

Bisher alllerdings ist das Bild uneinheitlich. Die Solidarität mit den Ankommenden ist in vielen Teilen des Landes durchaus stabil.

Dabei hatte im Spätsommer, etwa ein halbes Jahr nach Beginn des Krieges, ein Teil der Kommunen objektiv Probleme bekommen, Platz für die Geflüchteten zu finden. Und rechte Politiker schlachteten dies aus. Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz kritisierte die Aktivierung der »Massenzustroms-Richtlinie« der EU für die Ukrainer:innen, die diesen volle Sozialleistungsansprüche gab. Dies führe »zu erheblichen Verwerfungen«, behauptete Merz. »Wir erleben mittlerweile einen Sozialtourismus dieser Flüchtlinge: nach Deutschland, zurück in die Ukraine, nach Deutschland, zurück in die Ukraine.« Von den Flüchtlingen mache sich »mittlerweile eine größere Zahl dieses System zunutze.«

Einen Beleg gab es dafür nicht. Selbst die Bundespolizei widersprach. Merz entschuldigte sich halbherzig. Doch der Ton war gesetzt. Und unter Ukrainer:innen in Deutschland war der Anwurf aufmerksam registriert worden. Nicht nur der damalige Botschafter Andrij Melnik war wütend. Auch viele Geflüchtete fragten sich: Wie lange sind wir hier noch willkommen?

Dieses Gefühl mischte sich in die Alltagsprobleme, die sich ihnen nach den Anfangstagen langsam offenbart hatten: Die Schwierigkeiten bei der Kitasuche oder beim Schulunterricht für ihre Kinder, die kein Deutsch können. Der Übergang der Trägerschaft für die Sozialleistungen ab dem 1. Juni ans Jobcenter, das teils lange nichts von sich hören ließ. Oder die Frage, ob sich ein 600 Stunden langer Integrationskurs lohnt, wenn völlig unklar ist, wie lange man in Deutschland bleiben muss, will – oder darf. Investiert seine Zeit womöglich besser, wer sofort einen einfachen Job animmt? Oder verliert man so die Aussicht auf eine mittelfristige qualifikationsgemäße Beschäftigung? Und nicht zuletzt: Wie lebt es sich in einem Land, in dem der Anteil der Menschen, die russische Propaganda glauben, seit Kriegsbeginn um rund die Hälfte gewachsen ist?

Denn vielen der Ukrainer:innen war keineswegs verborgen geblieben, was das umtriebige CeMAS-Institut in den Monaten seit Kriegsbeginn erhoben hatte. Dem Satz: »Die NATO hat Russland so lange provoziert, dass Russland in den Krieg ziehen musste«, stimmten im April 12 Prozent der Befragten zu, im Oktober waren es 19 Prozent. Dass Putin »gegen eine globale Elite vorgeht, die im Hintergrund die Fäden zieht«, glaubten im Oktober 18 Prozent, gegenüber 12 Prozent im April. Und »Die Ukraine hat historisch keinen eigenen Gebietsanspruch und ist eigentlich Teil Russlands,« befanden im Oktober 14 Prozent. Kurz nach Kriegsbeginn glaubten dass nur 8 Prozent. »Ich verrate den Leuten nicht mehr, woher ich komme. Ich hab’ auf die Diskussion keine Lust mehr« – solches und ähnliches hört man zuletzt unter den nach Deutschland geflüchteten Ukrainer:innen öfter.

Zeitgleich wurde vor allem von Seiten der Union immer öfter behauptet, die Zahl der Ankünfte sei mit jenen von 2015/2016 vergleichbar – und so versucht Staatsversagen beim Grenzschutz herbeizureden. Zwar kamen zu den rund 1,04 Millionen Ukrainer:innen bis September rund 115.000 Asyl-Erstanträge – wenn man die in Deutschland geborenen Kinder nicht mitzählt – hinzu. In der Summe entspricht das tatsächlich der Größenordnung von 2015. Doch die Bedingungen waren nicht vergleichbar, auch wenn in vielen Kommunen die Aufnahmeeinrichtungen voll liefen.

