»Integrationsregime in der Arbeitswelt«

Ein Plädoyer für die Überwindung des neoliberalen Integrationsparadigmas

Stefania Animento

In Zeiten von multiplen Krisen und gesellschaftlichen Erschütterungen wird von vielen Seiten auf ein neues Verständnis von Migration, Mobilität und gesellschaftlichem Miteinander gehofft. Die kritische Migrations- und Grenzforschung ist aktiv daran beteiligt, dominante Erklärmuster in Frage zu stellen und Wissen zu generieren, das ermöglichen soll, radikale Forderungen formulieren zu können. Dabei wird das Konzept der Integration, das nun seit Jahrzehnten die dominante Perspektive auf Migration in den institutionellen und politischen Sphären darstellt, schon lange kritisiert, dekonstruiert und abgelehnt (Hess 2009).

Doch gerade wenn man behaupten könnte, dass das Integrationsparadigma nun endgültig überwunden sei, scheint dessen erklärendes Potential so groß zu sein, dass der Diskurs um Integration immer wieder aktiviert werden kann. Anlässe können sehr unterschiedlich sein, von einer zeitlich und räumlich abgrenzbaren Episode wie die Ausschreitungen an der Silvesternacht 2022 im Berliner Viertel Neukölln (Bojadžijev/Celikates 2022) bis hin zu den neuen Massenfluchtbewegungen, die Deutschland in dem letzten Jahrzehnt erreicht haben (Fontanari 2022).

In der Integrationsdebatte spalten sich Wissenschaft, Medienlandschaft und Politik diskursiv immer wieder in zwei Teile. Die einen entscheiden sich für das (hier vereinfachte) Argument »Migrant*innen sind gut«, oder, in der wirtschaftlich-orientierten Version, »wir brauchen Migrant*innen«. Die anderen vertreten die rechte bis rechtsextremistische Position, die derzeit zunehmend stark prosperiert, nach der Migration abgelehnt wird und Migrant*innen kriminalisiert und abgeschoben werden sollen.

Das Buch »Integrationsregime in der Arbeitswelt – Eine Ethnographie migrantischer Praktiken der Selbstständigkeit in Norditalien«, verfasst von Marika Pierdicca, wendet sich gegen die Wiederbelebung des Integrationsparadigmas, unabhängig davon, um welchen Standpunkt es geht. Durch ihre detaillierte und vielfältige Forschungsarbeit demonstriert die Autorin, dass sich in der Integrationsdebatte zu positionieren, ohne deren Grundlagen radikal infrage zu stellen, bedeutet, trotz guter Absichten ein auf Differenzierung, Rassifizierung und Diskriminierung beruhendes Integrationsregime zu affirmieren (S. 333).

Das Buch basiert im Wesentlichen auf einer Ethnographie migrantischer Selbstständigkeit, die zwischen 2012 und 2014 in Norditalien (in den Provinzen Mailand, Bergamo, Pavia und Brescia) mit überwiegend rumänischen Unternehmer*innen durchgeführt wurde. Pierdiccas Arbeit versteht sich allerdings als concept work, bzw. als Zusammenstellung verschiedener empirischer und konzeptueller Elemente, die eine grundlegende Problematisierung des Integrationsbegriffes im Foucaultschen Sinne ermöglichen. Anstatt die Frage zu stellen, ob und wie Migrant*innen integriert seien, wird Integration selbst zum Problem der Forschung gemacht (S. 39).

Das Buch ist in zwei Teile gegliedert und enthält drei voneinander getrennte Komponenten:

  1. eine theoretische Einrahmung, durch die das Integrationsregime theoretisch verortet wird (Kap. I);

  2. eine Genealogie der Migrations- und Integrationspolitiken in Italien seit den 1980er Jahren (Kap. II und III);

  3. die Ethnographie, in der die Ausarbeitung der Hauptthesen des Buches empirisch dargelegt wird (Kap. IV bis VII).

