Abstract The article deals with the ongoing digitalization and automation of border controls and surveillance and the planning of an interoperable surveillance infrastructure. It argues that these politics have implications that extend beyond the field of migration and border policy. Moreover, it claims that it is necessary to consider these dynamics of the European border regime in the context of the continuing crisis of the »European state project« within the light of another project: a European security regime. Expanding a materialist state theoretical perspective through a postcolonial perspective on the field of (in)security production, this contribution proposes a novel perspective on the European border. The article shows that the European border regime can be understood as a laboratory for networked policing in the Schengen area. In this laboratory, specific techniques of surveillance and control are tested on racialized groups to rationalize the border itself. At the same time, the knowledge produced within this laboratory tends to be expanded in its utility, so that the establishment of the smart borders project can be understood as the foundation of an interoperable surveillance infrastructure within a digitized and racialized European security regime.
Keywords European border regime, Smart Borders, security production, Europeanization, postcolonial laboratories
Digitale Informationssysteme und Datenbanken gehören bereits seit der Europäisierung der Grenz- und Migrationspolitik zur Architektur des europäischen Grenzregimes (vgl. Bigo 2020; Derave/Genicot/Hetmanska 2022). Spätestens seit 2015 sind vor dem Hintergrund der herrschenden Krise eben jenes Grenzregimes Dynamiken zu beobachten, die in ihren Implikationen über das Feld der Migrations- und Grenzpolitik hinausreichen. Der Begriff der Smart Borders, der hier allgemein den »Einsatz neuer digitaler Techniken zur Überwachung und Kontrolle an Grenzen« (Mau 2021: 99) umschreiben soll, bezeichnet eben ein solches politisches Projekt. Erstmals 2013 initiiert, beinhaltet dieses Projekt zum einen die Etablierung neuer Systeme zur Digitalisierung und Automatisierung der Grenzkontrollen (vgl. Vavoula 2020), so etwa das ursprünglich für 2022 geplante, aber jüngst erneut auf 2025 verschobene Europäische Entry-/Exit-System (EES). Dieses soll mittels automatisierter Scans von Fingerabdrücken, Gesichtern und Reisedokumenten Daten über Grenzübertritte von allen Drittstaaten-Angehörigen sammeln, die sich für einen kurzen Zeitraum in der EU aufhalten und die Grenzkontrollen digitalisieren und automatisieren (vgl. Vavoula 2020; Monroy 2021a). Auch das European Travel Information and Authorisation System (ETIAS) ist ein Einreisesystem, dessen Einführung von 2023 auf 2025 verschoben wurde. Anhand von diversen Daten von Personen aus visabefreiten Staaten, die in die EU einreisen wollen, nimmt es ein automatisiertes Risiko-Profiling vor, um dann die Einreise entweder zu gestatten oder zu verwehren (vgl. Derave/Genicot/Hetmanska 2022). Neben der Etablierung dieser neuen Kontrollsysteme geht es im Rahmen des Projekts der Smart Borders zum anderen um die Vernetzung verschiedener, bereits seit längerer Zeit etablierter Daten- und Informationssysteme. Konkret soll das »Puzzle« (Vavoula 2020: 348) der verschiedenen, bereits operablen Informationssysteme und Datenbanken1 effizienter zusammengefügt werden, um über die angestrebte Interoperabilität2 gegenseitige Unterstützungseffekte zu produzieren und so etwaige Informationslücken zu schließen (vgl. Europäische Kommission 2016). Diese Interoperabilität soll nicht nur der Migrationsregulierung und -überwachung dienen, sondern zielt explizit auch auf die Produktion innerer ›Sicherheit‹ durch eine gesteigerte Vernetzung der polizeilichen Kooperation im Schengenraum ab (vgl. Europäisches Parlament/Rat der EU 2019).
Hier will der vorliegende Beitrag ansetzen und anhand einer Betrachtung der Smart Borders eine neuartige Perspektive auf das europäische Grenzregime vorschlagen. Dafür wird eine materialistisch-staatstheoretische Perspektive auf die Kämpfe um Migrationspolitik und die sich verändernden Kräfteverhältnisse innerhalb des »europäischen Staatsapparate-Ensembles« (Forschungsgruppe »Staatsprojekt Europa« 2014: 254) durch eine postkoloniale Perspektive auf die Polizei sowie das Feld der (Un-)Sicherheitsproduktion erweitert. Der so etablierte Blickwinkel ermöglicht es, das europäische Grenzregime als ein Laboratorium zu begreifen, in dem einerseits neuartige Technologien zur Kontrolle und Überwachung von Migrant*innen getestet werden, die das Grenzregime selbst ›smartifizieren‹ sollen. Das Konzept des (post-)kolonialen Laboratoriums erlaubt es anderseits, diese neuartigen Techniken sowie die geschaffene Infrastruktur an Informationssystemen und Datenbanken auch als Wegbereiter für ein digitalisiertes und rassifiziertes europäisches Sicherheitsregime zu begreifen.