Im September sperrten zwölf Bundesländer die Aufnahme von Flüchtlingen, die über das behördliche EASY-System bundesweit verteilt werden. Manche Kommunen beschwerten sich eher leise und stockten die Plätze auf. Andere schlugen harsche Töne an.

Zum Beispiel der Oberbürgermeister von Cottbus, Holger Kelch (CDU). »Wir können nicht mehr«, verkündete der. Schulen und Gesundheitsversorgung seien an der Kapazitätsgrenze. Cottbus forderte die »gleichmäßige und gerechte Durchsetzung der Verteilung innerhalb Brandenburgs und Deutschlands sowie die Wiederherstellung der gleichmäßigen Verteilung innerhalb Europas«.

Um den Druck zu erhöhen, kündigte die Stadt den Migrationssozialarbeiter bei den freien Trägern zum Jahresende, weil die Landesregierung offen gelassen habe, ob sie diese weiter finanziere – ein angesichts der hohen Ankunftszahlen fraglos widersinniger Schritt.

Die »gerechte und gleichmäßige« Verteilung innerhalb Deutschlands – die gibt es offiziell. Wie viele Flüchtlinge jedem Bundesland zugewiesen werden, errechnet sich per »Königsteiner Schlüssel« – zu zwei Dritteln nach dem Steueraufkommen und einem Drittel nach der Bevölkerungszahl der Länder. Innerhalb der Länder greifen dann weitere Verteilmechanismen für die Landkreise und Kommunen.

Doch anders als bei anderen Herkunftsländern griff dies im Fall der Ukrainer:innen, die das Gros der 2022 Angekommenen ausmachen, nur teilweise. Der wichtigste Grund dafür ist, dass die Ukrainer:innen eine jenseits des Asylrechts liegende Aufnahmezusage erhalten hatten. Sie durften sich deshalb frei bewegen und dorthin ziehen, wo sie am ehesten Hilfe erwarteten.

Weil die Ukrainer:innen aber die freie Wahl des Wohnortes hatten, lebten laut einer Befragung des Leibniz-Instituts für Sozialwissenschaften im April 2022 gerade mal sieben Prozent von ihnen in Flüchtlingsunterkünften. Nur diese wurden nach dem regulären Verfahren verteilt. Viele der Übrigen beantragten in den Folgemonaten dort Sozialleistungen, wo sie eben hingezogen waren. Doch viele mussten nach und nach die privaten Unterkünfte verlassen. Anderen gingen mitgebrachte Ersparnisse aus, so dass sie zunächst angemietete Wohnungen oder Zimmer nicht halten konnten.

In der Folge waren einige darauf angewiesen, dass die Kommunen sie unterbringen. Weil sie aber bereits im Sozialleistungsbezug waren, konnten sie nicht mehr verteilt werden, wie dies normalerweise geschieht. Deswegen gab es tatsächlich eine »ungleichmäßige« Verteilung innerhalb Deutschlands. Der Effekt war allerdings überschaubar: Laut der BamF-Kurzstudie »Geflüchtete aus der Ukraine in Deutschland« lebten gegen Ende 2022 nur 9 Prozent der Ukrainer:innen in einer Gemeinschaftsunterkunft, also nur zwei Prozentpunkte mehr als im April. In Zahlen waren das auf’s ganze Land gerechnet nur etwa 20.000 Personen. Auch eine Erhebung des Medienst Integration zeigte gegen Ende des Jahres 2022, dass die Verteilung der registrerten Ukrainer:innen auf die Bundesländer fast exakt jener entspricht, die der Königsteiner Schlüssel vorsieht. In keinem der 16 Bundesländer lag die Differenz zwischen der Quote und dem Anteil an den tatsächlich registrierten höher als ein Prozentpunkt.

Zudem ändern mögliche punktuelle überproportionale Belastungen für einzelne Kommunen nichts daran, dass es völlig richtig war, den Ukrainer:innen die freie Wohnortwahl zuzugestehen. Hinzu kam: Die Ampel hatte den Kommunen, die sich zwischendurch laut über die gestiegenen Belastungen beklagt hatten, erhebliche Zugeständnisse gemacht. Schon kurz nach Kriegsbeginn hatte der Bund zugesagt, den Lebensunterhalt der Ukrainer:innen per ALG II zu tragen. Kommunen wie Cottbus zahlen also dafür zumindest nichts, durchaus aber für andere Leistungen.