Die Arbeit, die erfreulicherweise Open Access veröffentlicht wurde, bietet eine gelungene Grundlage für eine effektive Überwindung des Integrationsparadigmas. Sie belegt wissenschaftlich, politisch und empirisch, dass Integration nicht als eigenständiger gesellschaftlicher Prozess, sondern u.a. als auf Widersprüchen beruhendes Subjektivierungsregime (41ff., 361ff.), »Scheindiskurs« (176ff.), und Performanz (Kap. IV) zu verstehen ist. Dadurch erzielt die Autorin eine »Verkomplizierung der Integrationsforschung« (414). Pierdiccas Arbeit beleuchtet das komplexe machtpolitische Gefüge, in dem Integration als Erklärung entstanden ist und dekonstruiert damit die These, dass man von Integration als einem neutralen gesellschaftlichen Prozess sprechen könne. Sie analysiert jedoch eine Vielzahl von kontingenten Praktiken, Diskursen, Strategien und Narrativen, die sich im neoliberalen Integrationsregime wechselseitig bedingen. Im Mittelpunkt steht dabei die Untersuchung der Subjektivierungsprozesse, die Migrant*innen adressieren und denen sie sich nicht vollständig entziehen können. Was sie jedoch tun können und tatsächlich tun, ist, ihre eigenen Praktiken und Lebensentwürfe der Autonomie innerhalb dieses Regimes auszuüben.

In den folgenden Kapiteln werden die Hauptargumente des Buches dargelegt und ihr Beitrag zum wissenschaftlichen Forschungsfeld sowie zu politischen Debatten und Auseinandersetzungen erläutert.

Subjektivierung im neoliberalen Integrationsregime: die Aufrufung zur Selbstständigkeit

Die Arbeit bedient sich einer Vielfalt an theoretischen Ansätzen, vom Foucaultschen Konzept der Gouvernmentalität (Foucault 1982) über das Prekarisierungskonzept von Isabel Lorey (Lorey 2012) und den Ansatz der Autonomie der Migration (Hess/Kasparek 2010; Labor Migration 2014) bis zur Rassismuskritik von Manuela Bojadžijev (2008). Dank der herausragend ausgearbeiteten theoretischen Einrahmung werden Neoliberalismus, Prekarisierung der Arbeit und des Lebens allgemein mit Migration verbunden. Die biopolitische Matrix der neoliberalen Imperative der Integration wird als konstitutiver Gegensatz zur nekropolitischen Ablehnung der Migration betrachtet. Im italienischen Migrationsregime darf das neoliberale Integrations(an)gebot mit der Akzeptanz des Todes im Mittelmeer koexistieren. Dabei wird durch Prozesse der differentiellen Inklusion anhand der Prinzipien der Integrabilität und Deportabilität entschieden, welche Gruppen wie behandelt werden sollen.

Die Analyse konzentriert sich auf das Erste (die Integrabilität) und definiert einen Integrationsbegriff, der sich als Subjektivierungsregime verstehen lässt, in dem sowohl Unterdrückung als auch Entfaltung gleichzeitig geschieht. Wie im methodologischen Kapitel (Kap. III) dargestellt, übersetzt sich das Integrationsgebot in einen Imperativ, unternehmerisch und selbstständig zu werden. Hier wird darauf verwiesen, dass Selbstständigkeit keineswegs auf eine juristische Formel zu beschränken sei. Vielmehr heißt Selbstständigkeit im Kontext der Migration, sich in die Arbeit und durch die Arbeit zu integrieren, ein aktives unternehmerisches Selbst zu entwickeln und von etwaigen Hilfeleistungen unabhängig zu sein. Integration als Subjektivierungsprozess ruft aktive Subjekte hervor, die durch die Aneignung von Marktprinzipien ihren individuellen Weg hin zu dem Platz schaffen, der für sie in der Gesellschaft vorgesehen ist. Unternehmerisch zu sein bedeutet für Migrant*innen nicht, an die Spitze der Gesellschaft zu kommen, sondern stellt das Minimum an Leistung dar, das von den zu integrierenden Subjekten erwartet wird.