Das europäische Grenzregime unter dem Einfluss sich verschiebender Kräfteverhältnisse
Die Beschaffenheit und Ausformung des europäischen Grenzregimes hängt von den Kämpfen um Migrationspolitik sowie den politischen Kräfteverhältnissen innerhalb des europäischen Staatsapparate-Ensembles ab (vgl. Buckel et al. 2014). Es ist dieses Staatsapparate-Ensemble, verstanden als »materielle Verdichtung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse« (Poulantzas [1978] 2002: 154), in dem sich miteinander konkurrierende nationalstaatliche und europäische Apparate im Rahmen des »Staatsprojekts-Europa« (Buckel et al. 2014: 83) in einer kohärenten Struktur zusammenzufügen versuchen (vgl. ebd.). Die Europäisierung der Migrations- und Grenzpolitik kann als ein Versuch verstanden werden, eine solche Kohärenz herzustellen (vgl. ebd.). Mit dieser Europäisierung ging auch die Schaffung neuer europäischer Apparate einher.3
Die aktuellen Dynamiken rund um das Projekt der Smart Borders müssen vor dem Hintergrund der Krise dieses Staatsprojekts verstanden werden, die in ihrer Dynamik insbesondere durch die Krise der europäisierten Migrations- und Grenzpolitik ausgelöst wurde. Als die »tief verankerte Hegemonie der Grenze« (Huke/Lüddemann/Wissel 2014: 169) beziehungsweise die hegemoniale, »europäische Imagination der Grenze« (Buckel 2018: 437) im Sommer 2015 unter Druck geriet (vgl. ebd.), destabilisierte sich damit auch die spezifisch-historische regulatorische Ausgestaltung eines globalen Nord-Süd-Verhältnisses. Als »verdinglichtes[s] soziale[s] Verhältnis« (ebd.: 438) sollte das Grenzregime insbesondere die global betrachtete »neokoloniale Arbeitsteilung« (Buckel 2015: 39) institutionell absichern. Durch diverse Kooperationen zwischen der EU und zumeist postkolonialen Staaten wurde das Grenzregime externalisiert, um die Verantwortlichkeit und die »Gefahr unangenehmer Bilder« (Wolff 2014: 148) zu verlagern, indem Migrant*innen möglichst früh auf ihrem Weg nach Europa aufgehalten werden sollten. Parallel zur Externalisierung erfolgten im Zuge des Zusammenbruchs des innereuropäischen Grenzregimes teilweise Re-Nationalisierungen nationalstaatlicher Grenz- und Migrationspolitiken, die den Schengenraum als europäisches Wachstums- beziehungsweise Akkumulationsmodell gefährdeten und damit die ohnehin nur prekäre Kohärenz des Staatsprojekts Europa destabilisierten (vgl. Kasparek 2018; Georgi 2019). Die konflikthafte und teils autoritäre Bearbeitung der seit 2008 herrschenden Finanz- und Wirtschaftskrise befand sich 2015 ebenfalls auf einem Höhepunkt (vgl. Buckel 2018). Die Melange aus der Krise des Grenzregimes sowie der allgemeinen Krise des neoliberalen Entwicklungsmodells, stellte nicht nur die Handlungsfähigkeit des europäischen Staatsapparate-Ensembles in Frage, sondern auch das Staatsprojekt Europa unter der Hegemonie einer neoliberalen Integrationsweise als solches (vgl. Oberndorfer 2019). Die von dieser multiplen Krisenlage produzierte Verunsicherung wird seither von rechtspopulistischen bis rechtsradikalen Parteien und Bewegungen genutzt, um gegen Migrant*innen, eine imaginierte drohende ›Islamisierung‹ oder auch das ›Establishment in Brüssel‹ zu mobilisieren (vgl. ebd.).
Ausdruck der Veränderung der politischen Kräfteverhältnisse in Europa gibt die hegemoniale Deutung der Ereignisse des Sommers der Migration 2015. Denn die Deutung der Ereignisse dieses Jahres als krisenhafter ›Ausnahmezustand‹4 wurde nicht zuletzt durch eine Verschiebung des öffentlichen Diskurses über Flucht und Migration möglich gemacht. Migration wird seitdem immer wieder mit Terrorismus, sexualisierter Gewalt und der imaginierten Bedrohung einer ›Islamisierung‹ in Zusammenhang gebracht (vgl. Buckel et al. 2021). Das Jahr 2015 wird seither von konservativen bis rechtsradikalen Akteur*innen als Drohszenario eines ›Kontrollverlusts‹ und eines ›Notstandes‹ genutzt, um über die Erzeugung einer »Moral Panic« (Hall et al. 1978: 16) zu mobilisieren und politische Maßnahmen der Militarisierung und die Ausübung scheinbar legitimer Gewalt gegenüber den ankommenden rassifizierten ›Anderen‹ aus postkolonialen Staaten möglich zu machen (vgl. Davitti 2019; Buckel et al. 2021). Durch die Umgehung von Gesetzen bis hin zu offenen Angriffen auf legale Praktiken, wurde unter einer losen Koalition von rechts-konservativen und neoliberalen Kräften damit begonnen, das europäische Grenzregime auf den »Ruinen des Alten« (Buckel 2018: 437) zu stabilisieren. Die Handlungsfähigkeit des europäischen Staatsapparate-Ensembles in einem zunehmend repressiven Modus der Krisenbearbeitung muss dadurch immer wieder unter Beweis gestellt werden (vgl. Hess/Kasparek 2019; Georgi 2019).
Spätestens seit der Krise des Grenzregimes 2015 und den terroristischen Anschlägen in Frankreich und Belgien von 2015 und 2016 sind dabei Dynamiken in der Etablierung eines weiteren Projekts beobachtbar: dem Projekt eines europäischen Sicherheitsregimes (vgl. Oberndorfer 2019; Bellanova/Glouftsios 2022).5 Im Sinne einer »passiven Revolution« (Gramsci [1991ff.] 2012: 1330) kann dieses Projekt als ein Versuch verstanden werden, die erstarkende politische Rechte in Europa einzuhegen. Unter der partiellen Übernahme rechter Diskurse, die wahrgenommene Gefühle der Unsicherheit und Verunsicherung adressieren und über eine angeblich notwendige ›Verteidigung der abendländischen Zivilisation‹ affektiv mobilisieren, werden eben jene Diskurse gegen die politische Rechte selbst gewendet. So könne vor den (imaginierten) Bedrohungen nur Europa schützen und nicht der einzelne Nationalstaat (vgl. Oberndorfer 2019). Dieser »neue Konsens« (ebd.: 233) soll die immer öfter infrage gestellte, aber für das neoliberale Projekt entscheidende Europäisierung absichern. Im Sinne Gramscis soll bewerkstelligt werden, die Partikularinteressen der hegemonialen politischen Kräfte zu retten, indem durch »Restaurationen […] ein […] gewisse[r] Teil der Forderungen« (Gramsci [1991ff.] 2012: 1330) eines gegnerischen Hegemonieprojekts aufgenommen wird. Durch die Einverleibung der Antithese zum eigenen Herrschaftsgefüge soll es diesem Herrschaftsgefüge also gelingen, sich nicht aufheben zu lassen (vgl. Oberndorfer 2019). Das Projekt eines europäischen Sicherheitsregimes, das »die ›Sicherheit der Bürger‹ und des Gebietes der Union in den Mittelpunkt« (ebd.: 231) rückt, soll etwaige Re-Nationalisierungsbestrebungen von Grenzregimepolitiken, aber auch der inneren Sicherheit als ›unverantwortlich‹ erscheinen lassen (vgl. ebd.). Vor dem Hintergrund der voranschreitenden Digitalisierung und Automatisierung des europäischen Grenzregimes lässt sich das Grenzregime dabei nicht nur als eine »Achse« (ebd.: 233) dieses Sicherheitsregimes begreifen. Vielmehr ist es die rassistisch aufgeladene Rede von einem ›Ausnahmezustand‹ an den Grenzen Europas, der die notwendige Wissensproduktion für die Etablierung eines digitalisierten und rassifizierten europäischen Sicherheitsregimes im europäischen Grenzregime als Laboratorium überhaupt erst möglich macht.