Und im November schlug der Städte und Gemeindebund (DStGB) für seine Verhältnisse versöhnliche Töne an: »Politik zeigt Handlungsfähigkeit« schrieb er nach der Bund-Länder-Konferenz. Die Kommunen sähen es als »positives Signal«, dass der Bund den Ländern für ihre Ausgaben für die Geflüchteten aus der Ukraine im Jahr 2023 einen Betrag von 1,5 Milliarden Euro und 1,5 Milliarden für die übrigen Flüchtlinge gibt. Hinzu kommt eine allgemeine »flüchtlingsbezogene Pauschale« in Höhe von 1,25 Milliarden Euro jährlich ab 2023. »Wir hätten uns natürlich zusätzlich ein deutliches Bekenntnis der Länder erhofft, dass sie ihre Erstaufnahmeeinrichtungen massiv ausweiten«, so der DStGB. Es sei »wahrscheinlich, dass die Zahl der Geflüchteten zunehmen wird«, doch die Kommunen seien bereits jetzt an der Grenze ihrer Unterbringungsmöglichkeiten.

Die zwischenzeitlich als argumentative Kronzeugen konservativer und rechter Propanda gegen die angeblich zu lasche Asylpolitik der Ampel benutzten Kommunen waren also aufs Ganze gesehen halbwegs befriedet. Die Union versuchte gleichwohl weiter, die Ampel für ihre Grenzpolitik und ihre Reformvorhaben im Migrationsbereich zu attackieren – und baute dabei auf ein diffuses Unbehagen, dass sie selbst zu schüren trachtete.

Symptomatisch dafür war unter anderem die Debatte um die geplante Staatsbürgerschaftsreform. Erst im Juni hatte das Statistische Bundesamt gemeldet, dass das so genannte »ausgeschöpfte Einbürgerungs­potential« bei rund 2,4 Prozent dümpelt. Der Wert gibt das Verhältnis von Einbürgerungen zur Zahl der mindestens seit 10 Jahren in Deutschland lebender Auslände:innen an. Nur äußerst wenige wollen also den deutschen Pass – denn die Konditionen sind nicht einladend. Die Ampel will die Aufenthaltsdauer von fünf auf acht Jahre senken, Kinder ausländischer Eltern sollen automatisch Deutsche werden, wenn ein Elternteil bereits seit fünf Jahren rechtmäßig im Land lebt. Vor allem aber soll die alte Staatsbürgerschaft nicht mehr aufgegeben werden müssen. Dass Deutschland auf Migration für den Arbeitsmarkt angewiesen sei, »bedeutet aber nicht, dass man flächendeckend mit dem deutschen Pass um sich wirft,” meinte der Unions-Fraktionsgeschäftsführer Thorsten Frei zu der Reform.

Wenn so über die Dinge gesprochen wird, verwundert es nicht, dass laut der jüngsten Jahresstudie des Mercator Forum Migration und Demokratie die große Mehrheit der Befragten der Meinung ist, dass Migration das »politisch konfliktträchtigste« Thema ist – weit vor Wirtschafts- und Klimafragen. Das aber war vor den Jahren der großen Flüchtlingsankünfte – 2015/16 und 2022 – auch nicht anders. Die anhaltende praktische Solidarität mit Ankommenden hat das jedoch nicht verhindert.

Und auch insgesamt sind die Einstellungen zur Migration zumindest im ersten Jahr nach Kriegsbeginn nicht so abgedriftet, wie viele befürchtet hatten. Das zeigt etwa der »Integrationsklima-Index« (IKI) des vom Bundesinnenministerium mitfinanzierte Sachverständigenrat für Integration und Migration (SVR). Der Index wird durch repräsentative Befragungen vom SVR ermittelt. Und er ergab zuletzt »ungeachtet des erneut starken Zuzugs von Flüchtlingen insbesondere aus der Ukraine und den damit verbundenen Herausforderungen« den »höchsten Wert seit Erhebungsbeginn«, so der SVR. Unabhängig davon, was man methodisch und politisch von dem Index halten mag, ist dies angesichts der Lage der Dinge kein schlechter Befund.