Sich integrieren bedeutet zunächst zu verstehen, was die Gesellschaft von einem erwartet, um sich darauffolgend dem anzupassen oder genauer gesagt, »die Erwartungen einer Mehrheitsgesellschaft affektiv zu regulieren (siehe Kapitel V), als unternehmerisches Subjekt aufzutreten (siehe Kapitel VI) und differentielle Inklusionsdynamiken am Arbeitsmarkt erkennen und navigieren zu müssen (siehe Kapitel VII)« (S. 29).

Das Interessante der These von Pierdicca liegt darin, dass sie theoretisch und empirisch zeigt, dass der Integrationsprozess der Migrant*innen als Labor für den Aufbau eines Arbeitsregimes dienen, das auf dem vom Staat losgelösten marktorientierten Unternehmertum beruht. Hier wird die Konzeptualisierung der autonomen Arbeit, die von postoperaistischen Autoren in den 1980er und 1990er Jahren entwickelt wurde, pointiert einbezogen. Bolognas und Fumagallis These der autonomen Arbeit der zweiten Generation (1997) besagt, dass sich seit dem Ende des Fordismus, auch dank der Forderungen von unten nach mehr Autonomie und Kreativität im Arbeitsleben eine Form der Selbstständigkeit etabliert hat, die, im Gegensatz zum Fordismus, nicht zur Sphäre des Besitzes, sondern zur Sphäre der Arbeit gehört. In anderen Worten wird autonom und unternehmerisch zu sein zunehmend verallgemeinert und »proletarisch«. Dieser Wandel lässt aber die kollektivierende Subjektivierungskultur der Arbeiterklasse hinter sich. Das migrantische Subjekt, durch multiple Formen der Prekarisierung betroffen, muss sich zunächst als fähig beweisen, mit diesem Wandel als Individuum umgehen zu können.

Allerdings bietet die neoliberale Subjektivierung den Migrant*innen auch Räume der Ermächtigung, wie Pierdicca in vielen Beispielen aus der ethnographischen Forschung entdeckt. Die Entscheidung der Forschungsprotagonist*innen, selbstständig zu werden, ist auch als Emanzipationsstrategie zu verstehen. Wie im Fall von Ionut, der sich der Überausbeutung durch den Arbeitgeber entzieht oder von Ioana, die vor der Entscheidung steht, einen befristeten Vertrag mit einem Arbeitgeber anzunehmen, der sie nicht respektiert und wertschätzt, oder sich selbstständig zu machen und etwas ganz Neues anzufangen und sich für die zweite Möglichkeit entscheidet. Beide Migrant*innen nehmen das Risiko der Selbstständigkeit in Kauf und üben die Flucht aus einem Arbeitsverhältnis, in dem sie lediglich Teil der rassifizierten Unterschicht sein können. Dafür übernehmen sie die performative Leistung der Integration, die im Folgenden erklärt wird. An dieser Stelle spielt die Perspektive der Autonomie der Migration eine zentrale Rolle, um das Integrationsregime mit der neoliberalen Prekarisierung der Arbeit in Verbindung zu setzen.

Affektives Auffangen im Integrationsregime

Eine weitere innovative These des Buches ist die des »affektiven Auffangen[s] im Integrationsregime« (Kap. V). Hier wird ein bestimmtes Konzept der immateriellen Arbeit genutzt, das sich aus der Dialektik zwischen intellektuellen und politischen Kämpfen in Italien ab den 1970er Jahren speist. Dabei fällt die Figur von Sergio Bologna auf, dessen Konzeptualisierung von Autonomie die Verbindungslinie zwischen Arbeit, Reproduktion und politischem Kampf darstellt.