In der wissenschaftlichen Debatte um die digitale Transformation des europäischen Grenzregimes und der zunehmenden Versicherheitlichung von Migration in Europa wurde der Begriff des Laboratoriums bereits in verschiedenen Forschungskontexten verwendet (vgl. Bourne/Johnson/Lisle 2015; Hess/Kasparek 2017; Trauttmansdorff/Felt 2023). In den Science and Technology Studies (STS) steht der Begriff des Laboratoriums zumeist für netzwerkartige Stätten der staatlichen und privatwirtschaftlichen Wissensproduktion, -mediation und -distribution (vgl. Bourne/Johnson/Lisle 2015). Verstanden als Formen staatlicher ›Rechenzentren‹ (vgl. Latour 1999; Broeders/Dijstelbloem 2016: 247), werden in diesen Laboratorien mobile Subjekte und Gruppen in Datenströme übersetzt, die sich mit den Zielsetzungen der Regulation dieser Bewegungen, aber auch der ›Risikokalkulation‹ auswerten lassen (vgl. ebd.). Die so studierten und ›berechenbar‹ gemachten Objekte werden in verschiedenen Formen von Daten repräsentiert und scheinbar lesbar gemacht (vgl. ebd.). Dabei werden in diesem Zusammenhang quasi souveräne Entscheidungen darüber getroffen, in welcher Weise sich die Grenze der ›Zukunft‹ entwickeln soll (vgl. Bourne/Johnson/Lisle 2015; Trauttmansdorff/Felt 2023). Diese geteilten und um Hegemonie ringenden Zukunftsvisionen stehen im Zeichen eines technischen Solutionismus, der strukturelle Problemlagen als durch Innovationen ›lösbar‹ darstellt und gleichzeitig alternative Handlungsstrategien delegitimiert. Im Zusammenhang mit dem Projekt der Smart Borders ist die Rolle der EU-Agentur EU-LISA zentral. Im Hinblick auf Trauttmansdorff und Felts Forschung zu EU-LISA wird ersichtlich, dass die Schaffung einer digitalen Infrastruktur von Informations- und Überwachungssystemen auf europäischer Ebene langfristig einem ›höheren Zweck‹ dient (2023: 645). Es geht um die holistische Vision eines ›großen Ganzen‹, das sich aus den überlappenden Bereichen der Migrations- und Grenzkontrolle, sowie der Sphäre der inneren ›Sicherheit‹ zusammensetzen soll (ebd.).
An dieser Stelle führt dieser Text ein weiteres Konzept des Laboratoriums in die Debatte ein, das aus einer anderen Denkrichtung entstammt: einer postkolonialen Perspektive auf die Polizei und auf das Feld der (Un-)Sicherheitsproduktion (vgl. Müller 2012, 2014; Thompson 2018). Denn die Wissensproduktion innerhalb des europäischen Grenzregimes lässt sich auch als eine postkoloniale Dynamik verstehen. Die hier vorgebrachte Metapher des Laboratoriums basiert dabei weniger auf der Vorstellung eines konkreten, distanzierten Ortes der Wissensproduktion als auf einem bestimmten Herrschaftskontext unter der Legitimation eines Ausnahmezustands, in dem bestimmte Herrschaftspraktiken und -techniken experimentell (weiter-)entwickelt werden.
(Post-)koloniale Laboratorien der polizeilichen Wissensproduktion
Die Konstellation des Kolonialismus, die hier im Fokus der Betrachtung stehen soll, ist der europäische Kolonialismus ab dem 19. Jahrhundert. Es war dieser Kolonialismus im aufkommenden Kapitalismus, der auf die Erfahrungen der imperialen Herrschaft über Kolonialisierte mittels der Konstruktion rassifizierter und kulturalisierter Differenzen aufbaute und maßgeblich für die Hervorbringung von europäisch geprägten Ideen und Idealen der Moderne war (vgl. Cooper/Stoler 1997). Die im kolonialen Kontext der Herrschaft etablierte prinzipielle Ungleichbehandlung zwischen Kolonialisierten und Kolonisator*innen ermöglichte die Extraktion von Ressourcen sowie die Expropriation und Ausbeutung kolonialisierter, rassifizierter Subjekte unter Bedingungen, die in den kolonial-kapitalistischen Zentren Europas nicht mehr durchsetzbar waren (vgl. ebd.). Durch die konstruierte Ungleichwertigkeit zwischen weißen, ›zivilisierten‹ Kolonisator*innen und den im Gegensatz als nicht-weiß und ›nicht-zivilisiert‹ konstruierten Kolonisierten agierten die kolonialen Unterdrückungsregime in einem Modus des auf Dauer gestellten Ausnahmezustandes (vgl. Mbembe 2003). Die Unterschiedslosigkeit zwischen Recht und Gewalt im Namen der Aufrechterhaltung der öffentlichen ›Sicherheit‹ (vgl. Agamben 2018) war für die Kolonisierten also zumeist nicht die ›Ausnahme‹, sondern die Regel (vgl. Mbembe 2003). Diese »zweigeteilte Welt« (Fanon [1961] 1969: 29) wurde durch eine polizeiliche Grenzziehung organisiert, die zwischen den als schützenswert konstruierten, ›zivilisierten‹ Rechtssubjekten und den kolonialisierten ›Anderen‹ verlief. Dieser Kontext machte es möglich, Formen der experimentellen Wissensproduktion zu etablieren. Demnach begreifen Cooper und Stoler (1997: 5) die kolonialisierten Gebiete als »Laboratorien der Moderne«.6
Auch die Entstehung moderner Polizeiapparate ist eng mit der Wissensproduktion in kolonialen Herrschafts- und Ausbeutungsstrukturen verknüpft (vgl. Brogden 1987; Sinclair/Williams 2007; McCoy 2009). Die in den Kolonien erprobten Techniken und Methoden der Kontrolle und Repression kamen nicht nur in den Kolonien selbst zum Einsatz, sondern wurden oftmals in modifizierter Form in die kolonialen Zentren Europas re-importiert (vgl. Hönke/Müller 2012; Müller 2014). Es sind diese Dynamiken des transnationalen Wissenstransfers, die für die hier vorgebrachte Laboratoriums-Argumentation zentral sind. Denn durch die Transfers von Personal, Wissen und Erfahrungen zwischen den verschiedenen kolonialisierten Gebieten untereinander sowie den kolonialen Zentren (vgl. Sinclair/Williams 2007; Khalili 2010) wurde auch die Transformation der repressiven Apparate in den Zentren selbst vorbereitet und möglich gemacht (vgl. Hönke/Müller 2012; Müller 2014).7 So lässt sich sagen, dass insbesondere Polizeipraktiken im 19. und 20. Jahrhundert von dieser »cross-fertilization« (Hönke/Müller 2012: 387) zwischen den Kolonien und den kolonialen Zentren geprägt waren (vgl. ebd.; Sinclair/Williams 2007).