»Vor dem Hintergrund der jüngsten Herausforderungen war diese positive Entwicklung nicht unbedingt absehbar«, schrieb der SVR. Die Corona-Pandemie, aber auch die Folgen des Ukraine-Kriegs mit erneuten Fluchtbewegungen sowie die Energieversorgungs- und -preiskrise hätten den Daten zufolge »keinen erkennbaren negativen Einfluss auf das Zusammenleben im Einwanderungsland Deutschland.« Im Vergleich zur vorherigen Erhebung im Jahr 2019/20 sei der IKI von 66,3 auf 68,5 Punkte gestiegen. Unter Personen ohne Migrationshintergrund kletterte der Wert in den vergangenen zwei Jahren um 2,5 Punkte, unter Personen mit Migrationshintergrund um 1,3 Punkte auf insgesamt 70,1 IKI-Punkte. Für die Studie wurden zwischen Ende November 2021 und Anfang Juli 2022 insgesamt 15.005 Personen interviewt.

Einer der Gründe für die insgesamt recht stabile Stimmung dürfte sein, dass die Zivilgesellschaft nach Beginn des Krieges Netzwerke reaktivieren konnte, die 2015 als Reaktion auf die Ankommenden Flüchtlinge entstanden waren. So entstanden auch jetzt wieder vielfältige soziale Beziehungen zu den Ukrainer:innen.

Ein Beispiel dafür ist das Solizentrum in Lübeck. Es liegt auf der Wallhalbinsel im Zentrum der Stadt. Einst lagerte die Gemeinde dort Baumaschinen. 2015 änderte sich das. Aktivist:innen besetzten das Gelände kurzerhand und bauten das »Solizentrum« auf. Es war ein Baustein einer kaum zu überblickenden Fülle von Initiativen, die den rund eine Million Menschen helfen wollten, die damals nach Europa flohen. Viele von ihnen wollten weiter nach Skandinavien. Und in Lübeck legen die Fähren ab.

Schon am Bahnhof in Hamburg wurden die Geflüchteten damals registriert, in Lübeck erwarteten sie Freiwillige, die sie über den Stadtgraben vorbei am Holstentor zum Solizentrum geleiteten. Über 15.000 Menschen kamen hier an. Und anders als die Ukrainer:innen nach dem russichen Angriff 2022 hatten sie zunächst keinen Anspruch auf Sozialleistungen, kein Aufenthaltsrechte, und teils eine mehrjährige Flucht-Odyssee hinter sich.

Sie schliefen auf Matratzen, bekamen Tickets für die Fähre, bezahlt aus privaten Spenden. Bäcker brachten Brot, türkische Restaurants Essen. Aktivist:innen schoben rund um die Uhr Wachschichten, aus Angst vor Nazi-Angriffen. So ging es weiter, bis Schweden Anfang 2016 die Grenze schloss.

Willkommensinitiativen wie das Solizentrum enstanden damals überall in Deutschland. Und bis heute fällt das Urteil über den – maßgeblich von ihnen getragenen – Umgang mit den damals Angekommenen in der Summe vielfach positiv aus. Auf linker Seite steht dafür das Schlagwort vom »Sommer der Migration«, der die Agency der Flüchtenden selbst betont. Andere Akteure, etwa Gewerkschaften und Sozialverbände lobten – auch sich selbst – für die »Willkommenskultur«. Mit dieser gefiel Deutschland sich selbst so derartig gut, dass 2019 gar ein SPD-Politiker beantragte, die Unesco möge die deutsche »Willkommenskultur« in ihre Liste des Immateriellen Kulturerbes der Menschheit aufnehmen.