Das Konzept der immateriellen Arbeit ermöglicht wiederum, das Verständnis von Gefühlsarbeit, das durch die wegweisende Arbeit von Hochschild (1983) popularisiert worden ist, zu erweitern. Demnach ist affektive Arbeit nicht ausschließlich in Verbindung mit Sorgearbeit und anderen als kognitiv eingestuften Formen der Arbeit zu verstehen. Die Stärke Pierdiccas Ansatz liegt darin, dass sie sich auf der Suche nach Formen der affektiven Arbeit in Sektoren wie Bauwesen, Installation, Instandhaltung, Sanitär- und Gasinstallation, Asbestsanierung und kleinen Dienstleistungs- und Transportunternehmen macht. Sektoren, die auch in der wissenschaftlichen Literatur immer noch überwiegend auf Tätigkeiten der materiellen Verarbeitung reduziert werden. Die Auszüge aus den Interviews zeigen ein komplexeres Bild dieser Tätigkeiten, gerade wenn sie von Unternehmer*innen durchgeführt werden, bei denen ein großer Aufwand für die Erbringung bestimmter performativer Leistungen betrieben wird. Dabei zeigt sich, dass die Performanz der interviewten rumänischen Unternehmer*innen gar nicht darauf zielt, sich wie Italiener*innen zu verhalten oder als italienisch betrachtet zu werden, sondern sich eher als die »guten Migrant*innen« zu verkaufen, die mehr und härter als ihre einheimischen Peers arbeiten, dafür weniger Geld verlangen und trotzdem nicht angeben oder auffallen. Die interviewten Unternehmer*innen zeigen Bewusstsein und Beherrschung dieser Tätigkeiten und sind kompetent darin, sich und ihre signifikanten Anderen in einem hierarchisierten und rassifizierten Arbeitsregime zu verorten bzw. zu integrieren. Die Anerkennung, dass gelebte Integration als Performanz zu verstehen ist, erbringt meines Erachtens einen starken Beitrag für die Überwindung des Integrationsparadigmas, indem sie Illusionen über die Möglichkeit einer |»authentischen« Forderung nach Integration obsolet macht (vgl. Bojadzijev/Celikates 2022).

Rassismus und Widerstand im neoliberalistischen Integrationsregime

Dass die Forschungsprotagonist*innen »multiple Diskriminierungsformen beherrschen« und »sie nach Bedarf reproduzieren können« (337) ist ein Beweis dafür, dass die rassistische und diskriminierende Normierung, die im Integrationsgebot enthalten ist, in alle Richtungen strahlt. Sich zu integrieren heißt demnach auch, rassistische Muster benutzen (zu müssen), um sich als integrierter zu zeigen als die anderen bzw. wie von der Autorin ausgedrückt, »anders als die anderen Anderen« zu sein (425). Die Erzählung der eigenen Erfolgsstory ist mit der Abwertung anderer Migrationsgeschichten verknüpft, die als gescheitert oder weniger leistungsfähig beschrieben werden. Die detaillierte Beschreibung der multiplen Grenzziehungen, durch die sich die Forschungsprotagonist*innen von den später migrierten rumänischen Migrant*innen, marokkanischen oder italienischen Arbeiter*innen distanzieren, zeigt diesen Prozess der Subjektivierung im rassistischen Integrationsregime.

Im strategischen Essentialismus verhaftet, verbleiben die Narrativen in einem Rahmen der Konkurrenz und der Individualisierung, die die Kollektivierung der eigenen Migrationsbiografie stark begrenzt. Integration bestätigt sich als Differenzierungsprozess, der Solidarisierung erschwert (64). Die Forschungsprotagonist*innen bewegen sich innerhalb des Integrationsregimes, versuchen es zu ihren Gunsten umzudrehen, stellen es aber nicht in Frage, sondern entwickeln ihre eigenen individualisierten Strategien, passen sich dabei jedoch dem dominanten neoliberalen Ethos an. Es stellt sich die Frage, wie kollektiver Widerstand auf diesen individuellen Wegen aufgebaut werden könnte. Wiederum demonstriert Pierdiccas Forschung, dass das neoliberale Integrationsregime letztendlich erfolgreich war, um einen Klassenkompromiss zwischen den »integrierbaren« Migrant*innen und dem italienischen Staat zu festigen. Die Forschung beantwortet jedoch nicht die Frage, wie die Narrative, Handlungen und Subjektivierungsprozesse derjenigen aussehen, die als »nicht integrierbar« gesehen werden und gleichzeitig aber nicht »deportierbar« sind, da sie über den Status der EU-Bürgerschaft verfügen, der ihnen Freizügigkeit und Niederlassungsfreiheit garantiert.