Die polizeilichen Wissenstransfers zwischen dem kolonialen Zentrum und den Peripherien, aber auch zwischen den verschiedenen Peripherien, waren essenziell dafür, bereits etablierte Modelle der Repression zu modifizieren und zu modernisieren. So verbreiteten sich etwa Strategien der Aufstandsbekämpfung, die im von Großbritannien besetzten Irland eingesetzt wurden, über den Transfer von polizeilichem Personal auch in anderen Gebieten des britischen Kolonialreichs, wie Indien, dem Mandatsgebiet Palästina und Malaysia, um dann auch im britischen Kernland selbst Anwendung zu finden (vgl. Sinclair/Williams 2007; Khalili 2010; Hönke/Müller 2012; Bell 2013). Es kann von einer gegenseitigen Beeinflussung von bestimmten Konzepten, Strategien und Techniken des Polizierens gesprochen werden, die sowohl in den kolonial-imperialen Peripherien als auch in den Metropolen des kolonialen Zentrums verbreitet waren (vgl. Brogden 1987; Sinclair/Williams 2007). Konkret geht es hierbei um (post-)koloniale Aufstandsbekämpfung (counter insurgency), kriminalistisches und geheimdienstliches Profiling und präventives Polizieren im Sinne einer vorgreifenden Repression, die auf angenommenen Risiken beruht (pre-crime) (vgl. Sinclair/Williams 2007; McCulloch/Pickering 2009; McCoy 2009; Khalili 2010). Auch die Nutzung von biometrischen Daten wie Fingerabdrücken zur Verifizierung von Identitäten ist eng mit der Wissensproduktion im kolonialen Kontext der Herrschaft verknüpft (vgl. Maguire 2009; Wienroth/Amelung 2023).8 Wissen über Techniken der Repression und Kontrolle reiste stetig zwischen dem Zentrum und den Peripherien hin und her, wobei die Kolonien als Laboratorien dienten, in denen eben jene Techniken getestet und modifiziert wurden, um sie später auch außerhalb des kolonialen Entstehungs- und Modernisierungskontexts einzusetzen (vgl. Hönke/Müller 2012; Blanchard 2014). Diese Dynamiken der polizeilichen Wissensproduktion unter einem auf Dauer gestellten Ausnahmezustand wirken auch über die Zeit des europäischen Kolonialismus hinaus.
Als Laboratorium für Methoden der Aufstandsbekämpfung kann beispielsweise Nord-Irland verstanden werden. Diese Methoden kamen anschließend auch in England zum Einsatz, um Widerstände gegen neoliberale Reformpolitiken in den 1980er Jahren polizeilich zu brechen (vgl. Bell 2013). Ähnliches gilt für den US-amerikanischen Kolonialismus auf den Philippinen, wo Methoden der geheimdienstlichen Aufstandsbekämpfung entwickelt und optimiert wurden, die später für die Errichtung eines modernen Überwachungsstaats im US-Amerikanischen Kernland genutzt wurden (McCoy 2009). Die polizeilichen Strategien der Kontrolle und des »Regierens eines imaginierten ›Anderen‹« (Müller 2014: 73) waren und sind also in ihrer Anwendung nicht auf diese ›Anderen‹ begrenzt.
Es ist analytisch produktiv, diese Perspektive auf die postkolonialen Wirkweisen polizeilicher Wissensproduktion auch auf die Wissensproduktion innerhalb des europäischen Grenzregimes anzuwenden. Denn wie die beschriebene Dynamik der Wissenstransfers hervorhebt, wird das unter der Legitimation eines Ausnahmezustands im ›Laboratorium‹ produzierte Wissen tendenziell auch in anderen Bereichen als ursprünglich vorgesehen anwendbar gemacht, wenn es einen politischen Willen und einen Handlungsraum dafür gibt.
Smart Borders und die Transformation des Grenzregimes
Die Smart Borders können als ein politisches Projekt verstanden werden, dass nach einer Managementlogik ›Lösungen‹ für Probleme der ›Sicherheit‹ vorschlägt, die mit ihrer scheinbaren statistischen Objektivität politischen Uneinigkeiten die Bedeutung abspricht. Smart Borders als digitalisierte und automatisierte Grenzen sollen insbesondere Daten über Menschen sammeln, speichern und bereitstellen, die transnational mobil sind und keine europäische Staatsbürgerschaft besitzen. Aus diesen Daten werden Profile angelegt, die es erlauben, auf der Basis spezifischer Kriterien Risiken zu identifizieren und gegebenenfalls Alarm zu schlagen, wenn eine vermeintlich ›risikoreiche Person‹ versucht, eine Grenze zu überqueren (vgl. Bigo 2020; Mau 2021; Everuss 2021; Derave/Genicot/Hetmanska 2022). Mittels künstlicher Intelligenz sollen Vorhersagen darüber möglich werden, wo Risiken auftreten könnten und von wem diese potenziell ausgehen (vgl. Bigo 2020). Die Daten, die im Rahmen der Smart Borders gesammelt, gespeichert und verarbeitet werden, umfassen neben Video-, Bild- und Audiodaten insbesondere auch diverse biometrische Daten. Mit diesen soll die Identität des betreffenden Individuums objektiv verifiziert werden können, ohne dabei auf Passdokumente angewiesen zu sein (vgl. Bigo 2020; Mau 2021). Die Funktionalität dieser »Datafizierung der Grenze« (Mau 2021: 109) wird durch verschiedene Datenbanken organisiert, die die genannten Daten speichern, systematisieren und die erstellten Profile mit konkreten Dokumenten wie Visa oder Pässen verknüpfen (vgl. Bigo 2020). Allerdings kann auch auf solche Datenbanken zugegriffen werden, die etwa Auskunft über begangene Straftaten der entsprechenden Personen geben (vgl. Mau 2021).