Doch die Deutung von »2015« ist seit jeher umkämpft. Von konservativer Seite werden die Ereignisse seit jener Zeit als angeblich größtes Versagen Angela Merkels dargestellt, als Katastrophe, die sich »nie wiederholen« dürfe – letzteres sagte auch Merkel selbst. Das ist der Hintergrund, vor dem während des Sommers 2022 von Seiten der Union immer wieder betont wurde, dass nun wieder so viele wie damals ankämen. Und weil dies ja vermeintlich »nie wieder« hätte passieren dürfen, schien die Forderungen nach einem Stop etwa für staatliche Aufnahmeproramme aus konservativer Sicht naheliegend.

Neu ist allerdings, dass heute auch manche Liberale 2015 negativ zu framen versuchen – als Auslöser für gesellschaftliche Spaltungsprozesse die zur »Postdemokratie« führen, wie die Autorin Juli Zeh im Januar 2023 behauptete. Der Auslöser hierfür sei die Flüchtlingspolitik des Jahres 2015 gewesen: »Da war der Wille zur Willkommenskultur so übermächtig, dass jeder, der eine andere Meinung, der auch nur praktische Fragen hatte, ganz schnell als »rechts« dargestellt wurde«, behauptete Zeh in der NZZ. Die Zeit habe »ihre Berichterstattung aus dieser Phase einmal selbstkritisch analysiert, soweit ich mich erinnere – das war sehr wohltuend zu lesen«, so Zeh. Willkommensinitiativen als Meinungsdiktatoren, Medien als Flüchtlingsbeklatscher, die sich an ihrem Aufklärungsauftrag versündigten und dies »selbstkritisch analysieren« müssen.

In Deutschland entstehe »ein neues politisches Lager, das quer zur traditionellen Rechten und zum Konservatismus steht«, meinte dazu der Baseler Soziologe Oliver Nachtwey. Kennzeichnend dafür sei: »Anti-Woke, Corona-Skeptisch, Angst vor kultureller Überfremdung und für ‚Diplomatie‘ im Ukraine-Krieg.« Dieses neue Lager sei nicht homogen, aber teile diese vier Merkmale und positioniere sich »vor allem als Kulturkampf gegen alle Formen des (Links-)Liberalismus«, so Nachtwey. Er zählte zu diesem Milieu neben Zeh etwa Sahra Wagenknecht, den Welt-Chef Ulf Poschardt und den CDU-Haustheoretiker Andreas Rödder. »Die Vektoren zeigen alle in die gleich Richtung.« Wenn Nachtwey Recht hat, kommt zum traditionellen rechten Lager nun also einer Art Bürger-Querfront hinzu, die ebenfalls gegen Flüchtlingsaufnahme zu Felde zieht.

Befördert mag dies haben, dass – anders 2015 – die Aufnahme der Ukraine-Flüchtlinge keine positive politische Strahlkraft nach Innen entwickelte. Wegen der Aufnahme der Ukrainer:innen feierte Deutschland sich nicht. Zu groß war das Entsetzen über den Krieg in der Nachbarschaft, zu drückend die Sorge vor dessen Ausbreitung. Zudem fürchteten viele, die Stimmung gegenüber den Ukrainer:innen könne schnell wieder kippen – erst recht, wenn die Preise für die Lebenshaltung auch wegen des Krieges durch die Decke gehen. So rasend schnell die Aufnahme der Ukrainer:innen beschlossen, so effizient sie anfänglich umgesetzt wurde, so eigentümlich geräuschlos, ohne gesellschaftlichen Selbstverständigugsprozess lief sie ab. Es war, als scheute das Land ein Gespräch aus Angst vor dem, was dabei zutage treten könnte.

Doch vielleicht wäre das erfreulicher gewesen, als manche erwarteten. Denn in vielen Kommunen zeigte sich: An der Basis ist die Willkommensbereitschaft durchaus stabil geblieben.