EU-Migration zwischen Freiheit und Unterwerfung

Der Aspekt der EU-Bürgerschaft wird an verschiedenen Stellen des Buches angesprochen. Die Forschungsprotagonist*innen der Ethnographie sind überwiegend rumänische Migranten*innen (mit Ausnahme der interviewten Berater*innen). Da die Ethnographie nur einen Teil der Arbeit von Pierdicca darstellt, gelingt es der Autorin, Migration und Integration jenseits einer spezifischen Nationalität auszuarbeiten. Dennoch wäre es wünschenswert gewesen, dass die Analyse sich mutiger mit dem Beitritt Rumäniens zur EU auseinandersetzt, trotz des Risikos, sich einer Kritik des methodologischen Nationalismus auszusetzen. Meines Erachtens bietet eine Untersuchung der Arbeits- und biographischen Narrativen der rumänischen Forschungsprotagonist*innen sehr spannende Erkenntnisse für die kritische Migrationsforschung, da sie nach Italien als Drittstaat-Migrant*innen eingereist sind und schließlich 2007 zu EU-Migrant*innen wurden. Eine vertiefte Analyse dieses Überganges könnte zeigen, wie sich die Einführung der Freizügigkeit auf ihr Leben und ihren Alltag ausgewirkt hat und was das für ihre Perspektiven auf Migration, Rückkehr, Haushalt und Familie bedeutet hat. Auf diese Fragen wird nur teilweise eingegangen, etwa wenn hervorgehoben wird, dass rumänische Migrant*innen nach dem EU-Beitritt mit einer Kriminalisierungswelle durch die Medien und Politik konfrontiert wurden, durch die ihre Legitimierung als »integrierbare« Migrant*innen diskreditiert wurde.

In Bezug auf das Konzept der differentiellen Inklusion wird außerdem festgestellt, dass rumänische Migrant*innen mit der Einführung der Freizügigkeit zwar nicht mehr deportierbar sind, aber dafür habe sich ihr Zugang zu sozialen und gesundheitlichen Leistungen erschwert (S. 366). Im Kapitel VII wird das Regime der EU-Binnenmigration aus der Perspektive von Sozialarbeiter*innen verschiedener Beratungsstellen thematisiert. Hier werden sehr interessante Aspekte beschrieben, vor allem die Widersprüche, Sackgassen und Gesetzlücken, die das Regime der differentiellen Inklusion am Beispiel der rumänischen bzw. EU-Migrant*innen in Italien in Gange setzen. Entgegen den Erwartungen erscheint der Beitritt in die EU für viele rumänische Migrant*innen nicht als Vorteil, sondern als erhöhter Druck auf ihre Arbeits- und Integrationsperformanz.