Die Etablierung und das Betreiben einzelner Datenbanken, die die Bereiche der Bekämpfung von Terrorismus, transnationaler Kriminalität und illegalisierter Migration verbinden, ist kein neues Phänomen. Bereits das Schengen-Informations-System (SIS) stellt diese Verbindung vor dem Hintergrund einer Versicherheitlichung von Migration her (vgl. Bigo 2020; Derave/Genicot/Hetmanska 2022). Die Neuartigkeit der hier beschriebenen Entwicklungsdynamik besteht vielmehr in der Etablierung dreier neuer Systeme sowie der Maßgabe der Interoperabilität. Die Interoperabilität zwischen den geplanten neuen und den bestehenden Datenbanken und Informationssystemen ist für die Funktionsweise der Smart Borders essenziell (vgl. Europäische Kommission 2016). Diese Vernetzung und Harmonisierung kann auch als die Grundlage verstanden werden, auf der eine Kohärenz zwischen verschiedenen nationalstaatlichen und europäischen Apparaten errichtet werden soll (vgl. Bellanova/Glouftsios 2022). Durch die Verknüpfung von Migrationssteuerung, Grenzkontrollpolitik, Strafverfolgung und Terrorismusabwehr wird der Rahmen für eine Infrastruktur aus vernetzten Informationssystemen und Datenbanken gesetzt, deren engmaschiges Netz der Überwachung etwaige Informations- und Überwachungs-, beziehungsweise ›Sicherheitslücken‹ schließen soll (vgl. Europäische Kommission 2016). Die Entwicklung und Einführung neuer Systeme zur Grenzüberwachung und -kontrolle sind also vor dem Hintergrund der Krise des Grenzregimes und des Staatsprojekts Europa ab 2015 sowie den damit verbundenen Schüben der Versicherheitlichung nach den Terroranschlägen in Paris und Brüssel 2015 und 2016 zu betrachten. Die geplanten und teilweise schon operablen, in Pilotprojekten erfolgreich getesteten (vgl. Monroy 2021a) neuen Systeme stoßen in einen Handlungsraum vor, der sich erst durch diese Krisenlage politisch eröffnet hat. Sie sollen das Grenzregime durch eine Digitalisierung und Automatisierung der Überwachung und Kontrolle ›optimieren‹ und ›effizienter‹ gestalten, beziehungsweise ›smartifizieren‹.
Das Entry-Exit-System (EES) soll Daten über Drittstaatenangehörige sammeln, die die Außengrenze der EU überqueren und sich für einen relativ kurzen Zeitraum von bis zu 90 Tagen im Schengenraum aufhalten (vgl. Derave/Genicot/Hetmanska 2022). Das European Criminal Records Information System for Third-Country Nationals (ECRIS-TCN) hingegen soll Informationen über Einträge in Strafregistern von Nicht-EU-Bürger*innen sammeln (vgl. ebd.).9 Das European Travel Authorisation System (ETIAS) wird neue Rahmenbedingungen für die Einreise von Nicht-EU-Bürger*innen aus visa-befreiten Staaten festlegen, die bisher ohne vorherige Autorisierung in den Schengenraum einreisen konnten (vgl. ebd.). In über 20 Feldern, die von Bewerber*innen ausgefüllt werden müssen, werden Identitätsdaten, Kontaktdaten, Reisedokumente, persönliche Daten wie der Geburtsort, Spitznamen und die Namen der Eltern, aber auch der Bildungsgrad, der aktuelle Beruf, sowie Gesundheitsdaten erhoben (vgl. ebd.). Im Anschluss an die Datenerhebung soll ETIAS drei verschiedene Analysen anstellen: erstens eine vergangenheitsorientierte Analyse, die das erhobene Datenprofil mit Daten aus den anderen Datenbanken abgleicht; zweitens eine hybride, vergangenheits- und zukunftsorientierte Analyse, in der die erste Analyse um Daten über Personen erweitert wird, die statistisch in der Zukunft eine Straftat begehen könnten; und schließlich drittens eine zukunftsorientierte Analyse, die auf Grundlage des ermittelten Profils feststellen soll, ob eine Person ein ›Risiko‹ darstellt, etwa weil das System zu dem Schluss kommt, dass die Gefahr einer illegalen Einreise oder eines illegal verlängerten Aufenthalts gegeben ist (vgl. ebd.). Am Beispiel des ETIAS wird deutlich, dass die Interoperabilität zwischen den verschiedenen Datenbanken für die Funktionsweise der Smart Borders zentral ist. Dabei wird das Common Identity Repository (CIR) das neue Herzstück der interoperablen Daten- und Informationsstruktur im Schengenraum sein (vgl. ebd.). Mit dem CIR sollen die gesammelten und systematisierten Daten in einer Datenbank zentralisiert werden, die für jede erfasste Person ein abrufbares Profil erstellt (vgl. ebd.).