Das Solizentrum in Lübeck etwa hatte auch in den Jahren weitergemacht, in denen weniger Flüchtlinge kamen – auch während der Pandemie, in denen Cafébetrieb und Veranstaltungen nur schwer möglich waren. Die Folge war, dass Lübeck 2022 für die Flüchtenden aus der Ukraine fast unmittelbar auf eine umfassende Infrastruktur zurückgreifen konnte, in der Zivilgesellschaft und Verwaltung einander ergänzen und Ankommenden zur Seite stehen. Denn auch auf staatlicher Ebene waren nach 2015 Strukturen entstanden, von denen die Ukrainer:innen nun profitieren: Der Ausbau der Integrationskurse etwa oder die umfassenden Netzwerke zur Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse und für nötige Nachqualifizierung. Aber ohne Verzahnung mit der Zivilgesellschaft wäre die Aufnahme von über einer Million Menschen in so kurzer Zeit nicht leistbar.

Das zeigt sich auch in anderen Städten.

Nürnberg etwa hat im ersten halben Jahr nach Kriegsbeginn rund 7.700 Menschen aus der Ukraine aufgenommen, das ist etwa ein Fünftel mehr als die Kommune anteilig hätte nehmen müssen. Wie überall sind auch hier die mit Abstand meisten angekommenen Frauen. Claudia Gessl hat das Internationale Frauencafé Nürnberg aufgebaut und arbeitet heute beim Rosa Asyl, einer Beratungs- und Begegnungsstätte für geflüchtete Frauen. Seit vielen Jahren kritisiert sie die bayrische Flüchtlingspolitik – gegenüber den ukrainischen Geflüchteten habe die Kommune aber »schon ganz okay agiert«, sagt Gessl. Die Stadt hat eine App programmieren lassen, einen Anlaufpunkt eingerichtet, in der Verwaltung gebe es viele Menschen, die Russisch sprechen. Zwar gebe es »krasse Wartezeiten, alles ist kompliziert.« Doch die Ukrainer:innen fänden sich schnell zurecht. Das größte Problem seitens der Kommune sei der fehlende Wohnraum, sagt Gessl. Viele Mietverträge für einstige Flüchtlingsunterkünfte seien gekündigt worden. »Die dachten, das war’s jetzt, jetzt kommt eh keiner mehr rein.” Ein Irrtum. Nun hätten eilig neue Verträge für Unterkünfte geschlossen werden müssen.

Allerdings wurden auch in den schon bestehenden Ukrainer:innen untergebracht. Bei manchen Geflüchteten aus anderen Ländern verbreitete sich dabei der Eindruck, den Ukrainer:innen würden Plätze in den als besser geltenden Unterkünften zugewiesen. Tatsächlich hatten Menschen anderer Nationalitäten einige Unterkünfte zugunsten der Ukrainer:innen räumen müssen. Und während sie in den halbleeren Unterkünften vorher teils eine ganze Wohnung für sich hatten, fanden sie sich nach der Umverteilung in Räumen wieder, die sich 3 bis 4 Personen teilen mussten. Es gab deshalb auch Protestkundgebungen. »Unter den anderen Geflüchtetengruppe gab es ein paar Stimmen, die sagen: ‘Warum kriegen die Ukrainer alles?’“, berichtet Gessl. Aus ihrer Sicht sei die einzig richtige Forderung, »dass die anderen das auch kriegen. Sonst sei es victim blaiming.« Man müsse solidarisch sein, auch wenn die Gesellschaft die Ukrainer privilegiere, wie die angeblich näher an der abendländischen Kultur sind, sagt Gessl.

Was die Lage zweifellos entschärfte, war auch in Nürnberg zivilgesellschaftliche Solidarität. Schon 2015 seien in Nürnberg »zig Unterstützungsgruppen, die sich untereinander gar nicht kannten«, entstanden. Der von der Stadt eingesetzte Koordinator der ehrenamtlichen Helfer:innen habe seit 2015 zeitweise zwischen 5.000 und 8.000 registrierte Freiwillige gezählt. Derzeit seien es schätzungsweise 3.000 – noch eimmer eine »Solidaritats-Welle«, sagt Gessl.