Außerdem wird gezeigt, wie der Zugang zu Ressourcen durch das Zusammenkommen des Wohnsitzes und die Prekarisierung von Arbeit für die zu EU-Migrant*innen gewordenen rumänischen Protagonist*innen erschwert wird. Der Berater der Caritas erzählt, dass sich die Praxis etabliert hat, dass Migrant*innen den Behörden für die Anmeldung einen Arbeitsvertrag vorlegen müssen. Gleichzeitig werden sie vom Arbeitgeber nach Ausweis und Meldebescheinigungen gefragt, um einen Arbeitsvertrag zu erhalten (369ff.). Schließlich scheint sich ein lokales informelles Grenzregime herausgebildet zu haben, nach dem Migrant*innen einerseits oft nur illegalisierte Arbeit angeboten wird, ihnen andererseits aber trotz Arbeit der Zugang zu sozialen Rechten verwehrt wird. Die Entstehung lokaler Mechanismen der differentiellen Inklusion von EU-Bürger*innen wird auch in meiner eigenen Forschung über den Zugang zu Wohnraum und Arbeit für italienische Migrant*innen in Berlin deutlich (Animento 2019). Hier erweist sich der Zugang zur Anmeldung als ein zentrales Element der differentiellen Inklusion/Exklusion, das jedoch stärker mit dem zunehmend umkämpften Wohnungsmarkt verbunden ist und die Prekarität der Neuangekommenen verstärkt (Animento 2019). In der Untersuchung über rumänische Migrant*innen in Norditalien sind, ähnlich wie bei italienischen Migrant*innen in Berlin, eigene Ressourcen und individuelle Stärke die Voraussetzung dafür, dass sie sich als legitime Migrant*innen präsentieren dürfen, die auch bleiben können, selbst wenn sie formal zum Aufenthalt berechtigt sind (369).

Die Auswirkungen der Einführung der Freizügigkeit zeigen kontraintuitive Aspekte, die umso interessanter sind, um zu verstehen, was passieren könnte, wenn eine radikale Forderung nach Freizügigkeit tatsächlich umgesetzt werden könnte. Es kann vorsichtig argumentiert werden, dass Freizügigkeit ohne universellen Zugang zu sozialen Rechten und im neoliberalen Regime die rassifizierte und klassistische Differenzierung von Migrant*innen nicht eliminieren würde.

Migrations- und Integrationspolitiken in Italien

Abschließend möchte ich auf die Kapitel II und III verweisen, die eine detaillierte Genealogie der Integrations- und Migrationspolitik in Italien bieten. Dabei wird auf die Gesetzgebung, die relevanten Akteur*innen und wichtigste Dynamiken eingegangen. Die italienische Integrationspolitik begann in den 1980er Jahren, als sich das Land noch hauptsächlich als Auswanderungsland verstand. Infolgedessen richtete sich das Foschi-Gesetz, das 1986 erstmals die Migration regulierte, sowohl auf italienische Arbeitskräfte im Ausland als auch auf migrantische Arbeitskräfte im Inland; damit wurde der Fokus auf den Zugang zu sozialen Rechten und auf die Arbeitssituation gelegt. In der Folgezeit wurde schrittweise ein Integrationsregime aufgebaut, dessen Entwicklung parallel zur Europäisierung des Grenzregimes und zur Neoliberalisierung des Arbeitsmarktes verläuft.

Der politische Rechtsruck, der in Italien in den 1990er Jahren mit Einstieg Silvio Berlusconis in die politische Landschaft begann, führte dazu, dass das erste Integrationsgesetz, das so genannte Bossi-Fini-Gesetz von 2002, in weiten Teilen bereits Ausdruck rechtspopulistischer Politik war. Schon damals zeigte sich eine enge Verbindung zwischen autoritärer Migrationspolitik und neoliberalen Arbeitsmarktreformen, die mit dem Biagi-Gesetz von 2003 die neoliberale Prekarisierung der Arbeitsmärkte weiter festgeschrieben wurde.

Pierdiccas These nach trägt die Entwicklung einer dualen Migrationspolitik – einerseits mit der nekropolitischen Kondition der Deportabilität, andererseits mit der biopolitischen Kondition der Integrabilität – zur Produktion des Subjektes der migrantischen Arbeitskraft bei, das bei der Durchsetzung der Prekarisierung der Arbeit einen Puffer gegenüber der nicht-migrantischen arbeitenden Bevölkerung bildet. Durch die Verbindung von Migrations- und Arbeitspolitik werden Migrant*innen als Versuchsgruppe für Prozesse der multiplen Prekarisierung zur Verfügung gestellt.