Durch die so möglich gemachte »Dataveillance« (Amoore 2006: 339) soll das Grenzregime als Filter, der Mobilität nach utilitaristischen Kriterien reguliert, effizienter gestaltet und statistisch rationalisiert werden (vgl. Mau 2021). Das Grenzregime als spezifischer Regulationsversuch eines globalen Nord-Süd-Verhältnisses bleibt somit weiterhin semipermeabel. Die gleichzeitige Offen- und Geschlossenheit des europäischen Grenzregimes vor dem Hintergrund des Projekts des ›Migrationsmanagements‹ (vgl. Buckel 2013) wird digitalisiert, automatisiert und damit in der Architektur des Grenzregimes weiter materialisiert. Die digitalen und interoperablen Systeme ergänzen die weiterhin bestehenden fortifizierten, abschreckenden Elemente des Grenzregimes (vgl. Mau 2021). Für welche Subjekte die Grenze durch die Etablierung von Smart Borders nahezu unsichtbar und bedeutungslos wird, weil die Grenzüberquerung digitalisiert und automatisiert abgewickelt wird, und für welche Subjekte diese scheinbare Offenheit nicht gilt, entscheidet sich an den datenbasierten Identitäts- und Risikomarkierungen (vgl. Bigo 2014; Mau 2021). Anhand einer algorithmischen Bewertung bestimmter Eigenschaften, wie beispielsweise der Nationalität, dem Geschlecht und dem Bildungsgrad (Derave/Genicot/Hetmanska 2022), werden transnational mobile Subjekte mit statistisch generierten und zumeist rassifizierten Schemata der ›Risikohaftigkeit‹ in Verbindung gebracht. Die Transformation des Grenzregimes verwandelt die Grenze also in eine mobile Realität für die »Ungewollten« (Mbembe 2019: 9), in deren Körper sich das Grenzregime eingeschrieben hat, um allerorts eine scheinbar objektive Identifizierung und Bewertung der objektifizierten Subjekte vorzunehmen (vgl. ebd.).
Die Smart Borders als Laboratorium für die Transnationalisierung repressiver Apparate
Zugleich lässt sich das europäische Grenzregime vor dem Hintergrund dieser Transformation als ein Laboratorium für das vernetzte Polizieren im Schengenraum begreifen. Einerseits werden unter der Legitimation eines krisenhaften ›Ausnahmezustands‹ an den Grenzen konkrete Technologien und Methoden der Kontrolle und Überwachung zur ›Optimierung‹ des Grenzregimes selbst getestet (vgl. EU-LISA 2015a; Derave/Genicot/Hetmanska 2022). Beispielhaft sind hier die verschiedenen von EU-LISA und Frontex durchgeführten Pilotprojekte, die etwa die Durchführbarkeit digitaler Scans biometrischer Daten testen sollten (vgl. EU-LISA 2015a; 2022), oder die Automatisierung von Grenztoren (vgl. Monroy 2021a). Durch das Zusammenwirken verschiedener Akteur*innen der Wissenschaft und Privatwirtschaft sowie nationalstaatlicher und europäischer Apparate findet hier nicht nur ein Verwischen der Grenze zwischen den Sphären der Wissenschaft und der Sphäre der ›Sicherheit‹ statt (vgl. Bourne/Johnson/Lisle 2015). Vielmehr werden auch hegemoniale Visionen bezüglich der angestrebten Grenze der Zukunft erst in diesen Konstellationen entscheidend konkretisiert und als ›Lösungen‹ legitimiert (vgl. Trauttmansdorff/Felt 2023). Diese Visionen reichen über das Feld der Migrations- und Grenzpolitik hinaus. Die konkreten Praktiken des Testens im Kontext des ›Ausnahmezustands‹ an den Grenzen beziehen sich nämlich nicht nur auf das Ausprobieren der Wirksamkeit einzelner Kontroll- und Überwachungstechnologien. Stattdessen geht es auch um das Testen der Vernetzung und Betreibung der gesamten interoperablen Infrastruktur, in der die einzelnen Systeme sich gegenseitig unterstützen und ergänzen sollen (vgl. ebd.; Europäische Kommission 2016).
Daher kann das Laboratorium Grenzregime als ein Wegbereiter und als Fundament eines präventiv agierenden, algorithmisch gesteuerten und intersektional diskriminierenden europäischen Sicherheitsregimes verstanden werden. Zentral ist dafür die weiter oben beschriebene Tendenz des ›Re-Imports‹, beziehungsweise der transnationalen Dynamiken des Transfers des im Laboratorium produzierten Wissens. Im Kontext des europäischen Grenzregimes zeigt sich diese Dynamik besonders in zwei Bereichen: Zum einen im Transfer und in der Vernetzung von Personal, zum anderen in der Ausweitung der Einsatzmöglichkeiten für optimierte Kontroll- und Überwachungstechnologien.
Im Rahmen der sogenannten »Organleihe« (Deutscher Bundestag/Wissenschaftliche Dienste 2018: 6) ist beispielsweise geregelt, dass sich das Personalkontingent des europäischen Apparats Frontex zu einem Teil aus Personal nationalstaatlicher Polizeiapparate zusammensetzt. Konkret wird etwa ein Kontingent an Bundes- und Landespolizist*innen für den Einsatz bei Frontex zur Verfügung gestellt (ebd.). Die Polizist*innen, die sich erfolgreich auf den Einsatz für Frontex beworben haben, bekommen nach einer Ausbildung einen fünfjährigen Arbeitsvertrag angeboten (vgl. Frontex 2019). Im Rahmen ihrer Tätigkeit für Frontex arbeiten sie auch in den Bereichen der Informationssammlung und -weitergabe sowie der Grenzüberwachung (vgl. ebd.) und werden unter anderem dafür zuständig sein, die ETIAS-Zentraleinheit zu steuern (Derave/Genicot/Hetmanska 2022). Die Vernetzung europäischer und nationalstaatlicher Apparate über diese Transfers findet beispielsweise über Fortbildungen bezüglich der bevorstehenden Arbeit mit neuen Kontroll- und Informationstechnologien statt (vgl. Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik 2019) oder geschieht auf Konferenzen, wie dem Europäischen Polizeikongress (vgl. Europäischer Polizeikongress 2024).