»Die Hilfsbereitschaft ist enorm. Bei der Hälfte der Leute, die man anruft und sagt, man will eine Wohnung mieten mieten für jemand aus der Ukraine, rennt man offene Türen ein. Das ist ganz anders, als wenn man eine Unterkunft für jemand aus Äthiopien sucht,” sagt Gessl. Tausende Geflüchtete Ukrainer:innen wohnen privat in den Unterkünften. Privatleute hätten sie oft bei sich zu Hause in der Annahme aufgenommen, es handele sich nur um eine kurzen Zeitraum. Für die Aufnehmenden sei die Situation teils ebenfalls belastend. »Traumata übertragen sich,« sagt Gessl. Niemand wisse, »wie es ausgeht, welche Nachrichten die bekommen. Das ist nicht so ohne.« Vor allem die aus der Ukraine geflüchteten Kinder »sind total schockgefroren, du merkst voll die Anspannung«, sagt Gessl. Die Väter, die älteren Angehörigen sind vielfach zurückgeblieben. Das sei auch für die geflüchteten Frauen schwer auszuhalten. »Wir haben uns gerettet, der Rest der Familie nicht. Was sollen wir machen?«, fragten sich viele.

Eine Möglichkeit: Arbeiten. »Das sind teils hammergut ausgebildete Leute,« sagt Gessl. »Die Frauen sind gewöhnt, dass sie arbeiten gehen.« Viele Frauen hätten sich bei einer Lebkuchenfabrik in Nürnberg angemeldet. »Es gibt ja Arbeit ohne Ende und low-level Arbeit finden sie sofort.«

Auch Bremen hat etwa 7.500 Ukrainer:innen aufgenommen. Für die hohe Zahl sei dies »doch recht geräuschlos«, sagt Markus Saxinger. Wie Gessl war auch er seit den 1990er Jahren als Unterstützer von Flüchtlingsprotesten aktiv. Heute koordiniert er den Projektverbund Berufliche Perspektiven für Geflüchtete und das Bremer IntegrationsNetzwerk.

Das Jobcenter hatte im Sommer, als die Zuständigkeit vom Sozialamt an sie überging »Sorge, ob die das gewuppt kriegen«, erinnert er sich. Doch der Übergang sei letztlich gelungen. Die Lage sei auf Verwaltungsseite derzeit dadurch etwas angesapnnt, dass seit Anfang 2023 mehr Menschen durch eine Ampel-Reform Anspruch auf die Teilnahme an einem Integrationskurs haben. »Die Wartefristen sind jetzt länger, und ohne die Integrationskurse funktionieren die anderen Sachen auch nicht,« sagt Saxinger. »Viele wollen die knappen Plätze jetzt dringend.«

2015 habe das Jobcenter, das Arbeitsamt, die Verwaltung Erfahrungen gesammelt, die sich nun auszahlten. »Die politisch Zuständigen haben aus dieser Zeit gelernt,« sagt Saxinger. Zwar wurden nach 2015 Strkuturen »deutlich abgebaut, das ist ihnen jetzt teils auf die Füße gefallen.« Gänzlich weg seien diese Strukturen aber nicht gewesen, sagt Saxinger. »In Bremen war die Integration Geflüchtete im Arbeitsmarkt immer Thema, man hat damit nie aufgehört.«

Auch die R2G-Regierung in Bremen habe zivilgesellschaftliche Proekte gefördert, um die Ukrainer:innen zu unterstützen – etwa über die lokale Freiwilligeagentur. Die betreute Ehrenamtliche, die Wohnraum anboten oder Ukrainer:innen begleiteten. »In der ersten Jahreshälfte hatten die richtig viel zu tun, es gab eine enorme Zahl von Anfragen. In der zweiten Jahreshälfte wurde es immer ruhiger«, sagt Saxinger. Viele Ehrenamtliche hätten sich zurückgezogen. Manche seien erschöpft gewesen, in anderen Fällen sei der Bedarf an Hilfe auf Seiten der Ukrainer:inne n nicht mehr so gewesen. »Die waren beim Jobcenter oder in Sprachkurse eingebettet und nicht mehr so angewiesen auf Leute, die ihnen zeigen wie man ein Busticket kauft.« Die »grobe Orienueierung« sei da, inzwischen hätten viele für sie passende Maßnahmen gefunden. »Da ist eine gewisse Ruhe eingekehrt.« Mittelfristig, sagt Saxinger, müsse man sehen, »wie gut dass tatsächlich funktioniert, das ist auch nicht der absolute Selbstläufer.« Doch bisher, so sagt Saxinger, habe man bei den Ukrainer:innen »im Prinzip alles richtig gemacht.«