Die Kapitel über Integrations- und Migrationspolitik stellen eine wichtige Ressource und Grundlage für vergleichende Arbeiten dar, die sich aus einer kritischen migrationswissenschaftlichen Perspektive mit einer italienischen Fallstudie auseinandersetzen wollen. Leider bleiben sie etwas losgelöst von dem ethnographischen Teil. Ein direkter Bezug auf die Interviewpassagen, die sich direkt auf integrationspolitische Ereignisse beziehen, wäre wünschenswert gewesen, um den Zusammenhang zwischen staatlicher Politik und Migrationsautonomie zu verdeutlichen.

Empfehlung

Das Buch Integrationsregime in der Arbeitswelt von Marika Pierdicca bietet sowohl eine scharfe Kritik am Integrationsparadigma als auch eine innovative Sicht auf migrantische Selbstständigkeit jenseits des Ansatzes des ethnic business. Die Autorin zeigt dank der theoretischen, genealogischen und ethnographischen Dimensionen der Untersuchung, dass Migrant*innen Strategien, Handlungen und Performanzen both against and within des Integrationsregimes aushandeln. Pierdicca schafft es, die Perspektive der Migrant*innen ins Zentrum ihrer Arbeit zu stellen, und vermeidet dadurch, sie als Opfer darzustellen. Dem Buch gelingt es außerdem, die Kritik am Neoliberalismus und an der Regierungsführung eng mit kritischen Migrations- und Grenzforschungen zu verbinden und bietet deshalb eine zentrale Ressource für Wissenschaftler*innen, die sich in diesen Wissensbereichen bewegen.

Doktorand*innen und Nachwuchswissenschaftler*innen, die vor der Aufgabe stehen, die eigene Dissertation zu schreiben oder sie in eine Publikation umzusetzen, wird die Lektüre des Buches empfohlen. Der Aufbau des Buches ist sehr eng an das Dissertationsformat angelehnt, was die Lektüre etwas mühsam macht. Allerdings ist das Buch auch thematisch gut strukturiert, sodass es sich als ideale Ressource für Lehre und Recherchearbeit eignet.

Schließlich ist das Buch, insbesondere das Kapitel VII, auch als Grundlage für Selbstreflektion und Weiterbildung von Akteur*innen aus der Praxis, vor allem für Beratungsstellen und aktivistische Organisationen, die sich mit den Themen Migration und Arbeit beschäftigen, relevant.

Ausblick

Die Analyse des Bestehenden, die sich durch das gesamte Buch zieht, wird durch ein kurzes Schlusskapitel abgeschlossen, in dem eine radikale Forderung nach der gesetzlichen Verankerung der Freizügigkeit (ius migrandi) erhoben wird. Als theoretische Grundlage werden die Konzepte der Commons und der Conviviality erwähnt. Leider muss festgestellt werden, dass eine solche Forderung gegenwärtig in der Sphäre der Utopie verbleibt, da sich gerade weder ein Subjekt herausbildet, das sie erheben will, noch die Bedingungen gegeben sind, um ein solches Gesetz irgendwo auf der Erde in Kraft treten zu lassen. Auch die ethnographische Forschung zu migrantischen Unternehmer*innen bietet kaum Anhaltspunkte für kollektive Subjektivierungsprozesse. Allerdings gibt es einen »Protagonismus der Migrant*innen«, der, wenn auch individualistisch, in den zitierten Arbeitsnarrativen auftaucht und der in Italien sicherlich in den kollektiven Arbeitskämpfen in Bereichen wie Landwirtschaft und Logistik zum Ausdruck kommt. Auch die Wiederbelebung anti-rassistischer Bewegungen aufgrund der dramatischen Zunahme von Morden und Anschlägen mit rechtsextremistischem Hintergrund, die in den vergangenen Jahren auf rassifizierte Menschen ausgeübt wurden, ist ein Beleg dafür, dass die neoliberale Anrufung zum unternehmerischen Selbst aus der Ferne nicht genügt, um die migrantischen Arbeitskräfte vollständig zu unterwerfen.