Das Phänomen der schleichenden Ausweitung der Funktionen und Aufgaben einzelner Informations-, Kontroll- und Überwachungssysteme, die die zweite Betrachtungsebene des Transfers darstellt, ist bereits unter dem Begriff »function creep« (Koops 2021: 29) diskutiert worden.10 Als Beispiel kann hier das SIS dienen, das in seiner Konzeption und Evolution einen wesentlichen Bestandteil des vernetzten Polizierens im Schengenraum darstellt. Das SIS hat sich seit seiner Etablierung im Jahr 1995 von einem einfachen System des Informationstausches zwischen verschiedenen nationalstaatlichen Apparaten zu einem supranationalen System der Identifikation, Überwachung und Verbrechensaufklärung entwickelt (vgl. Leese/Ugolini 2024). Bei dieser stetigen, inkrementellen Ausweitung der Nutzungszwecke, Datentypen und Überwachungsmöglichkeiten handelt es sich nicht um rein technologische Pfadabhängigkeiten, sondern um eine Strategie (vgl. ebd.). Das bewusste Offenhalten von Erweiterungsmöglichkeiten soll es ermöglichen, Entwicklungen in der Zukunft zu antizipieren.11 Durch ein stetiges Monitoring sollen neuartige Technologien evaluiert werden. Diese Technologien und Datentypen, wie die biometrische Identifikation von Fingerabdrücken, wurden unter der Leitung von EU-LISA im Rahmen der bereits weiter oben erwähnten Pilotprojekte an den Grenzen getestet (vgl. EU-LISA 2015a). In diesen Tests sollte überprüft werden, wie funktional besagte Technologien sind (EU-LISA 2015b), um sie gegebenenfalls in das SIS integrieren zu können (vgl. ebd.; Leese/Ugolini 2024). Ähnliche Strategien der möglich gemachten Ausweitung der Anwendungsbereiche und der Integration neuer Technologien lassen sich etwa auch bei der Nutzung von künstlicher Intelligenz im geplanten ETIAS beobachten (vgl. Derave/Genicot/Hetmanska 2022).
Vor diesem Hintergrund kann das Grenzregime als ein Laboratorium verstanden werden, in dem unter der Legitimation eines krisenhaften ›Ausnahmezustands‹ die Produktion von Wissen über Technologien der Kontrolle und Überwachung und der Vernetzung dieser Technologien untereinander möglich gemacht werden. Die interoperable Infrastruktur, die unter dem Zusammenwirken von europäischen und nationalstaatlichen Apparaten im Rahmen des Projekts der Smart Borders etabliert wird (vgl. Bellanova/Glouftsios 2022), ermöglicht so eine neue Qualität des vernetzten Polizierens im Schengenraum. So stellt die digitalisierte Grenze für das im Neoliberalismus hegemoniale »Policing by Numbers« (Brinken 2018: 244) eine »Datenzapfstation« (Mau 2021: 109) dar. Über die erstellten Datenprofile wird eine digitale Identität an den Körper der erfassten Personen gebunden, die die Datengrundlage für weitere Interaktionen mit repressiven nationalen und europäischen Apparaten darstellt (vgl. Leese 2022). Die durch diese zunehmend digitalisierte und vernetzte »state vision« (ebd.: 118) produzierte Datengrundlage soll verschiedenen nationalen Polizeiapparaten zur Verfügung gestellt werden. Vor dem Hintergrund des neoliberalen Paradigmas einer »Verbetriebswirtschaftlichung« (Brinken 2018: 235) der Polizei ist diese konstitutiv für die statistikgeleitete Effizienzorientierung, die zumeist mit gezielten Repressionen gegen arme und rassifizierte Menschen einhergeht (vgl. ebd.).
Auch die (imaginierte) Fähigkeit, Voraussagen über potenzielle ›Risiken‹ in der Zukunft zu treffen, erhält durch die im Rahmen des Grenzregimes produzierten Daten eine breitere Grundlage (vgl. McCulloch/Pickering 2009; Kern 2018). Die Smart Borders lassen sich so in gewisser Weise als Digitalisierung des »weißen Blick[s]« (Fanon 1985: 80) fassen (vgl. Glouftsios/Casaglia 2023). Subjekten wird anhand einer algorithmischen Bewertung bestimmter Eigenschaften eine statistisch generierte ›Risikohaftigkeit‹ und ›Bedrohlichkeit‹ zugewiesen. Die analysierten ›Eigenschaften‹ beschränken sich jedoch nicht nur auf die Hautfarbe und die geographische Herkunft einer Person, sondern auch auf die soziale Herkunft und den Lebensverlauf, das Geschlecht sowie die körperliche Verfassung.12 Das Grenzregime, das »unterschiedliche Kategorien von Menschen produziert« (Adam/Hess 2024: 517), wirkt einerseits über diese Produktion rassifizierter, relational hierarchisierter Kategorien auch nach ›innen‹, indem ein weißes, zivilisiertes und schützenswertes Kollektiv konstruiert, beziehungsweise imaginiert wird, im Sinne einer »Rassifizierung des politischen Körpers« (ebd.: 506). Dabei kann diese Wirkung des Grenzregimes nach ›innen‹ andererseits auch auf der hier betrachteten Ebene der stetigen Ausweitung staatlicher Kapazitäten der Kontrolle und Überwachung betrachtet werden. Denn die repressiven Auswirkungen der beschriebenen statistisch fundierten, polizeilichen Grenzziehungen zwischen schützenswerten, risikoarmen Rechtssubjekten und potenziell bedrohlichen, risikoreichen ›Anderen‹ betreffen bereits heute nicht nur rassifizierte Nicht-EU-Bürger*innen aus postkolonialen Staaten. Auch ungewollte Mobilität von EU-Bürger*innen wird schon heute durch die transnationale Nutzung von Datenbanken und Kooperation verschiedener nationalstaatlicher Apparate poliziert (vgl. Vrăbiescu 2020). Darüber hinaus ließ sich in der Vergangenheit beobachten, wie Aktivist*innen und soziale Bewegungen unter der Maßgabe des hegemonialen polizeilichen ›Präventionsparadigmas‹ (vgl. McCulloch/Pickering 2009) transnational kriminalisiert und poliziert wurden (vgl. Trucco 2023). Ein Vorstoß kam bereits 2021 vom Bundesinnenministerium, das sich dafür einsetzte, die vage gehaltene Kategorie der ›politischen Gefährder*in‹ als Kategorie in die vernetzten Informationssysteme einzuführen (vgl. Monroy 2021b).