Eine Umfrage des BAMF von Ende 2022 bestätigt dies. 17 Prozent der Geflüchteten Ukrainer.innen im erwerbsfähigen Alter waren zum Befragungszeitpunkt erwerbstätig. Angesichts der Tatsache, dass die überwiegende Mehrheit der erwachsenen Geflüchteten Frauen ohne Partner (78 Prozent), aber mit minderjährigen Kindern (48 Prozent) sind, ist das ein hoher Wert. 71 Prozent der Beschäftigten übten eine Tätigkeit aus, die einen Berufs- oder Hochschulabschluss voraussetzt. 37 Prozent wollen für immer oder mehrere Jahre in Deutschland bleiben, 34 Prozent nach Kriegsende wieder gehen – die Mehrheit zurück in die Ukraine – und 27 Prozent sind noch unentschieden. Die Hälfte der Befragten besucht aber bereits einen Deutschkurs, Nur wenige haben zum Befragungszeitpunkt gute Deutschkenntnisse (5 Prozent). Die Geflüchteten äußern insbesondere Unterstützungsbedarf beim Erlernen der deutschen Sprache, der Arbeitssuche, der medizinischen Versorgung und der Wohnungssuche. Sie bewerten ihren Gesundheitszustand überwiegend als gut, ihre Lebenszufriedenheit ist im Vergleich zur deutschen Bevölkerung aber deutlich geringer. Auch das psychische Wohlbefinden der Kinder fällt im Vergleich zu anderen Kindern in Deutschland niedrig aus. In 92 Prozent der Familien mit Kindern im schulpflichtigen Alter besucht mindestens ein Kind eine Schule in Deutschland.

Es ist ein angesichts der Umstände nicht schlechtes Gesamtbild. Doch viele – gerade besonders Engagierte – haben heute Mühe, das zu schätzen. Sie beschämt vielmehr, wie die Gesellschaften Europas in kürzester Zeit und ohne größere Diskussionen fast 5 Millionen Flüchtende aufzunehmen bereit waren, während gleichzeitig sehr viel geringere Zahlen Ankommender aus anderen Weltregionen an den Außengrenzen mit teils äußerster Brutalität abgewehrt werden – eine immer weiter anschwellender Zahl von Todesopfern inklusive.

Claudia Gessl aus Nürnberg versucht, auch anderes zu sehen. Der Umgang mit den Ukrainer:innen zeige, »dass es möglich ist, dass man eine Million aufnehmen kann, wenn sie von Anfang an gleiche Rechte kriegen, Zugang haben, nicht diskriminiert werden, nicht im Lager leben müssen, sich ohne Residenzpflicht bewegen können und nicht kriminalisiert werden,” sagt sie. »Freie Wohnortwahl, wenn man das alles hat, Deutschkurse umsonst, Arbeitserlaubnis – wie schnell das alles gehen kann, wie schnell das dann flutscht. Keine Hetzte, kein Stigma. Ein supergutes Zeichen, dass es geht.«

Markus Saxinger aus Bremen sieht das ähnlich. »Was bei den Ukrainer:innen gepasst hat, könnte man mit Menschen aus anderen Herkunftsländern auch machen. Das würde auch so geräuschlos funktionieren. Aber das das will man halt nicht.«

  • Volume: 7
  • Issue: 2
  • Year: 2023


Christian Jakob, *1979, ist seit 2006 Redakteur bei der taz, mit Schwerpunkt auf Migrationsthemen. 2022 gab er den Atlas der Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit heraus, 2023 schrieb er mit am Atlas der Zivilgesellschaft von Brot für die Welt mit dem Schwerpunkt Kriminalisierung von Migrations-Solidarität. Im September 2023 erschien im Ch. Links-Verlag “Endzeit”, eine Kritik am Fatalismus in der Polykrise. Er lebt in Berlin.