Im Jahr 2012 begann eine neue ‚Ära des Protestes‘ von Geflüchteten und undokumentierten Menschen in Europa. Protestbewegungen sind u. a. in Deutschland, Österreich, Frankreich, Italien, den Niederlanden, der Schweiz sowie in den Ländern an den Außengrenzen der EU entstanden. Mit Fußmärschen, Platzbesetzungen, Hungerstreiks, Aufständen in Lagern und Abschiebegefängnissen sowie anderen politischen Praktiken haben sich Geflüchtete und Undokumentierte eine eigene Sprechposition erkämpft: Sie fordern politische und soziale Rechte ungeachtet ihres Status‘ ein. Die Bewegungen sind zudem europaweit vernetzt. Ein Beispiel dafür ist der transnationale „March for Freedom“ im Mai/Juni 2014 von Straßburg nach Brüssel und die gleichzeitig stattfindenden dezentralen Aktionen in verschiedenen Städten Europas.
Doch auch auf globaler Ebene finden derzeit Proteste gegen die Zumutungen aktueller Formen von Migrations- und Grenzkontrollpolitiken statt: In Israel gingen dieses Jahr Tausende Geflüchtete auf die Straße; an der tunesisch-libyschen Grenze organisieren sich seit 2011 die Menschen in den Camps des UNHCR; in Zentralamerika und Mexiko demonstrieren Angehörige von ‚verschwunden‘ Transitmigrant_innen für die Aufklärung der ungeklärten Todesfälle; und in den USA mobilisieren Undokumentierte gegen ihre Entrechtung und Ausbeutung.
Die aktuellen Protestbewegungen von non-citizens weisen eine lange Geschichte von Praktiken des Widerstands, der Autonomie und Flucht auf: Seit Menschen als ‚Migrant_innen‘ oder ‚Flüchtlinge‘ kategorisiert, subjektiviert und entrechtet werden, gibt es Kämpfe der Migration. Ein Beispiel sind die Streiks migrantischer Arbeiter_innen in Deutschland und Österreich in den 70er Jahren. Auch in den aktuellen Konjunkturen des Protests von Migrant_innen lassen sich nicht nur Kämpfe gegen restriktive Zuwanderungs- und rassistische Grenz- und Kontrollpolitiken identifizieren. Zugleich gibt es Widerstandspraktiken gegen prekäre Arbeitsbedingungen, rechte Gewalt, Sexismus und homophobe Politiken sowie Mobilisierungen für den Zugang zu Wohnraum und sozialer Infrastruktur. Neben kollektiven Aktionen, die auf nationale und transnationale Öffentlichkeiten zielen, finden sich zudem vielfältige Formen migrantischer Kämpfe auf den weniger öffentlich sichtbaren mikropolitischen und –kulturellen Ebenen des Alltags und der Privatheit. Hierzu gehören etwa die (semi-)klandestinen Netzwerke der Versorgung, der Solidarität und der gegenseitigen Unterstützung.
Willkommen sind wissenschaftliche sowie aktivistische Beiträge – insbesondere aus den Zusammenhängen der Kämpfe und Proteste von Migrant_innen und Geflüchteten – zu u. a. folgenden Fragen und Themen:
Wie entstehen Proteste und Kämpfe?
- Durch welche Ereignisse, (Macht-)Strukturen, Konflikte und Erfahrungen entstehen migrantische Kämpfe und Protestbewegungen? Welche Rolle spielen hier aktuelle europäische und globale Migrations-, Asyl- und Grenzpolitiken?
- Welches sind die spezifischen und innovativen Formen der Organisierung und Proteststrategien von Geflüchteten und Undokumentierten und wo zeigen sich Verbindungen zu jenen anderer sozialer Bewegungen? Entsteht ein Repertoire der Protestbewegungen (Märsche, Hungerstreiks, Platz- und Gebäudebesetzungen, Camps etc.)?• Können wir von einer europäischen oder sogar globalen Protestbewegung sprechen? Welches sind die Gemeinsamkeiten und Unterschiede von refugee und migrant activism in verschiedenen Ländern und Regionen? Inwiefern sind die Bewegungen untereinander vernetzt und wie werden transnationale Verbindungen inhaltlich und praktisch hergestellt?
- Welche historischen Bezüge und Erfahrungen zeigen sich? Auf welche Forderungen und Kämpfe, aber auch Formen und Strategien des Protests beziehen sich die aktuellen Flüchtlingsbewegungen?
Akteure, Subjektivitäten und Positionen
- Welche Akteure tragen und unterstützen die Proteste? Welche (politischen) und geschlechtsspezifischen Subjektivitäten werden dabei konstituiert? Inwiefern und in welcher Form fließen die Erfahrungen und Kämpfe anderer politischer Netzwerke und sozialer Bewegungen in die aktuellen Flüchtlingsproteste ein?
- Wie entstehen die Ziele und Forderungen von Protesten und in welcher Form werden sie artikuliert? Welche Rolle spielen dabei unterschiedliche (Rechts-)Positionen? Wie gestalten sich die Beziehungen zwischen geflüchteten und nicht-geflüchteten Aktivist_innen?
- In welchem Verhältnis stehen die Proteste mit anderen Kämpfen, etwa von feministischen Bewegungen sowie antirassistischen- und Arbeitskämpfen? Wie gestaltet sich das Verhältnis zu zivilgesellschaftlichen Akteuren, Gewerkschaften und Parteien?
(Un-)Sichtbare Politiken
- In welchem Verhältnis stehen Protestbewegungen und Auseinandersetzungen, die auf die politischen und medialen Öffentlichkeiten zielen, zu alltäglichen Formen der Flucht und Subversion, die als ‚unsichtbare‘ Politiken beschrieben werden können?
- Welche Formen und Inhalte des Protests finden überhaupt eine Öffentlichkeit? Und wer wird dabei erhört?
Ergebnisse und Effekte der Kämpfe
- Was sind die Ergebnisse und Konsequenzen der Kämpfe?
- Mit welchen Möglichkeitsräumen und Restriktionen können und müssen migrantische Kämpfe rechnen?
Wir freuen uns über die Zusendung von einseitigen Abstracts bis zum 15.7.2014. Das Journal bietet Raum für politische Interventionen und Positionierungen, Interviews, Berichte aus der Forschung und wissenschaftliche Artikel. Die fertigen Beiträge sollen je nach Format einen Umfang von 20.000 bis 40.000 Zeichen haben und können auf Deutsch oder Englisch verfasst sein (weitere Sprachen auf Anfrage).
Kontakt und Zusendung der Abstracts: info@movements-journal.org