Unbeantwortet bleibt jedoch die Frage, was aus einer hypothetischen Überwindung des neoliberalen Paradigmas entstehen könnte, und wie die im Buch präsentierten Auseinandersetzungen der migrantischen Arbeiter*innen mit Selbstständigkeit und Unterwerfung zu Forderungen nach einer Überwindung des Integrationsregimes führen können. Die gegenwärtige Phase mit einer offenen rechtsextremistischen Regierung, die nationalistische, rassistische, antifeministische und neoliberale Politiken zusammenbringt, deutet auf eine Zuspitzung der Verhältnisse zwischen sozialen Bewegungen jeglicher Coleur und staatlichen Institutionen hin. Sicherlich bietet der Blick auf Italien aus der Perspektive der deutschsprachigen kritischen Migrations- und Grenzforschung Anreize, mögliche Tendenzen auf beiden Seiten frühzeitig zu erkennen und zu analysieren. Das Buch Integrationsregime in der Arbeitswelt von Marika Pierdicca stellt dabei einen sehr guten und gelungenen Beitrag dar, um die transnationale Kritik an den herrschenden Zuständen voranzutreiben.

Pierdicca, Marika (2022): Integrationsregime in der Arbeitswelt - Eine Ethnographie migrantischer Praktiken der Selbstständigkeit in Norditalien. Münster: Büchner, 452 Seiten (Open Access).

Literatur

Animento, Stefania (2021): Bringing Movement into Class Analysis. The Case of Young Italian Migrants Living in Berlin. E-Doc Server HU Berlin.

Bojadžijev, Manuela (2008): Die windige Internationale. Rassismus und Kämpfe der Migration. Münster.

Bojadžijev, Manuela / Celikates, Robin (2022): Spaltung von oben. Zur anti-demokratischen und rassistischen Logik der Integration. Geschichte der Gegenwart. geschichtedergegenwart.ch.

Bologna, Sergio / Fumagalli, Andrea (Hg.) (1997): Il lavoro autonomo di seconda generazione. Scenari del postfordismo in Italia. Mailand.

Fontanari, Elena (2022): Germany, year 2020. The tension between asylum right, border control, and economy, through the imperative of deservingness. In: Migration Studies 10 (4). 766–788

Foucault, Michel (1982): The Subject and Power, in: Dreyfus, Hubert und Rabinow, Paul: Michel Foucault. Beyond Structuralism and Hermeneutics, Chicago. 208–228.

Hess, Sabine / Binder, Jana / Moser, Johannes (Hg.) (2009): No Integration?! Kulturwissenschaftliche Beiträge zur Integrationsdebatte in Europa. Bielefeld.

Hess, Sabine / Kasparek, Bernd (Hg.) (2010): Grenzregime. Diskurse, Praktiken, Institutionen in Europa. Berlin 2010.

Hochschild, Arlie (1983): The managed heart: Commercialization of human feeling. Berkeley.

Labor Migration (Hg.) (2014): Vom Rand ins Zentrum. Perspektiven einer kritischen Migrationsforschung. Berlin.

Lorey, Isabell (2012): Die Regierung der Prekären. Mit einem Vorwort von Judith Butler. Wien/ Berlin.

  • Volume: 7
  • Issue: 2
  • Year: 2023


Stefania Animento ist Stadtsoziologin. In ihrer Dissertation untersuchte sie den Zugang zu Arbeit und Wohnen junger Italiener:innen, die im Zuge der Finanz- und Eurokrise nach Berlin gezogen sind. Sie interessiert sich außerdem für die Auswirkungen von Digitalisierung auf Stadt, Migration, Arbeit und soziale Klasse.