Fazit und Ausblick
Die Smart Borders können als ein politisches Projekt betrachtet werden, das eine Kohärenz im in der Krise steckenden europäischen Staatsapparate-Ensemble herstellen soll. Durch die Maßgabe der Interoperabilität als wesentlicher Bestandteil des Projekts, soll eine Harmonisierung und zusätzliche Vernetzung nationalstaatlicher und europäischer Apparate etabliert werden. Vor dem Hintergrund eines betriebswirtschaftlich orientierten Solutionismus wird versucht, die Automatisierung und Digitalisierung der Grenzkontrolle als eine ›Lösung‹ für etwaige Krisensituationen des europäischen Grenzregimes zu konstruieren. Die scheinbare Objektivität der vernetzten Informationssysteme und Datenbanken soll den fragmentierten migrations- und grenzpolitischen Konflikt de-politisieren und damit aufschieben (vgl. Buckel 2018; Bigo 2020). Dass die beschriebenen Dynamiken tendenziell nicht nur das Feld der Migrations- und Grenzpolitik betreffen, hat dieser Text über die Konzeption des Grenzregimes als Laboratorium für das vernetzte Polizieren im Schengenraum hervorgehoben. Die dargelegten theoretischen Überlegungen bezüglich der (post-)kolonialen Laboratorien, sowie die bereits jetzt vorherrschende Realität des vernetzten Polizierens von EU-Bürger*innen, verweisen darauf, dass das im Laboratorium produzierte Wissen nicht auf seinen Entstehungskontext begrenzt ist. Vielmehr kann auch im Kontext der Entwicklung des Grenzregimes und der repressiven Apparate im europäischen Staatspparate-Ensemble von einer »cross-fertilization« (Hönke/Müller: 387) gesprochen werden. Die dargelegten Dynamiken des Wissenstransfers und der stetigen Ausweitung der Anwendungszwecke und Nutzungsgebiete der (weiter-)entwickelten Technologien machen deutlich, wie das Grenzregime als das Fundament eines europäischen Sicherheitsregimes verstanden werden kann. Dieses Projekt eines Sicherheitsregimes stößt in einen politischen Handlungsraum vor, der sich erst durch die Krise des Grenzregimes und dem auch damit zusammenhängenden Rechtsruck in Europa ergeben hat (vgl. Oberndorfer 2019). Vor diesem Hintergrund kann die Maßgabe der Interoperabilität außerdem als Manifestation des Versuchs gesehen werden, etwaige Tendenzen der Re-Nationalisierung der Informations- Überwachungs- und Kontrollinfrastruktur unverantwortlich erscheinen zu lassen (vgl. ebd.; Bellanova/Glouftsios 2022).
Die in diesem Text vorgeschlagene Perspektive auf das Feld der (Un-)Sicherheitsproduktion hat das Ziel, die Implikationen der beschriebenen Transformationen hervorzuheben. Denn durch diese Blickweise wird deutlich, wie das sich in seiner Etablierung befindende europäische Sicherheitsregime potenziell nicht nur zu einem Regime der strukturellen Unsicherheit für illegalisierte, rassifizierte transnational mobile Menschen werden kann. Vielmehr sind Teile der interoperablen Infrastruktur aus Kontroll- und Überwachungssystemen offen für eine potenzielle Ausweitung der Anwendungsbereiche. Die Einschätzungen darüber, wer ein potenzielles ›Risiko‹ darstellt, könnten sich jedoch angesichts des politischen Rechtsrucks im europäischen Staatsapparate-Ensemble als ebenso wandelbar erweisen, wie die Anwendungszwecke der Technologien selbst.
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Diese Systeme sind namentlich das Schengen Information System (SIS), das European Dactyloscopy System (Eurodac), das Visa Information System (VIS) (Vavoula 2020).↩︎
Unter Interoperabilität versteht die Kommission »die Fähigkeit von Informationssystemen, Daten auszutauschen und die gemeinsame Nutzung von Informationen zu ermöglichen« (Europäische Kommission 2016: 17).↩︎
Für den vorliegenden Text sind dabei insbesondere die Apparate der Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache (Frontex), sowie die Europäische Agentur für das Betriebsmanagement von IT-Großsystemen im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (EU-LISA) relevant.↩︎
Die Grenze an sich kann dabei spätestens seit den Anschlägen des 11. Septembers als ein Kontext des Ausnahmezustands verstanden werden (Salter 2007). Die in diesem Text thematisierten transformativen Dynamiken sind dabei jedoch weniger dem strukturell angelegten Ausnahmezustand der Grenze zuzuschreiben, als dem konkret politisch mobilisierten Ausnahmezustand im Zuge der Krise des Grenzregimes ab 2015 (Davitti 2019).↩︎
Es geht hier nicht darum zu behaupten, dass das Projekt eines europäischen Sicherheitsregimes an sich ein völlig neues wäre. Vielmehr geht es diesem Text um die politischen Handlungsspielräume, die sich, auch angesichts des Rechtsrucks in Europa geöffnet haben und potenziell weiter öffnen werden (vgl. Oberndorfer 2019).↩︎
Anzumerken ist, dass der Begriff des Laboratoriums streng genommen nicht zutrifft, weil ganzheitlich kontrollierte Bedingungen gemäß eines wissenschaftlichen Experiments zu keiner Zeit gegeben waren (vgl. Cooper/Stoler 1997). Allerdings hebt der Begriff den Charakter des Experimentierens mit bestimmten Techniken der Überwachung und Kontrolle hervor, der für diesen Beitrag zentral ist (vgl. Hönke/Müller 2012).↩︎
Es lässt sich diesem Zusammenhang von Netzwerken sprechen, die sich nicht nur zwischen Akteur*innen in den Kolonien und dem Zentrum einer einzigen Kolonialmacht aufspannten, sondern auch zwischen verschiedenen Kolonialmächten sowie teilweise postkolonialen Staaten (vgl. Sinclair/Williams 2007).↩︎
Diese Muster der experimentellen Wissensproduktion gemäß eines ›Trial-and-Error-Verfahrens‹ und des Transfers dieses Wissens waren keine Besonderheit des britischen Kolonialreichs, sondern ließen sich auch in anderen Kolonialreichen beobachten (Hönke/Müller 2012).↩︎
Es handelt sich dabei um eine Erweiterung des bereits seit 2012 bestehenden Strafregisterinformationssystems ECRIS.↩︎
Im Rahmen dieses Textes kann keine umfassende Darstellung dieser Debatte geleistet werden. Für einen Überblick sei auf Koops (2021) und Leese/Ugolini (2024) verwiesen.↩︎
Dieses technokratisch beschlossene, intendierte Offenhalten zukünftiger Möglichkeiten soll dabei nicht zuletzt auch dafür sorgen, die inkrementelle Ausweitung staatlicher Kontroll- und Überwachungskapazitäten vor einer breiten öffentlichen Debatte abzuschirmen, also tendenziell zu entpolitisieren (vgl. Leese/Ugolini 2024).↩︎
Dies geht beispielsweise aus den im ETIAS erhobenen Kategorien hervor (Derave/Genicot/Hetmanska 2022).↩︎
